Enquete-Kommission "Informationsgesellschaft" veröffentlicht Bericht

17.09.1998

MÜNCHEN: Sie überraschen uns mit Bitsteuer und Kryptografieverboten, verklagen Internet-Provider und hauen uns CE-Regelungen und Meisterbriefe um die Ohren. Lauschangriffe auf E-Mail und Internet-Surfer auch ohne konkrete Verdachtsmomente werden nicht nur diskutiert. Ist die Politik reif für das angebrochene Informationszeitalter? Die Antworten darauf finden sich im soeben veröffentlichten Bericht der seit zweieinhalb Jahren tätigen EnquÉte-Kommission des Bundestages.Für den einen treten die Staus auf den Datenautobahnen vor allem in der Ferienzeit auf, für die anderen ist Telearbeit ein Job in einem Fernsehstudio. So oder zumindest nicht viel anders zeigt sich die Qualifikation der Politik zu Beginn des neu anbrechenden Zeitalters in der Öffentlichkeit. Um überhaupt noch den Anschluß an die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie (IuK) zu erhalten, konstituierte der Deutsche Bundestag am 5. Dezember 1995 eine EnquÉte-Kommission bestehend aus Parlamentariern aller im Bundestag vertretenen Parteien sowie Sachverständigen. Titel: "Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft". Kurz vor der Sommerpause hat die Kommission ihren Schlußbericht vorgelegt. Die darin aufgezeigten Chancen und Risiken sollte jeder Fachhändler kennen, denn es wird sich einiges ändern im neuen Jahrtausend.

Obwohl für die einen das Informationszeitalter bereits beginnt, sehen andere erst in der Mitte des nächsten Jahrhunderts einen Wandel der Industriedominanz zur informationsbasierenden Gesellschaft. Während die einen schon jetzt Rahmenbedingungen für die Arbeitsplätze der Zukunft schaffen wollen, versuchen andere die derzeitige Arbeitslosigkeit als Anhaltspunkt für den Wunsch zur Selbständigkeit zu erklären.

Hohe Verbindungskosten blockieren stärkere Nutzung des Internet

Doch über das übliche Parteiengeplänkel hinaus haben sich Eckpunkte für die Zukunft ergeben. Konsens erzielten die Mitglieder beispielsweise darüber, daß eine weitere Globalisierung durch die steigende Akzeptanz des Internet stattfindet und eine stärkere Nutzung des World Wide Web in Deutschland durch die hohen Verbindungkosten gebremst wird. Diesbezüglich sieht die Mehrheit in absehbarer Zeit auch eine Veränderung des Kaufverhaltens durch Direktkauf unter wachsender Ausschaltung des klassischen Handels. Die Zukunft gehört nach Meinung der Experten den kleinen, flexiblen und innovationsfreudigen Unternehmen, die erfahrungsgemäß schneller auf Kundenwünsche reagieren können.

Wer den schnellen Euro statt einer individuellen Beratung und Problemlösung praktiziert, wird in der näheren Zukunft bereits Existenzprobleme bekommen. Hier zeichnet sich schon heute der Verdrängungswettbewerb bei Versand und Cash & Carry ab. Neben maßgeschneiderten, termingerechten Produkten hoher Qualität bieten sich dem Fachhandel durch die gewachsene Kompetenz im Kommunikationsmarkt und durch seine Präsenz vor Ort gute Existenzgrundlagen wenn eine Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit vorhanden ist. Die zunehmende Bildung virtueller Unternehmen wird im 21. Jahrhundert ausführende Kompetenz vor Ort erfordern, die rationalisierte Produzenten nicht leisten wollen und können, da nur noch die Beschränkung auf Kernkompetenzen ausreichend profitabel sein wird.

Es wird also ein individualisierter, hochqualifizierter und kundennaher Fachhandel gefragt sein, der als Schnittstelle zwischen Produktion und Anwender fungiert. Auf der Anwenderseite wird Medienkompetenz erwartet, die es mit geförderten Schulungen, neuen Berufsbildern und vor allem einer lebenslangen Lernbereitschaft ständig zu aktualisieren gilt.

