Einsicht tut not: Oft treibt der Chef seine Leute zum Blaumachen

26.09.1997

MÜNCHEN: Unfähige Chefs treiben den Krankenstand in die Höhe. 60 Prozent der Mitarbeiter in Unternehmen mit hohen Fehlzeiten sind unzufrieden mit dem Führungsstil. Das ermittelte das Münchner geva-Institut bei Befragungen in mehr als 250 deutschen und Schweizer Unternehmen. In den Betrieben mit hohem Krankenstand halten 80 Prozent der Mitarbeiter ihren Chef für unfähig zu motivieren. Geklagt wird auch über mangelnde Aufstiegschancen, fehlende Unterstützung bei der Karriere und ungerechte Beurteilungen.

Die krankheitsbedingten Fehlzeiten in Firmen mit niedriger Arbeitszufriedenheit liegen 24 Prozent höher als in Unternehmen mit hoher Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Ausschlaggebend sei vor allem das Verhalten der Führungskräfte. Während sich die Manager ihrer positiven Wirkung sicher sind, ist das Urteil der Mitarbeiter oft vernichtend.

Eine wesentlich geringere Rolle spielen Faktoren wie ein attraktiver Arbeitsplatz oder eine qualitativ hochwertige Arbeit. So klagen lediglich 23 Prozent der unzufriedenen Mitarbeiter über schlechte Arbeitsbedingungen und nur zwölf Prozent über mangelnde Qualität ihrer Arbeit. Auch die Vergütung spielt bei weitem nicht die Rolle, die ihr oft beigemessen wird. Engagierte Mitarbeiter werden nicht gefördert, sondern aus Angst um die eigene Position ausgebremst. Lediglich 13 Prozent der Führungskräfte unterstützen ihre Mitarbeiter dabei, beruflich weiterzukommen. So klagen 59 Prozent der Mitarbeiter über mangelnde Aufstiegschancen, 53 Prozent beschweren sich über eine ungerechte Leistungsbeurteilung durch den Chef.

Falsche Einschätzung durch Führungskräfte

Die Untersuchungen des geva-Instituts belegen gleichzeitig, daß die Situation im Unternehmen von den Führungskräften häufig falsch eingeschätzt wird. Selbst in bezug auf die ihnen direkt unterstellten Mitarbeiter klaffen Wirklichkeit und Wahrnehmung der Führungskraft häufig eklatant auseinander. So glauben 52,9 Prozent der befragten Führungskräfte, daß sie im Regelfall Sorgen und Probleme ihrer Mitarbeiter erkennen und entsprechend darauf reagieren. Dies können jedoch lediglich 29,8 Prozent der Mitarbeiter bestätigen. Und während 71,7 Prozent der Chefs angeben, sich ausreichend Zeit für konstruktive Rückmeldungen zu nehmen, sind 61,2 Prozent ihrer Mitarbeiter genau gegenteiliger Meinung. "Fehlzeiten lassen sich über Kürzungen der Lohnfortzahlungen kaum dauerhaft senken, denn die Ursachen bleiben unberührt", argumentiert Michael Waadt vom geva-Institut. Rückkehrgespräche würden nur bei vorsätzlichen "Blaumachern" wirken. Tatsächlich erkrankte Mitarbeiter setze man nur zusätzlich unter Druck und sorge so für unnötige Demotivation.

Psychologen wissen, daß positive Verstärkung das menschliche Verhalten effektiver und dauerhafter verändert als Sanktionen. Gemeinsame Leistungsziele, Lob für Erfolge, gutes Betriebsklima, soziale Unterstützung in der Gruppe sowie vertrauensvolle Zusammenarbeit sind nicht nur wirkungsvolle Waffen gegen Fehlzeiten, sondern gleichzeitig auch Basis für Leistungsmotivation. Es ist die vornehmste Aufgabe der Führungskräfte, motivationsfördernde Bedingungen im Team zu schaffen. Wem das nicht gelingt, hat als Chef versagt.

Bessere Vorbereitung auf Führungsrolle

Manager müssen viel besser auf ihre Führungsaufgaben vorbereitet werden. Doch auch im Alltag ist es notwendig, ständig die Veränderungen des sozialen Klimas in der Arbeitsgruppe und die Zufriedenheitsindikatoren zu beobachten, in Zeitreihen zu verfolgen und mit internen und externen Benchmarks zu vergleichen. Auch wenn die wesentlichen Führungseigenschaften unternehmensübergreifend relevant und meßbar sind, kann die Relevanz einzelner Merkmale von Unternehmen zu Unternehmen und von Branche zu Branche stark variieren.

Im ersten Schritt muß geprüft werden, welche konkreten Führungsmerkmale dazu dienen, die Mitarbeiter sowohl hinsichtlich ihrer Leistung, ihrer Motivation und ihres Engagements zu verstärken.

Dabei sind die Gegebenheiten des Arbeitsplatzes und die Zusammensetzung des Mitarbeiterteams zu berücksichtigen. Im zweiten Schritt wird geprüft, in welchem Umfang die Führungskräfte diese Merkmale aufweisen, und ob die Mitarbeiter entsprechendes Verhalten im Alltag tatsächlich wahrnehmen.

Entsprechende Resultate liefern Führungsstilanalysen, Aufwärts-beurteilungen und Mitarbeiterbefragungen. (Norbert Hartmann)

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Süddeutschen Zeitung Nr. 128 vom 7./8. Juni 1997.

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