Electronic Commerce: Chance oder Gefahr für

12.06.1996
MüNCHEN: Mit dem Internet und anderen Online-Diensten bietet sich ein neuer Verkaufskanal an. Mit Warenhaus-Gigant Karstadt ist jetzt ein ganz Großer unter den Handelsunternehmen auf das Internet-Surfbrett gesprungen. Allerdings: Im Moment befindet sich alles noch in der Experimentierphase. Wie stark das Internet von den Kunden als virtuelles Kaufhaus frequentiert werden wird, steht heute noch nicht fest. Dennoch kommt niemand an diesem Thema vorbei.Keine Frage: Online-Shopping ist bereits Realität. Aktueller Beleg: http://www.sachsen.de. Auf dieser Website können kulinarische Puristen den einzig echten, original Dresdner Christstollen bestellen. Lieferung per Nachnahme. Was für weihnachtliche Backwaren recht ist, sollte für Hard- und Software eigentlich billig sein. Noch steckt das elektronische Kaufen und Verkaufen von Produkten rund um den Computer in den Kinderschuhen. Zwar spucken die Internet-Suchdienste ê la Yahoo Hunderte virtueller Ladenadressen aus, doch Geld verdienen tun diese Anbieter - so die landläufige Überzeugung - noch lange nicht.

MüNCHEN: Mit dem Internet und anderen Online-Diensten bietet sich ein neuer Verkaufskanal an. Mit Warenhaus-Gigant Karstadt ist jetzt ein ganz Großer unter den Handelsunternehmen auf das Internet-Surfbrett gesprungen. Allerdings: Im Moment befindet sich alles noch in der Experimentierphase. Wie stark das Internet von den Kunden als virtuelles Kaufhaus frequentiert werden wird, steht heute noch nicht fest. Dennoch kommt niemand an diesem Thema vorbei.Keine Frage: Online-Shopping ist bereits Realität. Aktueller Beleg: http://www.sachsen.de. Auf dieser Website können kulinarische Puristen den einzig echten, original Dresdner Christstollen bestellen. Lieferung per Nachnahme. Was für weihnachtliche Backwaren recht ist, sollte für Hard- und Software eigentlich billig sein. Noch steckt das elektronische Kaufen und Verkaufen von Produkten rund um den Computer in den Kinderschuhen. Zwar spucken die Internet-Suchdienste ê la Yahoo Hunderte virtueller Ladenadressen aus, doch Geld verdienen tun diese Anbieter - so die landläufige Überzeugung - noch lange nicht.

Online-Shopper schlau und reich

Dabei bescheinigen die Marktforscher und Demoskopen dem Electronic Commerce beinahe ideale Startbedingungen: Zwar haben nur gut vier Prozent aller Deutschen einen Online-Zugang (in den USA sind es fünfmal so viel). Die existierenden Onliner sind aber der Traum aller Marketing-Strategen: jung, gebildet, beruflich erfolgreich, vielseitig interessiert und wohlhabend. Da stört es auch nicht weiter, daß höchstens ein Viertel der zur Zeit etwa 3,8 Millionen Onliner weiblich ist. Das ist zumindest die IT-Branche ja schon seit langem von ihrer Kundschaft gewöhnt.

Das Shopping-Verhalten eben jener Käuferschicht sei, so orakelte jüngst Karstadt-Vorstand Klaus Eierhoff, im stationären Handel rückläufig. Im deutschen Handel bricht deshalb allerorten hektische Betriebsamkeit aus. Der Weg zur Zielgruppe ist gleichzeitig das Ziel der Marketing-Abteilungen: Online-Dienste und Internet. Wie überall im Cyberspace herrscht auch hier fiebrige Ungeduld: Erstmal dabeisein, nur nicht zu spät kommen - lautet die Devise. Die spektakulärste Neugründung auf dem virtuellen Marktplatz ist sicherlich die WWW-Mall "my-world" mit 150.000 Artikeln in 17 Shops, darunter auch Sony, Sega und IBM. 65 Millionen Mark läßt sich der Karstadt-Konzern das Online-Shopping-Projekt in den nächsten drei Jahren kosten. Die Kaufhof AG will im nächsten Jahr nachziehen.

