Einkauf auf Krankenschein

28.06.2001
Eine Beschaffungsplattform für Mediziner unterliegt weit komplexeren Anforderungen als ein klassischer Online-Shop. Medpiazza nahm die Herausforderung an und entwickelte auf Basis der Standardlösung Hybris Shop eine E-Commerce-Variante für Ärzte und Kliniken.

Mein bester Kunde bin ich selbst." Dieser Spruch könnte von der Medpiazza AG stammen. Weil das Systemhaus fürs Gesundheitswesen eine Beschaffungsplattform für Kliniken und Mediziner einrichten wollte und der Markt keine passende Lösung hergab, entwickelten die Spezialisten selbst ein System - und zwar auf Basis der Standardsoftware "Hybris Shop". Zu diesem Zweck ließ sich die Gesellschaft von der Hybris AG als Solution-Provider ausbilden und zertifizieren. Mit der Fertigstellung der Plattform mutierte der Entwickler von www.medpiazza.de zu deren Betreiber. Parallel entwickelt er das neue Basisprodukt für spezielle Kunden weiter, verkauft die individuell angepassten Varianten der Hybris-Medpiazza-Software an die Auftraggeber, implementiert und betreibt sie.

Mit zunehmenden Erfolg: "Wir sind Anfang dieses Jahres online gegangen", berichtet Klaus Aulenbacher, Vorstand der Medpiazza AG, "inzwischen bestellen etwa 12.000 Ärzte über unsere Lösung." In den ersten drei Monaten seit Inbetriebnahme des Systems habe die Gesellschaft den über Medpiazza.de generierten Umsatz vervierfacht. Jeden Monat kämen etwa 200 Ärzte als neue Nutzer hinzu. "Zudem haben wir bereits fünf Varianten von Medpiazza.de an Sonderkunden weiterverkauft", berichtet Aulenbacher.

So viel positive Resonanz hatte sich der Dienstleister von der elektronischen Beschaffungsplattform anfänglich gar nicht erwartet. Schließlich war sie eigentlich nur als Ergänzung des ursprünglichen Geschäftsfeldes gedacht: Das Systemhaus ist darauf spezialisiert, Patientenakten von Ärzten in vernetzten Praxen in einem Hochsicherheits-Intranet zu archivieren. Dabei entstand die Idee, das Angebot um eine Einkaufsplattform für Ärzte und Kliniken zu erweitern und deren Einkauf zu koordinieren.

"Eine komplette Eigenentwicklung der dafür benötigten Shop-Lösung schied aus Kosten- und Zeitgründen aus", offenbart der Medpiazza-Vorstand. Stattdessen hatte die Geschäftsführung beschlossen, ein Standard-Shop-System zu erwerben und an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Zunächst ohne großen Erfolg. "Wir haben die Pro- dukte von drei verschiedenen Herstellern getestet und bei allen mangelnde Flexibilität für die Weiterentwicklung festgestellt", klagt Aulenbacher. Der technische Support seitens der Hersteller ließ zu wünschen übrig, und deren Lösungen waren im Leistungsumfang eingeschränkt. "Außerdem bekamen wir dort keinen Zugriff auf den Quellcode. Den jedoch benötigten unsere Entwickler für die Programmierung der branchenspezifischen Funktionen", listet der Med- piazza-Chef seinen Forderungskatalog auf. Erst das vierte in Augenschein genommene Produkt, der System Hybris Shop, erfüllte alle Erwartungen des Dienstleis-ters. "Wir haben die Lösung anhand der Demoversion getestet, für gut befunden und dann das Solution-Partner-Programm absolviert", erklärt Aulenbacher. Daraufhin habe Hybris Medpiazza den Quellcode freigegeben und dem Partner damit die Möglichkeit eröffnet, auf Programmierebene Änderungen durchzuführen. Dazu Aulenbacher: "Das brachte uns die notwendige Flexibilität."

Und das zu einem geringeren Preis als ursprünglich vorgesehen: Die zunächst anvisierten Konkurrenzprodukte hätten teilweise viermal so viel gekostet wie das letztlich gewählte Shop-System. Doch nicht nur der günstige Preis für die Lizenzen sprach für den in München ansässigen Hersteller. "Uns erschien dieser Anbieter wie eine junge, hungrige Truppe", zieht Aulenbacher Bilanz: "Die Bereitschaft zur Flexibilität war noch da, der Dienstweg kurz und die Architektur der Lösung offen, so dass wir alle Änderungen problemlos durchführen konnten."

