Ein Zeichen der Hilflosigkeit und Inkompetenz

28.11.1997
MÜNCHEN: Es ist das Hallali auf die 610-Mark-Kräfte geblasen. In seltener Einigkeit hacken Parlamentarier aller Farben und Gewerkschaften auf den Neben-Erwerblern herum. Diese werden nun als Allheilmittel für die desolaten Arbeitsmarktverhältnisse mißbraucht und sollen künftig in die umfassende Sozialversteuerung eingehen. Was wird aber in den Betrieben geschehen? Welche Konsequenzen und Auswege bleiben den vielen Kleinunternehmern und Aushilfskräften? Ein Beitrag von Stefan Rohr*).Die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) gab jüngst bekannt, daß nach ihren Erhebungen zirka 650.000 Betriebe in Deutschland überwiegend 610- Mark-Kräfte beschäftigen. Das heißt nichts anderes, als daß in all diesen Unternehmen die Notwendigkeit besteht, die strangulierenden Sozial- und Beschäftigungsgesetze auf legale Weise auf betrieblicher Ebene zu optimieren.

MÜNCHEN: Es ist das Hallali auf die 610-Mark-Kräfte geblasen. In seltener Einigkeit hacken Parlamentarier aller Farben und Gewerkschaften auf den Neben-Erwerblern herum. Diese werden nun als Allheilmittel für die desolaten Arbeitsmarktverhältnisse mißbraucht und sollen künftig in die umfassende Sozialversteuerung eingehen. Was wird aber in den Betrieben geschehen? Welche Konsequenzen und Auswege bleiben den vielen Kleinunternehmern und Aushilfskräften? Ein Beitrag von Stefan Rohr*).Die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) gab jüngst bekannt, daß nach ihren Erhebungen zirka 650.000 Betriebe in Deutschland überwiegend 610- Mark-Kräfte beschäftigen. Das heißt nichts anderes, als daß in all diesen Unternehmen die Notwendigkeit besteht, die strangulierenden Sozial- und Beschäftigungsgesetze auf legale Weise auf betrieblicher Ebene zu optimieren.

Denn in der überwiegenden Zahl der 610-Mark-Beschäftigungs-verhältnisse wäre eine "echte" Anstellung, mit allen Konsequenzen der steuerlichen Aufwände (in der Regel für die Kräfte selbst) und der mittlerweile als irrational hoch zu bezeichnenden Sozialabgabe-verpflichtung (durch den Unternehmer) überhaupt nicht möglich.

Nebenjobs haben sich längst fest etabliert

Die 610-Mark-Kräfte haben sich auf legale Weise einen wichtigen Platz in unserer Arbeitswelt geschaffen. Einerseits bieten die Unternehmen somit Millionen Menschen in Deutschland ein Zubrot zu einem sonst vielleicht schmalen Gehalt aus einem regulären Anstellungsverhältnis. Andererseits können auf diese Weise unzählige Menschen einer lebensberechtigenden und gegebenenfalls sogar freudebringenden Nebentätigkeit nachgehen, obwohl sie vielleicht für den dauerhaften Arbeitsprozeß aus Alters- oder Gesundheitsgründen nicht mehr oder nur noch bedingt geeignet sind.

Und der Gesetzgeber hat viele Jahre damit bestens leben können. Die Pauschalbesteuerung und die gleichgestalteten Sozialabgaben (die ausschließlich der Arbeitgeber trägt) von 15 Prozent auf die jeweilige Höchstgrenze (derzeit 610,- Mark) sorgen seit langer Zeit für erfreuliche Zusatzeinnahmen in den Steuer- und Sozialkassen. Die regelmäßigen Anhebungen dieser Grenze beweist eindeutig, daß der "Staat" seiner diesbezüglichen Verpflichtung gerecht werden wollte und durchaus einen Sinn sowie die Berechtigung dieser Arbeitsverhältnisse sah.

Einfluß auf die Wertschöpfungskette

Wie eben nun auch die DAG bestätigt, konnten so viele hunderttausend Betriebe diese geringfügig Beschäftigten nutzen und in die "Wertschöpfungskette" einflechten. Es muß an dieser Stelle deutlich hervorgehoben werden, daß diese besagte Wertschöpfungskette ja nicht an der Türe des Betriebes endet. Es wird produziert und somit Umsatz geschaffen und von den Unternehmen so natürlich auf diese Weise Steuern bezahlt. Steuern, die - wohin auch sonst - in die Staatskassen fließen. Die Wertschöpfungskette allerdings endet hier auch noch nicht. Schließlich verdienen die 610-Mark-Kräfte Geld. Geld, das ebenfalls in die Wirtschaft durch den Konsum des jeweiligen 610-Mark-Verdieners einfließt und die Wertschöpfung anderer Unternehmen in gleicher Verkettung fördert.

