Ein Markt wächst zusammen

31.05.2001
Es gibt sie doch, die eierlegende Wollmilchsau. Ihr Name: Content-Management-System. Und sie repräsentiert all dies, was früher unter Einzelbegriffen wie Archivierungslösung, Authoring-Software oder Dokumenten-ManagementProgramm aufgehängt war.

Wir machen Content-Management", tönt Gerhard Schmitz vom Bereich Content Management bei der IBM Deutschland GmbH und meint damit die IBM-Lösung "Content Manager." Sie dient der Verwaltung und Archivierung unterschiedlicher Informationen innerhalb eines Unternehmens. "Nein, wir machen Content-Management", halten Gauss, Imperia, Metasurface und Konsorten dagegen. Laut Begriffsdefinition der Website www.contentmanager.de handelt es sich bei einem Content-Management-System um "Software zum Administrieren von Web-Inhalten mit Unterstützung des Erstellungsprozesses basierend auf der Trennung von Inhalten und Struktur".

Wer hat nun recht? "Alle", konstatiert George Parapadakis, Document & Information Management Consultant von Cap Gemini Ernst & Young. Denn Content-Management oder, neudeutsch, Enterprise-Content-Management, ist seiner Meinung nach nichts weiter als eine Reihe von Prozessen und Werkzeugen, mit deren Hilfe sich elektronische Informationen im Verlauf ihres Lebenszyklus verwalten lassen - und zwar beginnend bei der Erstellung über die verschiedenen Versionsschritte und Genehmigungsphasen bis hin zur Nutzung, Archivierung und letztendlich dem Moment, an dem die Information beseitigt oder gelöscht wird.

Damit fasst der Begriff Content-Management sämtliche bis dato nicht vereinbaren Lösungen wie Dokumenten-Management- und Authoring-Tools, Archivierungs- und Web-Content-Management-Systeme zusammen. Der laut Ovum bald sieben Milliarden Dollar umfassende Markt wird also schon bald herkömmliche Verbreitungs- und Archivierungsmedien ebenso einschließen wie das Internet - als weltweit erreichbare Speicherplattform.

Als Ursache für diese Entwicklung sieht Felix von Bredow, Berater in der Unternehmensberatung Projekt-Consult, die veränderte Gestalt von Dokumenten. "Dokumente sind nicht mehr das, was sie mal waren, nämlich Papier. Stattdessen bezeichnet man heute jegliche Art von strukturierten und unstrukturierten Informationen in elektronischer Form als Dokument."

Ein Name, aber verschiedene Produkte

Daraus resultiert dann Content als Verdichtung der Informationen im Web. Diese Daten sind zwar auf herkömmlichen Backend-Systemen gespeichert, sie werden aber vom User nicht aus einer, sondern aus mehreren unterschiedlichen Quellen abgerufen, ohne dass ihm dies überhaupt bewusst wird.

Trotz des gleichen Überbegriffes beinhaltet der Content-Management-Markt natürlich immer noch verschiedene Segmente. Dazu gehören alle bisherigen Technologien im Umgang mit Dokumenten, also Imaging, Workflow oder klassisches Dokumenten-Management, aber auch Internet-orientierte Lösungen wie Portal-Systeme oder Web-Content-Management. Diese Teilgebiete funktionieren in weiten Bereichen noch unabhängig voneinander, wachsen aber allmählich zusammen.

"Viele Content-Management-System-Anbieter haben erst jetzt realisiert, dass es praktisch unmöglich ist, alle Funktionalitäten mit einem einzigen System abzudecken. Daher schmieden immer mehr Beteiligte Allianzen und bringen kombinierte Lösungen auf den Markt", glaubt Parapadakis zu wissen.

Auch von Bredow bestätigt diesen Trend: "Künftig werden Hersteller von unternehmensweiten Content-Management-Systemen entweder den klassischen Middleware-Ansatz fahren, also zumindest Schnittstellen schaffen, um die unterschiedlichen, aber unter dem Sammelbegriff zusammengefassten Programme miteinander zu kombinieren, oder sie werden entsprechende Features in ihre eigenen Lösungen einbauen, um damit fehlende Funktionen abzudecken." Künftige Web-Content-Management-Lösungen werden über Fähigkeiten heutiger Dokumenten-Management-Systeme verfügen und umgekehrt.