Wichtig: die Abrechnung über Rezept

Eine der Kernanforderungen von Medpiazza bestand darin, Einfluss auf die Zahlungsfunktionen der Software auszuüben. So gestattet die von den Entwicklern überarbeitete Lösung auch eine elektronische Rezeptabrechnung über die Kassen. "Dies wird derzeit von keinem anderen Shop-System unterstützt", so der Vorstand. Eine andere Eigenentwicklung führte zu speziellen Warenkörben, die auf die Bedürfnisse des Gesundheitswesen angepasst wurden und die normalen Favoritenlisten ergänzen. Mit ihrer Hilfe können Arzthelferinnen oder Krankenschwes-tern ihre täglichen, wöchent- lichen oder monatlichen Bestellungen von Verbrauchsmaterialien und Medikamente abwickeln. Darüber hinaus nimmt die Hybris-Variante auch Bestellungen mit gemischten Zahlungswünschen an, also etwa auf Rechnung oder Rezept, via Kreditkarte oder Lastschrift, bucht diese Transaktionen auf einem einzigen Formular ab und sortiert die Order danach in die verschiedenen Abrechnungsarten ein. "Auch dies ist bei normalen Shop-Programmen nicht möglich", so Aulenbacher. Ein eben- falls von dem Systemhaus konzipiertes Online-Management-Tool ermöglicht ferner Anwendern, alle eingehenden Bestellungen, Kunden- oder Artikeldaten über einen gängigen Webbrowser abzufragen, ohne das Backoffice-System von Hybris benutzen zu müssen. So können etwa Lieferanten die Orders, die auf ihr Unternehmen gebucht sind, direkt im Bestellsys-tem abfragen. Weiterhin hat Medpiazza die Suchroutine der Hybris-Lösung erweitert, um für einen Produktstamm von 55.000 Artikeln alle erdenklichen Suchmöglichkeiten anzubieten. Die Software ermöglicht die Recherche über die Produktkategorie oder die Pharmazentralnummer sowie die Volltextsuche durch alle Felder. "Im Moment können wir bis zu 200.000 Datenfelder auf einmal mit der Volltextsuche durchscannen", erzählt Aulenbacher. Nicht zuletzt wurde das System auf Microsofts SQL-Server abgestellt.

Alle Veränderungen nahm Medpiazza in Eigenregie vor. Zu diesem Zweck gründete das Unternehmen ein Joint-Venture mit der Universität Sofia. Zehn dort stationierte Programmierer sowie der deutsche Entwicklungsleiter übernahmen die notwendigen Anpassungen. Die Zusammenarbeit mit dem Anbieter des Originalproduktes verlief (fast) problemlos. "Am Anfang haben wir die nötigen Auskünfte und Softwaredaten von Hybris nicht schnell genug bekommen. Das lag sicherlich daran, dass wir neu waren und in den Augen des Herstellers zunächst nur wenig Umsatz machten", räumt der Vorstand ein. "Doch wir sind nun einmal nicht daran interessiert, möglichst schnell denkbar viele Lizenzen zu verkaufen, sondern wollen stattdessen große Projekte durchziehen. Wenn wir zum Beispiel ein Bestellsystem für zehn Kliniken implementieren, bedeutet das für uns eine Projektsumme von gut 100.000 Mark, für Hybris jedoch nur den Verkauf von einer Lizenz." So sei der Support von Seiten des Herstellers laut Aulenbacher anfangs etwas zögerlich angelaufen, doch nachdem Medpiazza den Stellenwert seiner Projekte bewiesen habe und klar geworden sei, dass das Unternehmen dringend Support benötige, erhalte es ihn auch.

