Erfolgskonzepte im Servicegeschäft

25.02.1999

MÜNCHEN: Kein Zweifel, vom Verkauf von Hard- und Standardsoftware allein kann kein IT-Unternehmen existieren - jedenfalls nicht mehr lange. Wer in diesem Markt dauerhaft überleben möchte, muß sich wandeln, muß vom bloßen Händler zum Dienstleistungsunternehmen migrieren. Ulrich Kramer und Oliver Schierenberg von der Unternehmensberatung UK Consulting in Ratingen stellen in den nächsten Ausgaben von ComputerPartner Erfolgskonzepte für Händler, VARs und Systemintegratoren vor und vermitteln Grundlagen für den Wandel.Der Aufstieg vom "Kistenschieber" zum Lösungsanbieter ist längst nicht so einfach, wie uns die Marktauguren und Sonntagsredner immer wieder glauben machen wollen. Er ist nicht bereits vollzogen, wenn über der Eingangstür ein neues Schild ("jetzt auch Service") hängt oder auf dem Geschäftspapier das Wort "Dienstleistung" in roter Schrift und Großbuchstaben prangt. Der Weg vom notleidenden Händler zum erfolgreichen Serviceanbieter ist langwierig, bedarf zahlloser Anstrengungen auf allen Ebenen des Unternehmens und eines völlig neuen Bewußtseins über Märkte, Margen, Möglichkeiten.

Zahllose IT-Unternehmen schlossen in den vergangenen Jahren für immer ihre Pforten. Sie haben das vermeintlich oberste Branchenziel, bei stets höheren Umsätzen immer niedrigere Margen zu erzielen und dennoch zu überleben, nicht ganz erreicht. Die Zahl der Pleiten, Pech und Pannen wäre beileibe höher ausgefallen, wäre nicht so mancher Wackelkandidat auf dem Weg zum Konkursrichter noch abgefangen und durch einen etwas zahlungskräftigeren Wettbewerber übernommen worden.

Die Situation in der deutschen Distributionslandschaft ist ein Paradebeispiel für diese Entwicklung, die gleichermaßen dramatisch wie vorhersehbar war. Eine Reihe von Großhändlern hätte das allgemeine "Hauen und Stechen" in der Branche auf Dauer wohl nicht überlebt und zog es vor, unter das Dach eines finanzkräftigen Wettbewerbers zu flüchten.

Bereits im Februar des vergangenen Jahres verkündete Dr. Werner Senger, Geschäftsführer des BVB - Bundesverband Informations- und Kommunikationssysteme in Bad Homburg -, den Tod des klassischen IT-Handels und wies auf die Notwendigkeit hin, in das Dienstleistungsgeschäft einzusteigen: "Den Fachhandel im klassischen Sinn - den wird es nicht mehr geben. Nur wer sich im Dienstleistungssektor engagiert, hat Zukunftsaussichten." Vielerorts vergeblich: Der unerschütterliche Glaube an ein schier unbegrenztes Wachstum und die eigenen Möglichkeiten waren stärker als die mahnenden Worte. Die Folge: Viele Unternehmen - beispielgebend seien die Fachhandelsketten Schadt und Escom genannt, die noch vor einigen Jahren zusammen mit der ebenso angeschlagenen Vobis AG den Markt dominierten - verabschiedeten sich und warfen ein verheerendes Schlaglicht auf den Zustand der Branche. Das Ende der Fahnenstange ist aber noch nicht erreicht, Entwarnung kann beileibe nicht gegeben werden.

Weitere Händler, Distributoren und Systemhäuser, die nur auf Bits und Bytes und nicht auf das weit margenträchtigere Dienstleistungsgeschäft setzen, werden folgen. Spätestens bei der nächsten Konjunkturkrise, spätestens beim Stocken der Wachstumslokomotive IT, die bisher noch jedes Jahr ordentliche Zugewinne versprach und auch halten konnte, spätestens nachdem alle Unternehmen ihre IT-Landschaften auf den neuesten Stand gebracht und alle Anpassungen vorgenommen haben, werden viele IT-Firmen auf der Strecke bleiben oder von größeren Unternehmen geschluckt werden. Der BVB erwartet für das laufende Jahr einen Einbruch bei den Margen.

"Die Erwartungen für 1999 liegen leicht unter den Prognosen der Umfrageergebnisse vom Juli dieses Jahres, und zwar bei den Umsätzen ebenso wie bei der Ertragsentwicklung und der Nachfrage," gab BVB-Vorstandsvorsitzender Willi Berchtold im Dezember zu Protokoll.

