Erfolgreiches System-Potpourri - aber ohne Beteiligung des Fachhandels

29.08.2002
Zwar steht in mehr als 30 Prozent der deutschen Haushalte ein PC, und Hochrechnungen zufolge haben fast 14 Millionen Deutsche Online-Zugang, doch mit Home Networking tun sich Hersteller, Kunden und der Fachhandel nach wie vor schwer. Dabei ist der Markt für die Vernetzung privater IT-Geräte der Garant für Milliardengewinne. Wer, wenn nicht er, hat alle Merkmale für den Boom: eine unbegrenzte Nachfrage, genährt von mannigfaltigen, privaten Bedürfnissen, die zu ständigen Produktdiversifizierung veranlasst?

Kann es sein, dass ein ganzer Markt von einem Mangel blockiert wird? "Ja", sagt Marco Peters, Chef von Netgear Deutschland, "es fehlen Breitbandanschlüsse." Er rechnet vor, dass in Deutschland von 38 Millionen Haushalten gerade mal 2,5 Millionen mit Breitbandanschlüssen versorgt sind.

Geht es nach der Deutschen Telekom, sollen hierzulande zwar in den kommenden vier Jahren zwischen sechs und acht Millionen zahlende DSL-Haushalte gelistet sein. Auch US-Marktforscher IDC legt diese Zahlen seiner neuesten Prognose zur Heimvernetzung in Deutschland zugrunde. Er rechnet mit rund 6,3 Millionen Haushalten in Deutschland, mit rund 19,5 Millionen Haushalten in Westeuropa - in drei Jahren.

Doch erstens erscheint diese Breitband-Durchdringung bei weitem nicht so fortgeschritten zu sein, wie es sich Hersteller und Privatkunden wünschen, und zweitens dürften bis dahin neben ISDN- auch (Glasfaser-)Kabel-, Satelliten-, Strom- und UMTS-Verbindungen für weitere Internetzugänge gesorgt haben.

Zusätzliche, durchaus legitime Spekulationen über das Jahr 2004, also den Home-Networking-Markt in zwei Jahren, sind möglich. Die Szenarien reichen vom "Vernetzten Haus" bis hin zu - derzeit allenfalls futuristisch wirkenden - tragbaren Minichips, die jeden Menschen zum Kandidaten für den permanenten Anschluss an WANs oder LANs machen. Außerdem hat sich Microsoft aufgemacht, das Netz zu seiner Domäne zu machen. Für reichlich Gesprächsstoff im künftigen Home-Netzworking-Markt ist also gesorgt.

Gegenwärtig aber bestimmen diesen Markt, nachdem er endlich boomt beziehungsweise, wie SMC-Managerin Tanja Klein sagt, "auf hohem Niveau stagniert", strikt praktische Anforderungen: Man will gemeinsamen und schnellen Internetzugang, PDA-Verbindung zum hauseigenen LAN, Vernetzung von Peripheriegeräten wie Drucker und Faxgerät sowie die Einbindung von digitalen Kameras oder Camcordern.

Funk ...

"Am einfachsten wäre es, Ihre zwei PCs über ein Kabel zusammenzuschließen", sinniert ein Münchener Retail-Mitarbeiter. Der Hinweis, dass die zu vernetzenden PCs im Keller und im ersten Stock befinden, ändert seine Meinung schlagartig. "Warum installieren Sie nicht ein Funk-LAN?"

Damit hat er die Frage gestellt, die derzeit Heimvernetzer - sieht man vom ebenso wichtigen Breitbandzugang zum Internet ab - am meisten beschäftigt: Was ist bei der Heimvernetzung vorzuziehen? Verkabelung oder drahtlose Verbindungen?

Dass es darauf keine richtige Antwort gibt, sondern nur den Möglichkeiten des Heimvernetzers angepasste Antworten, liegt seit rund einem Jahr, seit der Standardisierung des 2,4 GHz- Funknetzes mittels 802.11b, auf der Hand. "Wenn Sie die Kosten vergleichen, springt klar ins Auge: Ein Access-Punkt und drei Funk-Karten kommen Sie auf jeden Fall billiger als eine Ethernet-Hausverkabelung mit Kategorie-5-Kabeln", versucht D-Link-Manager Markus Stritzelberger die Debatte in Richtung der umworbenen Funknetze zu bewegen.