Und es ist "sauberes" Geld, das da fließt. Nicht etwa "Schwarzgeld", am Staat, der sozialen Gemeinschaft oder der Steuer vorbeigewirtschaftet. Nein, völlig legales Geld, das in den Konsum eingebracht wird. Zudem ein Potential, auf dessen Basis insbesondere

die sozialen Kassen erhebliche Vorteile einstreichen konnten, ohne dabei direkte Gegenleistungen in Richtung der "Produzenten" (die 610-Mark-Kräfte) selbst erbringen zu müssen.

Vom Nebenjob zur Festanstellung

Und es darf nicht vergessen werden, daß viele dieser "Geringfügigbeschäftigten", wie sie auch genannt werden, über ihre Tätigkeit auf 610-Mark-Basis dauerhafte Anstellungen erhalten. Es scheint, daß das von den Stimmführern der aktuellen Kampagne dummerweise übersehen wird. Kleinunternehmen, insbesondere Existenzgründer, haben einfach nicht die Möglichkeit, zu Beginn ihrer Unternehmensentwicklung die exorbitanten Gehälter und Lohnnebenleistungen zu erbringen. Schon alleine deswegen nicht, weil am Anfang zu wenig Beschäftigungspotential (Arbeitsmenge) vorhanden ist. Nach der Einstellung der Unternehmenserfolge wird dann aus so manchem Nebenjob eine feste Anstellung, ein Arbeitsplatz, der zuvor nicht in den Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit oder des Finanzministers berücksichtigt wurde.

Und genau das ist es, was an dem aberwitzigen Plan so viel Ärger verursacht. Da wird einerseits auf das hohe und verläßliche Potential der Kleinbetriebe und des deutschen Mittelstandes gepocht, da es diejenigen sind, die das Innovationspotential und die Schaffung der so raren Arbeitsplätze in sich bergen und daher um jeden Preis gefördert werden sollten. Andererseits werden Stricke geschnürt, Fußangeln aufgebaut und Fesseln angelegt und damit alles bewirkt, nur nicht die Unterstützung, die die Unternehmen benötigen, um sich erfolgreich im Markt durchzusetzen. Es heimelt an, daß mit Blindheit und Unvermögen der Keim der Produktivität in unserer Wirtschaft erstickt werden soll.

Kostenprobleme für Existenzgründer

Das mag vielen unheimlich bekannt vorkommen. Denn derlei Umstände sind den meisten Existenzgründern und Kleinunternehmern bestens bekannt: das schwierig zu erlangende Kreditvolumen für Existenzgründungen und Investitionen (es sei denn, man heißt Schneider), die zum Teil irrational hohen Zinsen, die schwierigen Bewilligungswege für Fördermittel, die mittlerweile unzumutbar hohen Steueraufwendungen, das von den meisten (außer den Gewerkschaften) beklagte zu hohe Lohnniveau und die erdrückenden Lohnnebenkosten, die der Unternehmer mitzutragen hat. Punkte, die die Diskussion um den Standort Deutschland bereits seit längerer Zeit prägen, allerdings ohne erkennbare Veränderungen seitens der Verantwortlichen in Politik, Banken und vielen Gewerkschaften.

Abschaffung der Nebenjobs: die Folgen

Und eines, was bislang wohltuend unangetastet geblieben ist, soll nun auch noch schwinden: die 610-Mark-Anstellung. Ein Schlag in die Magengrube für alle Kleinunternehmer und mittelständischen Betriebe. Die Konsequenzen liegen auf der Hand. Während Gewerkschaften und das Parlament davon träumen, daß die Unternehmer brav und treu nichts Besseres zu tun haben werden, als alle 610-Mark-Jobs in "reguläre" Anstellungen zu wandeln, die Arbeitslosenzahl somit kurzerhand halbiert wird und alles "Backe-backe-Eierkuchen" wird, werden die Betriebe blitzschnell umschalten.

Formal werden unzählige der Aushilfstätigkeiten gekündigt. Die Arbeiten werden auf vorhandene Mitarbeiter verlagert und man wird schauen, ob dieses so vielleicht nicht auch funktioniert. Die aktuelle Arbeitsmarktlage hält schließlich kaum noch Alternativen für die Betroffenen Arbeiter und Angestellten vor, sofern das angestiegene Arbeitsvolumen die Belastungen des Einzelnen unfein erhöht.