Für viele Händler mag dies trotz allem eine tröstliche Nachricht sein - denn wo nichts ist, da kann auch nichts zusammenbrechen!

Margen - verzweifelt gesucht!

Gründe für einen sofortigen Umstieg vom Händler zum Dienstleister gibt es viele: In erster Linie sind es die erodierenden Margen, die so manchen IT-Fachhändler oder Computershop in die Knie zwingen. In einem Markt, in dem sich die Produkte immer ähnlicher und somit - wie auch die dahinterstehenden Anbieter - beliebig austauschbar werden, in dem kapitalkräftige (Seiten-) Einsteiger wie Aldi, Lidl und Co. an einem Tag mehr PCs verkaufen als der etablierte Fachhandel in einem ganzen Jahr, in dem selbst erklärungsbedürftige Produkte und Lösungen regelmäßig verramscht werden, ist für ordentliche Erträge kein Spielraum mehr. So rechnet die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg bis zum Jahre 2000 mit einem weiteren Verfall der Bruttoerträge auf unter zehn Prozent.

Zehn Prozent Marge - für so manchen DV-Händler zwischen Flensburg und Garmisch wäre dies geradezu ein Traumwert! Die Realität ist trostloser und weist nur noch in seltenen Fällen zwei Stellen vor dem Komma auf. Wer ausschließlich Standards in den Regalen stehen und sich nicht auf bestimmte Lösungen und Anwendungen spezialisiert hat, muß in der Regel mit weit weniger auskommen.

Der Bewertungspreis für einen PC ist eben mehr als nur der Einkaufspreis von Hard- und Software. Zu den Aufwendungen für die Komponenten kommen Rückstellungen für Servicefälle, Arbeitskosten für den Zusammenbau, Aufwendungen zur Durchführung der CE-Tests, Finanzierungskosten, und, und, und. Diese Kalkulation zugrunde gelegt, muß wohl so mancher Händler eingestehen, daß er sich beim Versuch, mit Aldi und Mediamarkt konkurrieren zu wollen, ordentlich verrechnet hat.

Zu viele Händler haben zu lange an den (vormals) bewährten Strategien festgehalten, wonach schwindende Margen am verkauften Einzelgerät durch insgesamt höhere Umsätze kompensiert werden konnten, getreu dem Motto: "Früher habe ich einen PC für 6.000 Mark verkauft und 2.000 Mark verdient, nun veräußere ich halt vier für 12.000 Mark und nehme auch 2.000 Mark ein - also kaum ein Unterschied." Dieses betriebswirtschaftlich aberwitzige, aber dennoch von vielen praktizierte Konzept ging im Laufe der Zeit immer weniger auf. Die Preise verfielen mehr und mehr, die erforderlichen Absatzzahlen konnten nicht realisiert werden, die Grenzen des Wachstums wurden erkennbar, und - wen wundert's - die Banken spielten nicht mehr mit. Aufgeschreckt durch Konkurse einiger Marktgrößen wie Escom und durch das unternehmerische Harakiri drehten sie den Geldhahn zu, strichen Kreditlinien zusammen und trugen auf ihre Weise zum Massensterben bei. Aber immer noch prügeln sich viel zu viele Marktteilnehmer um den Kuchen.

Viele Gute Gründe

Doch nicht nur klitzekleine Margen sollten den IT-Händler zum Umdenken bewegen. Die allgemeine Situation in der Informationsbranche erfordert weit mehr Dienstleistungen, als bisher angeboten werden. Insbesondere im Mittelstand besteht gehöriger (Nachhol-) Bedarf an neuen Lösungen wie zum Beispiel

- Internet/Intranet/Extranet,

- Electronic Commerce,

- interne und externe Unternehmenskommunikation,

- Systemmanagement,

- Sicherheit in der Datenverarbeitung,

- Dokumentenmanagement,

- Supply-Chain-Management,

- ERP-Software,

- Highspeed-Networking,

die allesamt erst in den letzten Jahren entstanden sind oder Bedeutung erlangten. Diese Anwendungen sind beratungsintensiv und verlangen mehr Consulting und Service als neue Hardware. Bereits im Vorfeld der Implementierung sind Ist-Analysen durchzuführen, Soll-Konzepte zu erarbeiten, Projektpläne aufzustellen; im Rahmen der Umsetzung sind Anpassungen der Software vorzunehmen, Datenbanken zu konfigurieren, Zugriffsmöglichkeiten der Anwender neu zu definieren. Nach erfolgter Installation müssen die Benutzer geschult und Hotlines für die Betreuung eingerichtet werden. Die Aufzählung möglicher Dienste und Tätigkeiten ließe sich beliebig verlängern.