Electronic Commerce kommt - wenn auch langsam

Ob und wann dieses Geld wieder zurückkommt, steht noch in den Sternen. Zwar behaupten zum Beispiel die Marktforscher von Diebold und Telemedia, daß fast 40 Prozent der Onliner über das Netz einkaufen, doch tun dies die meisten nur selten. Auch wenn Hardware und Software ganz oben auf der Einkaufsliste stehen, nimmt sich der insgesamt erzielte Warenumsatz im digitalen Vertrieb noch sehr bescheiden aus. 120 Millionen Mark wandern laut Diebold und Telemedia 1996 über den digitalen IT-Ladentisch. Das sind gerade mal 0,2 Prozent des IT-Branchenumsatzes (vergleiche Grafik). Aber: In zwei Jahren soll sich diese Zahl mehr als verfünffachen. Als Voraussetzung dafür nennt Diebold allerdings eine für den Handel fatale Bedingung: "Waren und Dienstleistungen (müssen) über spezielle Vertriebsprozesse (...) zu niedrigen Preisen angeboten werden, die durch die Einsparung beim Verzicht auf den Handel möglich werden."

Totengräber des Fachhandels?

Das bedeutet im Klartext: Die Hersteller trocknen wo immer möglich den indirekten Kanal aus, sparen so Kosten und gehen die Endkunden direkt an. Electronic Commerce also der Goldesel der Hersteller und der Totengräber des Handels? "Das bezweifle ich - zumindest bei den Markenherstellern. Den Direktvertrieb hatten wir doch schon. Da fehlte dann die lokale Kundenbindung und der Mensch als Interface. Damals hat kein Hersteller Lorbeeren gesammelt. Der Fachhandel ist nicht wegzudenken", glaubt Frank Garrelts, Generalbevollmächtigter der Lilienthaler Microteam-Gruppe und Gründer der PC-Fachhandelskooperation Arbeitskreis Computer-Fachhandel (AKC). Ähnlich sieht es auch Rainer Hettig, der den Bereich Neue Medien bei der Kölner BBE Unternehmensberatung GmbH leitet: "Selbst optimistische Schätzungen sehen in einigen Jahren nicht mehr als 7,5 Prozent des Umsatzes beim digitalen Vertrieb. Das werden sich die Hersteller nicht antun, wegen der paar Prozent den Handel zu verärgern."

Die Hersteller probieren's nur mal aus

Tatsächlich sind die Hersteller bemüht, ihre Vertriebspartner nicht in Unruhe zu versetzen. "An unserem Commitment zu unseren Business Partnern wird definitiv nicht gerüttelt. My-world ist kein Direktvertrieb. Karstadt fungiert als IBM-Händler. Wir sind dort präsent, weil wir das Internet als einen Channel der Zukunft betrachten. Wir wollen das einfach mal ausprobieren. Lassen sich so teure Produkte wie PCs überhaupt auf diese Weise verkaufen - ohne persönliche Beratung? Da wollen wir mit den Kunden lernen", beschreibt Jochen May die IBM-Karstadt-Kooperation, die er als IBM-Projekt-Manager betreut. In den ersten vier Wochen wurden acht Aptiva-PCs und neun Thinkpads bestellt. "Das betrachten wir als Erfolg", so May.

Auch Siemens Nixdorf streckt seine Fühler in Pilotprojekten in Richtung elektronischem Vertrieb aus; jedoch nur dort, wo es niemandem weh tut: "Wir sind auf unsere Partner angewiesen. Und die haben uns gesagt: ,An Consumer-PCs und dem Zubehörgeschäft sind wir sowieso nicht interessiert. Also werden wir dort neue, digitale Vertriebsformen testen. Der Wettbewerb kommt da eher vom klassischen Versandhandel", beschwichtigt Klaus Hommer, der bei SNI die neugegründete Abteilung "Advanced Services and Media" leitet.

Zu den SNI-Partnern in Sachen Electronic Commerce gehört auch die erst 1992 von dem frischdiplomierten Physiker Stephan Schambach gegründete Jenaer Netconsult Communications GmbH. Ursprünglich entwickelte Netconsult Datenbankapplikationen.

Electronic Commerce aus Ostdeutschland

Vor zwei Jahren stellte das Unternehmen dann vollständig auf Electronic Commerce um, und brüstet sich heute, mit "Intershop Online" die erste schlüsselfertige Lösung für den elektronischen Handel im Internet zu haben. Gleichzeitig mit der Markteinführung von Intershop Online vor einem Jahr eröffnete Netconsult auch einen eigenen Internet-Computershop mit angeblich 18.000 verschiedenen Artikeln. Der virtuelle Shop macht nicht mehr als drei Millionen Mark Umsatz im Jahr. "Monitore, Modems, Grafik- und Soundkarten verkaufen sich gut. Damit holen wir die Kosten plus/minus null wieder rein", erklärt Netconsult-Unternehmenssprecher Heiner Schaumann. Der Online-Store dient dem Unternehmen vor allem als Vorführobjekt für Vertriebspartner und Endkunden. Bisher verkauften die Jenaer weltweit nicht mehr als 25 Lizenzen. "Das entspricht unseren Erwartungen", sagt Schaumann. Die Lizenzerlöse machen nur einen kleinen Teil der zirka zehn Millionen Mark Umsatz von Netconsult aus. Das Gros der Einkünfte stammt aus dem Geschäft mit Projekt- und OEM-Kunden. Schon im nächsten Jahr will der ostdeutsche Aufsteiger an die New Yorker Börse. Filialen in Paris und San Francisco sind bereits gegründet. Ab 1998 soll das Ganze auch Gewinn abwerfen.