Abgesehen von diesen organisatorischen Anlaufschwierigkeiten ver- lief das Projekt relativ unkompliziert. Die eigentliche Anpassung der Software bereitete den Entwicklern verhältnismäßig wenig Kopfzerbrechen. "Das Hauptprob-lem lag darin, dass Hybrisshop stark an der Microsoft-Datenbank Access orientiert ist. Access war für unsere Zwecke jedoch zu langsam. Daher haben wir von Anfang an auf den SQL-Server gesetzt und dementsprechend viele Änderungen am System vornehmen müssen", erinnert sich der Vorstand. Aber angesichts der übrigen massiven Eingriffe in die Datenbankstruktur habe diese Maßnahme für die Entwickler nur den Stellenwert einer Bedürfnisoptimierung gehabt. Von der gewählten Ausgangssoftware ist der Vorstand daher auch heute noch überzeugt: "Nachdem wir uns einmal in die Codes eingearbeitet hatten, waren wir in der Lage, schnell und ohne Herstellerunterstützung alternative Techniken zu bedienen."

Inzwischen sind die Hauptanpassungen vollzogen, und Medpiazza. de hat den Betrieb aufgenommen. Trotzdem arbeiten die Entwickler noch weiter an dem Projekt. "Weil im Gesundheitsbereich die Internet-Nutzung noch wenig verbreitet ist, sind wir gerade dabei, das System an alternative Endgeräte anzupassen, etwa Webpads oder Webphones", erläutert Aulenbacher. Webpads sind tragbare Monitore, die drahtlos ans Internet angeschlossen sind. Per Touchscreen können Anwender über diese Geräte online bestellen. Bei Webphones wiederum handelt es sich um handelsübliche Telefone, die über einen Touchscreen Verbindung zum Internet bereitstellen können. Ärzten, die zwar über eine ISDN-Dose, aber keinen klassischen Internet-Anschluss verfügen, erlauben diese Geräte, per Telefon online bei Medpiazza zu ordern.

Zusätzlich reagiert das Systemhaus fürs Gesundheitswesen auf einzelne Anwenderwünsche und verbessert weiterhin die Ergonomie der Lösung. Aulenbacher führt ein Beispiel an: "Unsere Kunden wollten separate Bestätigungen bei der Rezeptabrechnung. Diese Funk- tionalität erschließen wir gerade."

Auf Basis der einmal erarbeiteten Lösung entwickelt der Dienstleis-ter inzwischen auch individuelle Software für Kunden. Die gängigen Shop-Systeme könnten nämlich das Gesundheitswesen nicht bedienen, weil die Angebote so speziell seien, weiß Medpiazza zu berichten. Selbst die Abrechnung über Rezept sei beim Gros der Sys-teme nicht möglich. "Aus diesem Grund glauben wir, dass die verschiedenen Varianten unserer Beschaffungsplattform gut vermarktbar sind, und betreiben deshalb aktiv deren Fortentwicklung."

Zum ersten Käufer einer dieser Varianten avancierte eine private Kette von Rehakliniken, die darüber die Beschaffung von Verbrauchsmaterialien für zehn Kliniken abwickelt. Zweiter Kunde waren eine der größten Universitätskliniken Deutschlands sowie die daran angeschlossenen Häuser. Der dritte Abnehmer ist ein Verbund aus sechs Arztnetzkooperationen mit mehr als 12.000 Mitgliedern. Der vierte Abnehmer hat mit Medizin wenig zu tun: Mit dem Medpiazza-Ableger betreibt er einen Buch-Shop für religiöse Schriften, über den etwa Pfarreien einkaufen. Und der fünfte Anwender verkauft Produkte aus der Biotechnologie. Zudem laufen gerade Gespräche mit einigen privaten Krankenkassen, die das System als ihre eigene Beschaffungsplattform nutzen wollten.

Jeder dieser Sonderkunden hat neben der individuellen Lösung auch die Basis-Shop-Lizenz von Hybris erworben. Alle Käufer nutzen eigene Hard- und Softwaresysteme, die sich allerdings im Rechenzentrum von Medpiazza befinden und von dem Systemhaus gehostet werden. Diese Kunden sind nur an spezielle Lieferanten und nicht an das große Medpiazza-System angeschlossen. Dafür bieten sie individuelle Zahlungssysteme und speziell angepasste Prozessabläufe an.

Wer hingegen lediglich auf die Beschaffungsplattform von Medpiazza zugreift, benötigt keine Softwarelizenz von Hybris. Diese An- wender werden nach der Regis-trierung als Kundengruppe angelegt. Deren Mitglieder nutzen alle das gleiche Kernprogramm und werden von den gleichen Lieferanten bedient. Lediglich die Preise, die den einzelnen Kundengruppen hinterlegt sind, differieren.