Doch auch andere Gründe sprechen für die Aufnahme von Dienstleistungen in die Preisliste und die Weitergabe des vorhandenen Know-hows: Einerseits wächst die Komplexität der Anwendungen selbst, andererseits wird es immer schwieriger, die unterschiedlichen Anwendungen und Prozesse zusammenzuführen. Hier sei beispielgebend auf die Integration von Datenverarbeitung und Telefonie verwiesen.

Die IT-Abteilungen in den Unternehmen befinden sich in einem Dilemma. Das zur Bewältigung der Aufgaben erforderliche Spezialwissen kann in kurzen Zeiträumen nicht aufgebaut werden, zumal die Mitarbeiter mit Routineaufgaben sowie Euro- und Jahr-2000-Umstellung hinlänglich ausgelastet sind. Langwierige Schulungen der Mitarbeiter scheiden für die meisten Betriebe ebenso aus wie die Einstellung neuen Personals, das eh kaum verfügbar ist. Immer kürzere Produktzyklen, immer schärferer (internationaler) Wettbewerb erfordern eine rasche Umsetzung der Projekte, erfordern eine zügige Anpassung der Datenverarbeitung an neue Geschäftsprozesse und Gegebenheiten. Daher der überall erkennbare Trend zum Outsourcing und ähnlichen Dienstleistungen. Manche Firmen nehmen dabei bewußt in Kauf, sich in Abhängigkeit zu ihrem Lieferanten oder Dienstleister zu begeben - zumal sie in den meisten Fällen gar keine andere Wahl haben.

Fast alle Hersteller suchen derzeit händeringend nach (neuen) Partnern, die mittelständische und kleine Unternehmen bedienen können. Zum einen fehlt den "Großen" der Draht zu dieser Zielgruppe, zum anderen sind Mittelständler selten bereit, die aberwitzigen Tagessätze von IBM, HP und Co. zu zahlen, die mitunter über jenen des Firmenchefs liegen.

Für das Personal bei Händlern und VARs ist eine Hinwendung zum Dienstleistungsgeschäft die Gelegenheit, eigene Horizonte zu erweitern und neue Berufszufriedenheit zu erzielen. Viele Betriebswirte und Ingenieure, die bisher mehr Verkaufssachbearbeiter denn Vertriebsbeauftragte in einer High-Tech-Branche, sondern zu Hardware-Brokern degradiert waren, werden die neue Herausforderung dankbar annehmen. Sie werden fortan (endlich einmal) ihrer Vorbildung und ihrer Fähigkeiten gemäß eingesetzt und können durch Engagement und Kreativität den Einstieg in das Servicegeschäft vorantreiben. Der Projektvertrieb fordert grundsätzlich andere Eigenschaften und Qualifikationen als der Produktverkauf (siehe Tabelle auf Seite 28). Auf eine griffige Formel gebracht muß hier das Motto lauten: "Prozesse statt Prozessor."

Der Verkauf von Dienstleistungen begründet vielfach ein Alleinstellungsmerkmal und schottet den Anbieter vor den Angeboten der Konkurrenz ab. Während Produkte (Leistung, Funktion, Qualität, Garantie, Design und Preis) in der Regel relativ einfach vergleichbar sind, lassen sich Serviceleistungen nicht ohne weiteres austauschen.

So wie Hard- und Software ständig weiterentwickelt werden, muß auch das Dienstleistungsangebot ständig erneuert und an veränderte Marktgegebenheiten angepaßt werden. Wer nur auf Standards setzt und kein eigenes Portfolio mit Leistungen aufbaut, die der Wettbewerber nicht auf der Preisliste hat, wird sich in kürzester Zeit dem gleichen Preiskampf ausgesetzt sehen wie im klassischen Handelsgeschäft. In drei bis vier Jahren erwarten die Marktforscher einen Nachfragerückgang bei Dienstleistungen. Zu einem Zeitpunkt, da die Euro-Umstellung und das Jahr-2000-Problem, die Erneuerung der DV-Infrastrukturen, die Implementierung zukunftsträchtiger Lösungen längst abgeschlossen sind, wird sich nur noch der Anbieter durchsetzen, der sowohl innovativ als auch leistungsstark und preisgerecht ist.