Einer macht schon Geld im Internet

Als Hauptzielgruppe seiner Lösung gibt Netconsult nicht die Hersteller, sondern mittelständische Händler an. Aus eben diesen Reihen stammt auch ein Referenzkunde, der mit dem elektronischen Handel nach eigener Aussage schon heute kräftig Kasse macht. Die Hamburger Dart Software GmbH macht mit zwölf Angestellten fünf Millionen Mark Umsatz und bezeichnet sich als Spezialdistributor für objekorientierte Entwicklungstools und Softwarekomponenten. Geliefert wird an 120 Händler und VARs, aber auch an mehr als 1.000 Endkunden. Seit Oktober 1995 sind zwei Drittel der 900 Dart-Produkte auch online im WWW erhältlich. Vor kurzem hat das Unternehmen mittels einer Studie Bilanz gezogen. "Das Ergebnis ist sensationell. Das hatten wir so nicht erwartet", jubelt Geschäftsführer Wilfried Beeck. Alles in allem hat Beeck in seinen Internet-Shop mit eigenem Webserver 70.000 Mark investiert. Hinzu kommen laufende Kosten von jährlich 60.000 Mark. Demgegenüber stehen eingesparte Personal- und Telefonkosten von mehr als 160.000 Mark im Jahr. "Insgesamt werden wir durch das Intershop Online Bestellsystem in den nächsten drei Jahren jährlich 150.000 Mark einsparen. Das hat sich super rentiert", freut sich Beeck. 20 Prozent aller Bestellungen gehen inzwischen online ein. Das entspricht aber nur fünf Prozent vom Umsatzvolumen. Mit anderen Worten: Es sind vor allem Kleinaufträge, die übers Netz hereinkommen. "Zwar sind die Hälfte aller Neukunden Online-Kunden. Sehr viel zusätzlicher Umsatz läßt sich aber nicht generieren. Im wesentlichen handelt es sich um eine Verschiebung, die Kosten spart", faßt Beeck zusammen.

Auch der Dart-Chef ist überzeugt, daß die alte Wertschöpfungskette Hersteller-Distributor-Händler-Kunde noch einige Jahre erhalten bleibt. Voraussetzung sei aber, daß sich die Händler selber bei den digitalen Vertriebskanälen engagieren: "Wenn Sie so was selber anbieten, überläßt es der Hersteller Ihnen. Wenn Sie nichts tun, macht er's selber. Da stecke ich mir die Kostenreduktion doch lieber selber in die Tasche." Hinzu kommt: Die Hersteller müßten erst enorme Beträge in den Aufbau einer Vertriebs- und Lagerlogistik investieren, um überall so präsent zu sein wie die Händler heute.

Viele Wege für den Händler ins Internet

Wie aber kann nun der IT-Händler eine Online-Filiale aufmachen, und was bringt es ihm? Für den Computershop an der Ecke lohnt es sich sicher nicht, einen eigenen Webserver hinzustellen. Im den unendlichen Weiten des Internet würde er ohnehin wie ein Tropfen im Ozean verschwinden. Da bietet es sich an, sich mit anderen zusammen zu tun. Diese Möglichkeit bietet Frank Garrelts den AKC-Mitgliedern an. Die zur Zeit etwa 870 Mitglieder der Einkaufs- und Marketing-Gemeinschaft sind für ihren Mitgliedsobulus von 200 Mark im Monat auf der AKC-Homepage www.akcent.de zumindest schon einmal mit Adresse, Kurzinfo und Logo vertreten. Eine eigene Homepage kostet noch mal monatlich 49 Mark. Bisher bieten nur knapp 150 Mitglieder eigene Webseiten an, und nur ein Bruchteil von ihnen verkauft auch elektronisch. Auf der AKC-Homepage befindet sich aber bereits ein Kaufhaus für Angebote der Akcent-Partner. "Das ist so eine Schnäppchenecke. Wir verstehen uns eher als Basar. Von my-world sind wir noch weit entfernt. Im Gespräch ist aber eine gemeinsame Warenwirtschaftslösung ab 1997", erläutert Garrelts.