Tatsächlich sind standardisierte Funk-LAN-Produkte innerhalb eines Jahres so billig geworden, dass sie mit Ethernet-Kabelangeboten mehr als konkurrieren können. Entsprechend findet sich kaum mehr ein Analyst, der nicht den privaten Funknetzen eine große Zukunft voraussagen würde.

Der prozentuale Anteil der privaten Wireless LANs am europäischen WLAN-Gesamtumsatz werde sich von derzeit sieben Prozent auf 14,5 Prozent im Jahr 2005 verdoppeln, sagt Marktforscher Frost & Sullivan. Wer den Lobbyisten der Industrievereinigung Intenet Home Alliance (IHA) Glauben schenkt, wird allein in den USA mit rund 25 Millionen Haushalten - das ist fast die Hälfte der vernetzten US-Haushalte - Geschäfte anbahnen können. Denn, so trommelt die rund 70 Hersteller zählende Vereinigung, diese 25 Millionen liebäugeln "wegen der zu erwartenden Verbesserung der Lebensqualität" mit dem vernetzten Haushalt.

Unabhängig davon ist im Moment so viel sicher: Nach langem und erbittertem Streit der - deshalb zum Teil verschwundenen - Hersteller hat sich nun die Funktechnologie von komplizierten und proprietären zum einfachen, von Standards geprägten Fall gemausert. "Die Produkte haben sich stark vereinfacht", lobt Thomas Boele, Network Consultant bei 3Com in München, die Fortschritte der Netzwerker. "Es haben sich Funkstandards etabliert, welche die Interoperabilität von Produkten verschiedener Hersteller garantieren." Zudem seien Fortschritte bei den weit schnelleren 802.11a-Standardisierungen gemacht worden. Doch dieses 5-GHz- Netz hat die deutsche Regulierungsbehörde RegTP vorsorglich auf Eis gelegt.

Hinzu kommt, dass gleichzeitig immer mehr Endkunden zugunsten der Vernetzung ihrer privaten Sphäre ihre - durchaus berechtige - Scheu, sich in ihrer privaten Umgebung mit Elektrosmog-verdächtig funkenden Geräten zu umgeben, allmählich ablegen. Wer DECT-Telefone gewöhnt ist, beäugt Kabel ohne besondere Zuneigung.

... und Kabel

Von Standards im Ethernet-Bereich ist schon lange nicht mehr die Rede. Es gibt sie, das Geschäft nahezu aller Anbieter von Netzkomponenten beruht auf ihnen. Gigabit-Ethernet über Glasfaser als mögliche Zugangsverbindung zu Privathaushalten wird diskutiert; in manchen Städten, etwa Rom, Paris oder Stockholm, probiert man sie mit Hilfe von Netzwerker Cisco bereits aus, doch real ist derzeit, neben teuren und teils auch nur spielerisch angeführten Überlegungen, die Ethernet-Verkabelung. "Sie hat Preisschwellen, die happig sind", lautet die allgemeine Meinung der Anbieter von Heimvernetzung.

Denn Kabel haben den Fehler, dass sie verlegt werden müssen. Dieser Umstand ist in Bürogebäuden nahezu selbstverständlich, weshalb sich jedes Geschäftsmodell auch daran orientiert. Und weil es auch für private Verkabelung zugrunde gelegt wird, ist Verkabelung, die mehr als ein Zimmer meint, teuer. Kategorie-5-Kabel, unerlässlich für die Ethernet-Verbindung in Privathaushalten, Netzkarten und der Anschluss an einen Breitband-Router, womöglich auch einen zusätzlichen Switch für garantierte Übertragungsleistung im Privatnetz, schlagen mit mindestens einem Drittel mehr zu Buche als Funklösungen.

Unbestritten ist deshalb in Kreisen der Netzwerkanbieter, dass derzeit kaum ein Systemhaus oder Ladengeschäft das Geschäft mit Privatkunden mit deutlichem Fokus darauf in die Hand nehmen kann. Zu billig seien die Produkte, zu hoch die Stundenhonorare für die Dienstleistung. "Das Wissen müssen Sie vorhalten. Sie investieren so viel in Ausbildung, Vertrieb und Support wie ein Netzwerker. Doch die Privatvernetzung definiert sich noch über den Preis und schnelle Produktentwicklung", fasst 3Com-Mann Boele die Situation der kleineren Partner angesichts der Entwicklung des Home-Networking-Marktes in Richtung Commodity-Produkte zusammen.