Danach werden Aushilfsarbeiten "schwarz" vergeben. Die bisher geltenden Grundlagen (610,- Mark + 15 Prozent pauschaler Nebenleistungen = 701,50 Mark) können in keinster Weise mit den künftig geltenden Bedingungen mithalten.

Die derzeit diskutierten Modelle der Besteuerung und der Berechnung sozialer Abgaben geraten allesamt in Höhen, die weit über 1.200,- Mark liegen, was einer Verdoppelung der Kosten gleichkommt. Wer wird daran zweifeln mögen, daß ein Griff in die Hosentasche und das Auszahlen von einem Handgeld da nicht wesentlich näher liegt, zumal die Hemmschwelle für derlei "Delikte" durch die tölpelhaften Eskapaden unserer Politiker in Regierung und Opposition immer niedriger wird.

Das Unrechtsbewußtsein schwindet von Tag zu Tag, und der Gedanke des "Kavaliersdeliktes" greift hierbei mehr und mehr Platz. Der Weg in die Förderung der Schwarzarbeit ist somit vorgegeben, ja fast schon verankert.

Perspektiven für 610-Mark-Kräfte

Was geschieht mit den Millionen Neben-Erwerblern? Die steuerlichen Bedingungen werden den "Nebenerwerb" kaum noch rechnen lassen. Bereits 610,- Mark sind ein viel zu schmales Einkommen, und reich kann dabei sicher niemand werden. Auch hier ist somit der Weg in die Illegalität vorgezeichnet und findet einen fulminanten Nährboden.

Als Unternehmer, Mitarbeiter, Steuerzahler und Beobachter des Ge-

schehens werden wir uns fragen, welcher Teufel unsere bestimmende Politik nun wieder reitet. Eine Erklärung kann lauten, daß viel zu wenig Praktiker in den Parlamenten sitzen, viel zu wenig Menschen, die wissen, was in den kleinen und mittelständischen Unternehmen täglich abläuft. Beispiele, wie SIEMENS, Mercedes Benz oder Karstadt sind für unsere Wirtschaft nicht repräsentativ, werden jedoch allzu gerne angeführt. Das Bruttosozialprodukt wird in viel größerem Stile auf der untersten Ebene des Wirtschaftsgefüges von Klein- und Mittelbetrieben erwirtschaftet. Das geht wohl an vielen Politikern und Gewerkschaftsfunktionären vorbei.

Nebenerwerbs-Jobs bleiben unumgänglich

Es gilt vielmehr zu überlegen, ob die 610-Mark-Grenze nicht sogar deutlich angehoben wird, was eine Unmenge von "Schwarzverdienern" geschickt legalisieren, zu einem enormen Anstieg der Steuer- und Sozialeinkünfte aus diesen Beschäftigungsverhältnissen führen und schneller den Umstieg in "ordentliche" Anstellungsverhältnisse fördern würde. Denn werden einmal die Unternehmer gefragt, ob sie nicht selbst lieber die gefestigten und zuverlässigen Vollbeschäftigten präferieren würden, so wäre die Antwort sicherlich ein einhelliges "ja". Es ist sicher nicht die Zielrichtung dieser Betriebe, ungerechtfertigter Weise unnötig viele Geringbeschäftigte zu verdingen.

Es ist - mit wenigen Ausnahmen, die es leider ja immer gibt - schlichtweg notwendig und unumgänglich, daß diese Form der Anstellung und des Nebenerwerbs bestehen bleibt, da das Kostengerüst und die schwankende Auslastung von vielen Ressourcen gar nichts anderes zuläßt.

Doch der Unsinn wird seinen Lauf nehmen. Die Steuerbehörden werden so viel zu tun bekommen. Lohnsteueraußenprüfungen werden erheblich öfter durchzuführen sein. Die Unternehmen werden künftig bei weitem tiefergehender geprüft und gegängelt werden müssen. Vielleicht ist ja auch genau das der eigentliche Grund für diesen Mumpitz: So werden weitaus mehr Finanzbeamte benötigt. Haben wir es also mit einer verdeckten Arbeitsbeschaffungsstrategie im fiskalischen Bereich zu tun. Vielleicht ja! Allein mir fehlt der Glaube, daß noch wirklich so viel Verstand in unserer Politik vorhanden ist.

*Stefan Rohr ist geschäftsführender Gesellschafter der r&p management consulting Hamburg/Düsseldorf/Frankfurt/Speyer/Hannover/Bremen

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