Einen anderen Weg zum Netzkunden möchte die BBE Unternehmensberatung im nächsten Jahr anbieten. Die Tochter des Hauptverbandes des deutschen Einzelhandels (HDE) will einen branchenübergreifenden, elektronischen Marktplatz namens ELMA für mittelständische Händler aufmachen. Und das, obwohl die BBE in einer eigenen Umfrage herausgefunden hat, daß sich 81 Prozent der Fachhändler nicht die Bohne für Tele-, Online- oder Homeshopping interessieren. Die Händler betrachten elektronisches Verkaufen eher als Spielwiese für die großen Handelskonzerne und für den Direktvertrieb der Hersteller. Eben deshalb will BBE-Manager Rainer Hettig die Händler wachrütteln: "Die einzige Chance für den Einzelhandel, den Herstellern zuvor zu kommen, ist, sich in Plattformen zusammenzuschließen." Das kostet den Händler bei der BBE für fünf Webseiten ab 3.000 Mark pro Jahr. Bisher zählt Rettig Anfragen von über 50 Händlern. Computerhändler sind noch nicht darunter. "Immer her damit!", ruft Rettig.

Es geht auch ohne virtuelles Geld

Das Inkasso beim Internet-Shopping läuft nach wie vor fast ausschließlich per Nachnahme oder Rechnung. Elektronisches Zahlen im Internet ist noch die absolute Ausnahme. Ob mit Kreditkarte (Cybercash, First Virtual), elektronischen Schecks (Checkfree Wallet, Netchec) oder E-Mail-Coupons (Ecash, Netcash): Ideen und Pilotprojekte gibt es viele, Standards keine. Das braucht's nach Ansicht vieler aber auch gar nicht für den Durchbruch des Electronic Commerce. "Idiotische Idee, daß die Kunden das Geld per Mausklick rüberschaufeln. Das wollen die Leute gar nicht", ist AKC-Mann Garrelts überzeugt. Und selbst beim Intershop-Computerstore von Netconsult zahlen höchstens zwei Prozent mittels Cybercash per Kreditkarte.

Schnäppchen verscherbeln alleine reicht nicht

Bleibt die Frage, was ein IT-Händler für welche Zielgruppe denn überhaupt anbieten soll im Netz der Netze. Standardisierte Produkte mit wenig Dienstleistungsaufwand eignen sich am besten für den elektronischen Verkauf. Dazu zählen PCs, einfache Peripheriegeräte, Zubehör, CDs, Standardsoftware und dergleichen. Dinge, die es eben auch seit langem schon im klassischen Versandhandel gibt. Der Vorteil für den Online-Kunden ist die ständige Aktualität der Angebote und die größere Preistransparenz im Netz. Damit ist aber auch schon klar, daß der Händler im Netz kein Refugium vor dem dreisten Konkurrenten und seinen Dumping-Preisen finden wird - eher im Gegenteil. Er kann allenfalls verhindern, daß existierende Kundschaft abwandert, weil er noch keinen Online-Verkauf anbietet.

Mit dem digitalen Verscherbeln von Schnäppchen ist es aber nicht getan. "Schauen Sie sich doch nur mal die Homepage vom Media-Markt an, wie die sich über die letzten Monate verändert hat. Zuerst wurden lauter Schnäppchen angepriesen. Das ist vorbei. Heute bieten die Support-Dienstleistungen, Produktinformationen und Chat-Foren an", hat Garrelts beobachtet. Seine Konsequenz: Genau das muß auch der Händler tun. Regionale Informationen und Support für die Kunden, die für solche Dienstleistungen nicht mehr einzig zum - meist besetzten - Telefon greifen oder sich im Laden in die Schlange stellen wollen. Auch die vielzitierte persönliche Beratung beim Fachhändler läßt sich online zumindest teilweise ersetzen, etwa durch Formularabfragen, die eine für den jeweiligen Kunden geeignete PC-Konfiguration ermitteln. "Selbstbedienungsberatung" nennt das Dart-Chef Beeck.

Der elektronische Markt ist schon da

Electronic Commerce ist kein weiterer Popanz realitätsferner Internet-Enthusiasten. PC-Hersteller Dell hat Anfang 1996 seinen Web-Shop aufgemacht und nach eigenen Angaben in den ersten vier Wochen Bestellungen für mehr als neuen Millionen US-Dollar an Land gezogen. BBE-Manager Rettig ist sich sicher: "Der Handel wird sich öffnen müssen; ob er will oder nicht." Denn eines ist sicher: Die Amerikaner mögen den Deutschen in vielen IT- und sonstigen Belangen voraus sein; beim Einkaufen vom Wohnzimmersessel aus ist der deutsche Michel Weltmeister. Umgerechnet 470 Mark geben die US-Bürger für Versandshopping aus. Hierzulande sind es 500 Mark pro Kopf. (ld)

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