Ein neuer Markt entsteht

25.02.1999

MÜNCHEN: Die Musikbranche scheint als erste auf dem Sprung zu sein, flächendeckend digitale Waren im World Wide Web anzubieten. Jetzt setzen sich die etablierten Plattengesellschaften zur Wehr.Die RIAA hat Bauchschmerzen. Die Record Industry Association of America muß tatenlos zusehen, wie der Grafikspezialist Diamond Multimedia mit dem "Rio PMP 300" (siehe Test in ComputerPartner 35/98, Seite 50) ein Gerät auf den Markt bringt, das ausschließlich dazu dient, aus dem Internet geladene Musik tragbar zu machen. Eigentlich, so würde der Laie vermuten, sollten die Plattenmogule froh sein: Fördert doch jeder verkaufte Player den Absatz von dazu passender Musik auf den entsprechenden Datenträgern. Für die RIAA ist der Rio aber nicht irgendein Abspielgerät. Vielmehr sieht die Vereinigung in dem Gerät, das nicht größer ist als ein Walkman, die immanente Aufforderung, Musik aus dem Internet zu stehlen. Von Webseiten, die in unmittelbarer Nähe pornographischer Angebote liegen und deren Betreiber nicht selten auch Vollversionen teurer Software auf ihren Rechnern zum kostenlosen Download feilbieten.

Nach Ansicht eines US-Gerichts ist es aber keineswegs erwiesen, daß der Rio nur mißbräuchlich gegen Urheberrechte eingesetzt werden kann. Das kleine Gerät, das selbst über keinerlei Internet-Zugang verfügt, kann nämlich auch etwas, das der Menschheit nützlich ist: Musik abspielen - und das sogar in ausgezeichneter Qualität, sprach das Gericht, und wies die Klage der RIAA ab.

George Michael, David Bowie & Co.

Der Hintergrund dieser gerichtlichen Auseinandersetzung ist vielschichtig. Der RIAA laufen die Künstler weg und publizieren direkt im Internet, wie etwa derjenige, der sich früher Prince nannte. Er wartet inzwischen, bis 10.000 Bestellungen auf seiner Web-Site für das neue Album eingegangen sind, und erst dann wird die neue Serie gepreßt. Andere wie beispielsweise George Michael veröffentlichten vorab bereits einzelne Songs, und David Bowie plant gar einen eigenen Online-Dienst einzurichten. Nach einer Studie von Forrester Research beläuft sich das Volumen des Musikverkaufs online derzeit auf etwa 100 Millionen Dollar - Tendenz extrem steigend. Für das Jahr 2002 prognostizieren Analysten einen Umsatz von vier Milliarden Dollar.

Somit hat die RIAA, und mit ihr die ganz großen Plattenfirmen, ein reges Interesse daran, die Musikvermarktung via Internet in den Griff zu bekommen. Die Anwälte der großen Labels beschäftigen sich heute schon zu rund 50 Prozent mit Urheberrechtsverletzungen durch die Verbreitung via Internet.

Das ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs. So erschien beispielsweise das jüngste Album von Madonna schon einen Tag bevor er in den Plattenläden zu finden war, vollständig digitalisiert und in guter Qualität im Netz der Netze. Eine Tatsache, die dem Abteilungsdirektor der deutschen Gema, Alexander Wolf, das Wort vom "Pirateriemoloch" von den Lippen preßte.

Im Gegensatz zur RIAA fand die Gema (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) schnell eine einvernehmliche Lösung mit Diamond, was den Rio angeht. Die Starnberger zahlen jetzt fünf Mark pro verkauftem Rio pauschal an die Gema, und damit ist das Problem abgegolten. Vergleichbar mit der Urheberrechtsabgabe bei Fotokopierern - und neuerdings bei Faxgeräten.

(Frank Puscher/akl)

Der Stein des Anstoßes: Mit dem Rio PMP 300 und ähnlichen Geräten könnte schon bald ein ganz neuer Musikmarkt im Internet entstehen.

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