Cisco-Manager Carsten Queisser bestätigt: "Der Fachhandel hat kein Interesse am Home-Networking-Markt. Wir haben es versucht, sind aber gegen Wände gelaufen."

Retail ...

Das Vernetzungsgeschäft mit Privatkunden wird konsequenterweise fast ausschließlich über Großflächenvermarkter und Mailshops abgewickelt. Man setzt hier, wie einst beim willigen und interessierten Autobastler, auf interessierte und Bastelstunden bewusst in Kauf nehmende Heimvernetzer.

Rund 80 Prozent des Geschäfts mit Heimvernetzung wird in den langen Gängen der Großflächenvermarkter gemacht, schätzen Hersteller, mindestens 15 Prozent entfielen auf Mailorder. Die rund 300.000 Haushalte in Deutschland, die allenfalls für Wiederverkäufer - Ladengeschäfte und kleine Systemhäuser - übrig bleiben, dürfen getrost vernachlässigt werden.

"Die Kunden fragen nach netzfähigen Druckern, sie wollen wissen, wie man zwei PCs miteinander verbindet oder Fotos in ein elektronisches Tagebuch einbindet", war in einer Münchener Media-Markt-Filiale zu hören.

... und Partner

Nahezu vernachlässigt werden kann der Wiederverkäufer, der von Home-Networking-Geschäften leben will, zu denen er, wenn überhaupt, nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda oder Gelegenheitsaufträge von privat interessierten Business-Kunden kommt. Zwar würde kein Anbieter von Netzkomponenten derzeit zugeben, dass seine Partner bei der Vernetzung privater Haushalte keine Rolle spielen. Doch das Geschäft mit Privatkunden findet nicht statt - jedenfalls war bei der Recherche von ComputerPartner kein Netzwerker zu finden, der seine Partner wissentlich auf die Home-Networking-Fährte hätte locken wollen - und das trotz der im Enterprise-Bereich so heftig propagierten Funktionen wie VoIP und VPN, Sicherheit und Access-Kontrolle zu Firmen-LANs.

Die einhellige Meinung der Hersteller lautet: Das Geschäft findet nicht statt, da der Dienstleistungsanteil zu gering ist. Zwar will keiner ausschließen, dass Geschäfte möglich wären, doch das Zertifizierungsetikett "Home Networking" hat keiner der Marktteilnehmer auf seiner To-do-Liste: "Es rentiert sich nicht!"

Dass das so bleiben wird, bezweifeln die wenigstens Anbieter. Zwar könne man sich vorstellen, dass ausgewählte Dienstleistungen möglicherweise gefragt würden, beispielsweise wie PDAs über Funknetze mit Firmen-LANs verbunden werden können. Doch hier seien Service Provider gefragt; sie bestimmten die Regeln bezüglich Zugang (Access- und Security-Policy), nicht der vernetzte Privatanwender, erklärt Cisco-Manager Queisser.

"Die Kunden lassen sich nichts mehr vormachen", fasst Tanja Klein, Marketing-Chefin der Accton-Tocher SMC, ihre Erfahrungen zusammen. Für Netzwerker SMC, der bisher im Privatkundengeschäft seine Pfründe sichern wollte, könnte das bedeuten, wieder mehr den professionellen Markt ins Auge zu fassen. Man habe das Engagement im Privatsegment "etwas heruntergeschraubt", lautet die Formulierung der Marketing-Managerin. Für Partner sieht auch sie kaum eine Chance: Allenfalls Endkunden-Support sei für diese derzeit machbar. Womit auch die letzte Illusion, ein Partner respektive Wiederverkäufer könnte systematisch sinnvolle Anteile des Home-Networking-Markts auf seine Seite ziehen, zerstört ist.

VPN, VoIP: künftiges Fachhandelsgeschäft?