Erste Ansätze in diese Richtung zeigen bereits die Lösungen von Gauss Interprise und Documentum. Letzterer, bis dato fest in der Dokumenten-Management-Bucht verankert, hat vor einiger Zeit die Seiten gewechselt: "Wir sind nun eindeutig auf Enterprise-Content-Management fokussiert", betont David Gingell, European Marketing Director bei Documentum, "Web-Content-Management stellt dabei einen Teilbereich dar." Technisch trägt Documentum dieser Neuorientierung durch die Nutzung des XML-Standards und durch Features wie Link-Management, Site-Management und dynamischen sowie Personalisierungsmöglichkeiten in den Websites Rechnung. Mit dem Wechsel der Produktausrichtung haben sich auch die Mitbewerber des Herstellers gewandelt: Frühere Konkurrenten wie Filenet und Opentext sind den aktuellen Wettbewerbern Vignette, Interwoven und Gauss gewichen.

Ceyoniq geht einen anderen Weg, um den Anforderungen des Internet-Zeitalters gerecht zu werden. Dieser Hersteller beharrt auf seiner Herkunft aus dem Archivierungs- und klassischen DMS-Umfeld und versucht parallel, sein Angebotsportfolio durch technische Neuentwicklungen und mit Hilfe von Zukäufen zu erweitern. "Wir haben uns dem Content geöffnet und uns vom Dokumenten-Management-Spezialisten zum Life-Cycle-Content-Management-Hersteller entwickelt", verrät Milan Stahl. Unter Life-Cycle-Content-Management versteht das Vorstandsmitglied der Ceyoniq AG eine Lösungskette aus Document Imaging und digitaler Archivierung. Dokumenten-Management, Workflow, Knowledge-Management, Portaltechnologien sowie Schnittstellentechnologien zu den großen Herstellern wie SAP, Oracle, Siebel, Lotus oder Microsoft - also das komplette Portfolio von Ceyoniq. "Mit unserem Angebot wollen wir den gesamten Lebenszyklus von Content abdecken, nicht nur die Bestandteile Archivierung oder Web-Content-Management", erläutert er diese Strategie. Letzteres hält Stahl für eine additive Funktionalität, die sehr gut in den gesamten Content-Bereich eingefügt werden könne. "Aber es ist ein Teilmarkt des Content-Management, einer von vielen. Uns ist wichtig, dass wir auch in den anderen Bereichen vertreten sind. Denn aus diesen Geschäftsfeldern kommen wir her. Und wir werden uns nicht von unseren Kernkompetenzen entfernen, bloß weil es gerade Mode ist."

Stahl ist überzeugt: "Künftig wird sich jeder Content-Manager nennen. Der Begriff wird zum Leitgedanken werden." Daher sei die Spezifizierung der diesem Überbegriff untergeordneten Unternehmen und Produkte besonders wichtig.

Egal ob per Umpositionierung oder Erweiterung: Wer im Content-Management-Markt tätig ist, wird sein Portfolio über kurz oder lang neu ausrichten müssen, davon ist von Bredow überzeugt: "In den nächsten fünf bis sechs Jahren werden die unter dem Überbegriff Content-Management angesiedelten, aber dennoch unterschiedlich positionierten Produktwelten weiter zusammenwachsen. "Ob und wie weit es dabei zu einer Konsolidierung kommt", vermag sich Bredow nicht festzulegen. (cry)

www.gauss.de

www.project-consult.com

www.documentum.com

www.contentmanager.de

www.ceyoniq.de

ComputerPartner-Meinung:

Die Begriffsverwirrung ist nun komplett: Dokumenten-Manager bezeichnen sich als Content-Manager und umgekehrt. Dabei sind die Begriffe Dokument und Inhalt keinesfalls Synonyme, sondern stehen einerseits für formatierte Texte mit Bildern, Tönen und Filmchen ("Dokumente"), wohingegen Content lediglich den "nackten" Inhalt im Sinn hat. Web-Content ist genauso wie der Inhalt eines Word-Dokuments lediglich ein Ascii-Strang. Erst entsprechende Software-Programme (Web-Browser, Office-Paket und sonstige Viewer) machen aus dem Content ein Dokument.

Und die Trennung zwischen Web-und Nicht-Web-Content macht noch weniger Sinn. In ein paar Jahren wird ohnehin jede Art von Inhalten auf jeden Fall im Web zu finden sein. Dann wird sich auch die Differenzierung zwischen (Web-)Content- und Dokumenten-Management von selbst erledigt haben. (rw)

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