"Entscheidend für den Erfolg eines Buches ist letztlich immer der Inhalt"

22.06.2000
Die Bertelsmann-Tochter BOL.de bietet seit kurzem das Rocket E-Book von Nuovomedia auf dem deutschen Markt an (siehe ComputerPartner 23/00, Seite 14). Ute Weinhold ist Senior-PR-Managerin bei BOL Deutschland und sprach mit ComputerPartner-Redakteurin Marzena Fiok über die Zukunft des digitalen Buchs und die Auswirkungen auf den Literaturmarkt.

Es hat länger gedauert als ursprünglich vorgesehen, aber nun ist das Rocket E-Book auch auf dem deutschen Markt erhältlich. Wie viele und welche digitalisierte Bücher werden interessierte Kunden bei BOL.de finden?

Weinhold: Da die meisten Verlage das E-Book unterstützen, können wir unseren Kunden ab sofort 500 deutschsprachige Titel als so genannte Rocket-Editions anbieten. Darunter sind Bestseller wie "Die Asche meiner Mutter" von Frank McCourt, Krimis von Martha Grimes, Klassiker wie die "Verwandlung" von Kafka, aber auch Wörterbücher und Fachliteratur - also eine recht breit gefächerte Palette. Wir erwarten, dass schon in absehbarer Zeit mehrere Hundert Titel sukzessive folgen.

Der erste Versuch, ein Buch rein digital zu veröffentlichen - Stephen Kings "Riding the Bullet" -, war ein durchschlagender Erfolg. Kann das als Hinweis auf das Marktpotential gewertet werden, das in diesem Thema steckt?

Weinhold: Entscheidend für den Erfolg eines Buches ist letztlich immer der Inhalt. Ein Werk von Stephen King generiert also per se großes Interesse. Über den immensen Erfolg waren aber wohl alle dann doch sehr erstaunt. Dass sich so viele Menschen ein Werk digital heruntergeladen haben, lässt vermuten, dass dieses Marktsegment ein recht interessantes Potential bietet.

Erwarten Sie nach der Einführung der Hardware einen Run auf die digitalen Bücher, oder rechnen Sie eher mit einem verhaltenen Start?

Weinhold: Bereits einen Tag nach unserem Launch haben wir mehr Rocket-Editions verkauft als erwartet. Dennoch: Von einem Run zu sprechen wäre übertrieben. Untersuchungen aus den USA, zum Beispiel von International Data Corporation, schätzen, dass der Markt für eBook-Reader bis zum Jahr 2004 auf 2,8 Millionen verkaufte Exemplare ansteigen kann. Andere Analysten rechnen mit einem Zehn-Milliarden-US-Dollar-Markt.

Welches Klientel wird mit den digitalen Büchern angesprochen? Ist es eher der Trendsetter, der leichte Literatur bevorzugt, der Arzt, der Fachbücher mitschleppt, oder der traditionelle Bücherfreak?

Weinhold: Wir hoffen natürlich, dass sich möglichst viele Zielgruppen für das Rocket E-Book interessieren. Denn das Rocket E-Book bietet für jeden etwas: technische Raffinessen wie Hyperlinks oder das Kopieren von Passagen in andere Dokumente et cetera für Technik-Freaks. Dem traditionellen Vielleser bieten wir viel Convenience: Lesekomfort auch bei schlechten Lichtverhältnissen oder ein leichtes Gepäck auf Reisen. Der professionelle Anwender kann sich eigene Dokumente speichern und natürlich auch alle Vorzüge des HTML-Formates nutzen.

Glauben Sie, dass digitale Bücher die gedruckten langfristig ersetzen werden?

Weinhold: Dies wird mit Sicherheit nicht der Fall sein. Digitale Bücher werden das bereits bestehende Angebot ergänzen, in einigen Nutzungssituationen aber den gedruckten Büchern überlegen sein. So etwa, wenn man nicht viele einzelne Bücher mitnehmen kann oder wenn umfangreiche Texte nach einzelnen Stellen durchsucht werden müssen.

BOL hat in Deutschland einen erfolgreichen Start hingelegt und erfreut sich bei den Kunden wachsender Beliebtheit. Werden die traditionellen Buchläden überflüssig?

Weinhold: Auch dies glauben wir nicht. Das Verhältnis zwischen den Internet-Shops und dem stationären Buchhandel ist durch Komplementarität gekennzeichnet. Beide Angebote ergänzen sich gegenseitig. Es wird weiterhin Situationen geben, in denen der Kunde am liebsten im "Buchladen um die Ecke" einkauft. Es wird aber auch immer mehr der Fall sein, dass der Kunde die Vorteile des zeitlich, räumlich und in Bezug auf das Angebot unbegrenzten Einkaufs via Internet nutzen möchte. Die stationären Läden müssen sich aber generell den Anforderungen der digitalen Wirtschaft stellen, das E-Book ist nur ein Baustein des gesamten Phänomens.

Besteht bei der digitalen Literaturform nicht die Gefahr, dass die Schriftsteller ihre Bücher auf der eigenen Homepage selbst anbieten und damit auch Verlage und traditionelle Vertriebswege verzichtbar werden?

Weinhold: Wir glauben kaum, dass die Schriftsteller auf die Marketing- und Vertriebsmacht der Verlage verzichten können und wollen. Bestes Beispiel aus der Musikbranche hierfür ist Prince.

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