Nichts, wirklich gar nichts kann derzeit den potenziellen Home-Networking-Partner froh stimmen. Das Geschäft mit den Endkunden geht an ihm vorbei; es gibt keine Herstellerprogramme für dieses Segment, und wer die bisherigen IT-Adaptionen im Privatmarkt Revue passieren lässt, weiß: Daran wird sich nichts ändern.

Es ist genau so, wie es bei CD-Spielern, HiFi-Anlagen, Videogeräten oder zuletzt PDAs der Fall war. Der Markt für Home Networking ist kaum drei Jahre alt, und dennoch verhält er sich dank seiner augenfälligen Präsenz in den Retail-Regalen so, als gehörte er schon immer dahin.

Dabei ist es nicht so, dass ein kleines Systemhaus mit Netzwissen keine Chance in dem Markt hätte. Doch da es nicht mit einem kontinuierlichen Umsatzstrom rechnen kann, wird es diesen Markt, wenn überhaupt, nicht als Zusatzgeschäft betrachten, solange die Marktbedingungen unverändert sind. Und nachdem es für Privatnutzungsangebote keinen völlig transparenten Markt, ähnlich dem Internet-Auktionhaus Ebay, gibt, wird der Privatkunde reagieren wie gehabt: Er orientiert sich zwar auch an Tech- nologie, doch angesichts der tatsächlichen Bedürfnisse der meisten - Filetransfer und E-Mail - sucht er in den Regalen der Retailer nach Angeboten. Services spielen erst dann eine Rolle, wenn Videostreaming, Anwendungspriorisierung und echte Breitbandanschlüsse eine Rolle spielen.

Doch diese Endkundendienste werden in Zukunft Service Provider, nicht der Fachhandel anbieten. Denn alle Dienste, zum Beispiel VPN (Virtuell Private Network), IP-Telefonie oder demnächst TV on Demand, setzen an der Serverseite an. Das heißt: Selbst wenn in einem privaten Netz ein Zugang zu einem Firmen-LAN, zu einer Telefon-, Knoten- oder beliebigen Dienstleistung angeboten wird, erfolgt die Einrichtung über Service Provider. Diese kennen Konfiguration, Durchsatz, Dienstgüten, Anbindung und Abrechnungsmodelle.

Wer hingegen auf der Client-Seite steht, und das wäre der Fachhändler, kann nichts weiter tun, als ein wenig an Firewall-Einstellungen oder Router-Konfigurationen, an Ethernet-Kabeln oder Access Points herumzudrehen. Das ist zu wenig, um ein Geschäft zu machen, zumal die Kenntnisse, die der Fachhändler haben muss, um Netze und Komponenten einzurichten, ihn dazu befähigen, im weitaus lukrativeren Business-Geschäft nach Kunden zu suchen.

Fazit: Auch in Zukunft werden der Fachhandel und Home Networking wenig miteinander zu tun haben.

ComputerPartner-Meinung:

Wie jeder neue Markt der IT-Branche wurde der Markt für die Vernetzung privater IT-Geräte zu Beginn und während des Internet-Hype von abenteuerlichen Ideen, Gerüchten, Projektionen und Erwartungen lautstark begleitet. Chimären wie das komplett IP-vernetzte Heim tauchten auf und verschwanden wieder - der Endverbraucher nahm sie gelassen zur Kenntnis und kümmerte sich unbeeindruckt um Naheliegendes: um die Vernetzung seines Privathaushaltes.

Dieses Thema ging er ebenso pragmatisch wie zielstrebig an: Er sah sich um, prüfte und entdeckte, dass die IT-Hersteller die Retailer ausgewählt hatten, um die Home-Networking-Produkte schnell und billig an den Mann zu bringen. Der Fachhändler wurde dabei konsequent übersehen. Was er an Dienstleistungen und Lösungen zu bieten hatte, konnte mit den niedrigmargigen Produkten nicht konkurrieren.

Konsequenz dieser Verkaufsstrategie war, dass einerseits der Home-Networking-Markt boomte und Retail-Spezialisten wie Netgear in diesem Markt das Sagen haben, andererseits der Fachhandel in diesem Bereich keine Chance hatte. Das ist bis heute so geblieben. Und wird so bleiben, nimmt man Marktexperten und Netzwerker beim Wort. (wl)

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