"Ein gut beratener Senior zieht zwölf andere nach sich"

06.08.2000
In der jugendfixierten IT-Welt haben Senioren offenbar nichts verloren. Oder?

Es ist schon grotesk, dass sich die ganze IT-Welt auf die Jugend stürzt, die kaum das nötige Taschengeld zur Verfügung hat, während die meist viel finanzkräftigeren Senioren als potentielle Käufer kaum wahrgenommen werden", schimpft der 33-jährige Brite Richard Spinks. Als Antwort auf dieses Manko hat er im September letzten Jahres mit "Vavo" das erste europaweite Portal für die Generation 45 + x gegründet. Über 1,3 Millionen Besuche zählt Spinks seitdem allein in Großbritannien. Und in Deutschland, wo Vavo.de im April an den Start ging, waren es innerhalb der ersten vier Wochen schon über 7.000 Clicks. Auf die Idee für Vavo kam der ehemalige Lycos-Mitarbeiter durch seinen Schwiegervater, der durch das Internet wieder neue Lebensfreude gefunden hat. "Denn seine Lieblingsbeschäftigung ist nun mal Bridge, und an Spielpartnern mangelt es im Internet nun wirklich nicht." Geduld hat es schon erfordert, den eigentlich "technophoben" Schwiegervater in die Weihen des Computers und des World Wide Web einzuführen. Dennoch ist für Spinks klar: "Ein gut beratener Senior zieht zwölf andere nach. Doch das braucht eben Geduld."

Geduld ist das A und O

"Geduld, die viele Händler einfach nicht haben. Und von der Industrie kommt auch nichts, das den Umgang mit dem Computer für ältere Menschen vereinfachen würde", ereifert sich Richard Dammann, Mitbegründer des Freiburger Seniorentreffs (siehe ComputerPartner 29/99, Seite 32). "Nicht umsonst sind unsere Foren voll von technischen Anfragen", fährt Dammann fort.

Dem pflichtet auch Michael Bucher, Geschäftsführer von PC Spezialist in Konstanz, bei, relativiert aber: "Viele Senioren bringen ein großes Freizeitkontingent mit und wollen alles haarklein erklärt haben. Aber bei jedem Kunden auf alle Fragen einzugehen, das würde natürlich unser Tagesgeschäft sprengen." Dennoch gilt für ihn: "Wer einen Senior als Kunden gewinnt und zu binden weiß, gehört zur Verkaufsoberliga." So weit zu sagen, dass ein gut beratener Senior zwölf nach sich zieht, würde Bucher nicht gehen: "Aber fünf sind durchaus eine realistische Zahl."

Zu dem größeren Zeitaufwand kommen vielfach auch Verständnisprobleme hinzu. Denn während junge Leute mit Begriffen aus der Welt der Bits und Bytes praktisch groß geworden sind, sind diese für viele Senioren absolute Fremdworte. Überall entstehen deshalb Selbsthilfegruppen, in denen Senioren von Senioren unterrichtet werden, so auch in Konstanz, wo an der Universität ein solcher Kurs entstanden ist. Marktforscher Empirica zufolge sind heute schon über zwei Millionen Deutsche im Alter von über 50 Jahren im Internet. Dieses Jahr soll sich die Zahl der in Amerika liebevoll "Silver Surfers" genannten Web-Senioren sogar verdoppeln und damit stärker steigen als im Durchschnitt. "Bedenkt man, dass der erste Ford für Leute über 50 entwickelt wurde, und bedenkt man weiter, dass es in zehn Jahren mehr Rentner als Berufstätige geben wird, ist es wirklich ein Armutszeugnis für die IT-Branche, die Senioren einfach zu übersehen", meint Spinks. Dammann geht in seiner Kritik sogar noch weiter: "Solange es Behörden gibt, die noch mit der Rohrpost arbeiten, muss man sich nicht wundern, wenn die Bundesregierung jetzt erst langsam erwacht. Schulen ans Internet zu bringen, war höchste Eisenbahn. Aber es mit den Altenheimen gleich-zutun, darauf können wir wohl noch lange warten. Dabei gibt es längst Studien, die belegen, dass das Internet gerade für ältere, gebrechliche Menschen ein Lebenselixier sein kann." So fordert der amerikanische Geratrie-Experte David Lansdale von der Stanford University, dass jedes Alters- und Pflegeheim mit E-Mail- und Internet-Zugang ausgestattet werden sollte. Denn nur so ließen sich die "vier Plagen von Senioren im Heim" - Einsamkeit, Langeweile, Hilflosigkeit und das Nachlassen der geistigen Kräfte - wirksam bekämpfen. (kh)

www.vavo.de

www.seniorentreff.de

www.empirica.de

Zur Startseite