Dabei ist der Service für die unter Medpiazza ordernden Kunden kos-tenlos. Der Dienstleister verdient sein Geld über die Transaktionen. Damit ist Medpiazza für deren Initiator weit mehr geworden als nur ein einmaliges Projekt. Es bietet dem Systemhaus ein regelmäßiges monatliches Einkommen - und das ist auch in der IT-Szene nicht zu verachten.

www.hybris.de

ComputerPartner-Meinung:

Mit E-Commerce lässt sich kein Geld machen, Totgeburten wie das Online-Modehaus boo.com und andere pleite gegangene Dienstleister beweisen dies? Von wegen! Es gibt auch Gegenbeispiele, wie dies Medpiazza.de aufs beste beweist. Egal, welches Modell die Kunden der Medpiazza AG bevorzugen, der Dienstleister verdient an jedem - als Service-Provider oder als Entwickler von weiteren kundenspezifischen Lösungen. Indem es eine Shop-Lösung an die eigenen Bedürfnisse angepasst hat, hat das Systemhaus weit mehr gewonnen als ein neues Produktportfolio: Es hat sich einen neuen Markt erschlossen, auf dem es hierzulande noch kein einziges Konkurrenzsystem gibt -und das alles auf Basis einer simplen Standard-Shop-Lösung von Hybris. (cry)

Solution Snapshot

Problemstellung: Zu entwickeln war eine Einkaufsplattform für Ärzte und Kliniken auf Basis der Hybris Shop Professional Edition. Dabei waren Sonderfunktionen wie die elektronische Rezeptabrechnung einzuarbeiten.

Lösung: Hardware: Maxdata Raid-Server mit Pentium-Xeon-Prozessoren und einer Standleitungsanbindung (fünf à zwei Mbit/s).

Software: Windows 2000 mit Microsoft SQL-Server 2000, Professional Edition von Hybris Shop.

Distributor: direkter Kauf bei Hybris respektive Maxdata

VAR: Medpiazza AG, Gutenbergstraße 42, 41564 Kaarst

Tel. 0 21 31/36 69-0, Fax 0 21 31/36 69-5 99, www.medpiazza.de

Ansprechpartner: Klaus Aulenbacher

Kontaktaufnahme: im vergangenen Jahr

Verhandlungsdauer: eine Woche

größte Herausforderung: Weiterentwicklung der Software an die speziellen Anforderungen des Gesundheitswesens

unerwartete Schwierigkeiten: Eingliederung der Funktion "elektronische Rezeptabwicklung" in das System

Projektdauer: Das Gesamtprojekt hat rund vier Monate länger gedauert als vorgesehen. Geplant war ursprünglich eine Entwicklungsdauer von sechs Monaten gewesen. Doch die ständig wachsenden Anforderungen von Seiten der Kunden erforderten immer neue Anpassungen.

Implementierungsdauer: ein Monat

vom VAR aufgewendete Mannstunden: rund 200 Mannstunden für die Implementierung; die Entwicklung der Zusatzfunktionen beschäftigte zwölf Entwickler fast ein Jahr lang (noch nicht abgeschlossen)

Kostenumfang des Projekts: rund 500.000 Mark

Verhältnis Hardware/Software/Dienstleistung: fünf Prozent Hardware, fünf Prozent Software, 90 Prozent Entwicklung und Implementierung

Service- und Wartungsverträge: Alle Spezialkunden von Medpiazza haben einen Supportvertrag mit dem Dienstleister abgeschlossen. Er läuft über mindestens zehn Monate und beinhaltet Support, Hotline, Standleitungsbetrieb und Aufrechterhaltung des Betriebs.

Schulung: Jeder Spezialkunde hat eine Schulung von mindestens 2 Tagen absolviert.

Benefit für Kunden: Das System berücksichtigt die speziellen Anforderungen des Gesundheitswesens an ein Beschaffungssystem. Solch eine Plattform gab es hierzulande bislang noch nicht auf dem Markt.

Benefit für VAR: Die Entwicklung der Sonderlösung von Medpiazza führten bereits zu mehreren Folgeprojekten. Derzeit laufen Gespräche mit weiteren potenziellen Anwendern.

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