Der Fachhändler muss zum Dienstleister werden

Neue Ertragsfelder gibt es im Beratungsbereich: Webseiten-Erstellung, Vermietung und Pflege, Support und Wartung von Hard- und Software. Telearbeit - besser Teleheimarbeit - ist die neue Arbeitsform in der Infogesellschaft. Solange Menschen noch mehrheitlich ihren Wohnort verlassen müssen, um an einer Produktionsstätte ihren Beruf auszuüben, kann noch nicht von einem Informationszeitalter gesprochen werden. Ein führendes Wirtschaftsland, das die Bundesrepublik Deutschland zweifellos noch ist, darf es sich allerdings nicht erlauben, den Weg dorthin nur zu kommentieren und auf Veränderungen zu reagieren, sondern die Politik hat die Pflicht, das neue Zeitalter zu gestalten, indem sie beispielsweise aktiv Telearbeitsplätze fördert, soziale Mindestabsicherungen für die "neuen Selbständigen" festlegt, Internet-Anschlüsse bezuschußt oder die Telefoniekosten subventioniert. Verordnungen und Gesetze, die eine Annäherung an die Informationsgesellschaft blockieren oder bremsen, müssen verändert werden (Handwerksordnung, berufliche Bildungsgesetze, Bürokratismus etc.). Eine Bildungs- und Forschungsinitiative hat den Standort Deutschland in eine konkurrenzfähige Startposition 2000 zu bringen.

Medienkompetenz: In der Praxis kaum vorhanden

Zu diesem Zeitpunkt wird in den USA jede Schule am Internet angeschlossen sein, während bei uns Hauptschüler dem Lehrpersonal Nachhilfeunterricht in Sachen Computer geben müssen. Wir haben in Deutschland zwar die technischen Voraussetzungen, aber weder personell noch politisch das Umfeld geschaffen. Im Gegenteil, der jetzt noch gesuchte Informatiker wird kurz nach dem Millenium und der Euro-Umstellung immer überflüssiger werden. Es werden kreative Multimediadesigner, Webmaster und Informationsbroker sein, die gesucht werden - wer bildet sie aus? Es wird darum gehen, virtuelle Unternehmen und Projekte zu begleiten, zu koordinieren und zu terminieren. Der Fachhandel wird quasi als Subunternehmer der Hersteller vor Ort agieren. Wo sind die Koordinatoren? Welcher Fachhändler kann sich heute vorstellen, Media-Markt- oder Versandhausrechner gegen Provision oder Festsatz beim Kunden vor Ort zu installieren? Wer kann sich vorstellen, morgen für einen koreanischen und übermorgen für einen amerikanischen Produzenten einen 24-Stunden-Notdienst zu betreiben oder für Microsoft bei einem mittelständischen Unternehmen Updates durchzuführen? Der Hardwareverkauf wird für den Fachhandel zweitrangig werden, die Medienberatung und der Support erstes Standbein. Wer dieser Entwicklung nicht folgen will oder kann, muß den Weg der Videotheken und Bräunungsstudios gehen.

Weder Programmierer noch Betriebswirtschaftler werden mit dem Kenntnisstand des 20. Jahrhunderts gebraucht, noch weniger aber Politiker aus dem Industriezeitalter. Wer lebenslanges Lernen fordert, sollte nicht die 80er Jahre zitieren, in denen 640 KB Arbeitsspeicher bis ins nächste Jahrtausend reichen sollten. Die Gesellschaft braucht aktuelle Visionen, der Fachhandel Wege in das Morgen, die ständig aktualisiert werden. Wer die Infogesellschaft nicht packt, kollabiert im Zwang des Wirtschaftswachstums und macht sich abhängig von den agierenden Regierungen wie der USA oder den daraus folgenden Wissens- und Informationszentren der Online-Welt. (kew)

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