IT-Freiberufler, Systemhäuser und Personalvermittler werden dies bitter zu spüren bekommen - die Goldgräberzeiten werden vorbei sein. Schon mit dem Ende der Sonderkonjunktur "Euro und Millennium" wird sich der IT-Personalmarkt etwas, aber nicht grundlegend entspannen. Nach wie vor wird es eine große Zahl unbesetzter Stellen geben.

IT-Händler optimistisch - warum eigentlich?

In diesem und wohl auch im nächsten Jahr wird der IT-Dienstleistungsmarkt aber noch einmal kräftig wachsen: Nach einer Umfrage der LOT Consulting GmbH in Karlsruhe unter 807 IT-Managern soll das laufende Jahr wohl ganz im Zeichen der Konsolidierung stehen. 68 Prozent der Befragten haben vor allem die Steigerung der IT-Effizienz auf die Prioritätenliste gesetzt, 58 Prozent sehen Verbesserungspotential bei der Unterstützung der Geschäftsprozesse. Rund 30 Prozent wollen 1999 die Kommunikationsstrukturen in ihren Firmen neugestalten. Die Modernisierung von Teilbereichen der Infrastruktur hat in etwa jeder Fünfte im Visier, also insgesamt kein Signal an die IT-Händler für riesige Hardwareumsätze und massenhaften Softwareverkauf. Nur dort, wo der Anbieter neben dem Blech auch das notwendige Know-how mitliefern kann, winken große Umsätze mit Hard- und (Standard-) Software.

Doch die Erwartungen des IT-Handels lauten völlig anders. Nach einer von Techconsult im Auftrag von ComputerPartner durchgeführten Umfrage unter 170 Fachhandelsunternehmen (siehe ComputerPartner 3/99, Seiten 1 und 12) gehen 63 Prozent der Händler von einer Umsatzsteigerung von zehn Prozent und mehr in diesem Jahr aus. Kann man die Euphorie bei lösungsorientierten Systemhäusern aus den vorgenannten Gründen noch nachvollziehen, so muten die Erwartungen von Computershops (60 Prozent wollen bis zehn Prozent mehr Umsatz in den nächsten zwölf Monaten realisieren), des Bürohandels (56 Prozent glauben an höhere Einnahmen) und der Kauf- und Versandhäuser (78 Prozent erwarten für das laufende Jahr ordentliche Wachstumsraten) schon recht abenteuerlich an. Auch bei den Erträgen soll es nach den frommen Wünschen der Betroffenen wieder bergauf gehen. 22 Prozent der IT-Händler mußten 1998 im Vergleich zum Vorjahr immerhin Einbußen von bis zu 10 Prozent und mehr hinnehmen. 1999 erwarten aber nur noch acht Prozent Verluste.

Es stellt sich eine Reihe von Fragen: Wo sollen die Aufträge herkommen? Mit welchen Mitteln sollen bessere Erträge generiert werden? Wie begründet sich die positive Erwartungshaltung? Anhand der Entwicklungen,

- Computershops (23 Prozent weniger Umsatz in 1998 als 1997; 26 Prozent weniger Ertrag),

- Bürohandel (18 Prozent weniger Umsatz, 41 Prozent weniger Ertrag!),

- Kauf- und Versandhäuser (30 Prozent weniger Umsatz, 25 Prozent weniger Ertrag),

kann man den Optimismus nicht nachvollziehen. Wenn schon die Unternehmen aus den vorgenannten Gründen als Investoren weitestgehend ausfallen, so bleibt denn nur die Hoffnung auf Otto Normalverbraucher. Ob diese Hoffnung aufgeht, scheint fraglich.

Lieschen Müller wird wohl wieder zu Aldi gehen und sich ihren PC zwischen Kartoffeln, Kaffee und Käse sichern. Sie wird - wie viele andere schon zuvor - dem Marketinggeschwätz der Branche erliegen, daß ein PC einfach und durch jedermann zu bedienen sei und daher auch von Kaffeeröstern, Metzgern und Tankwarten verscherbelt werden kann. Spätestens bei der Installation des Modems oder des Druckers wird sie - wie viele andere schon zuvor - feststellen, daß auch "Plug & Play" seine Tücken hat, daß ein Computer doch kein Fernseher mit Tastatur ist, den man nur einschalten muß. Sollten dann noch einige Fragen zu klären sein, so dürfte der Tankwart oder die freundliche Dame an der Aldi-Kasse nur wenig zum Gelingen der Mission "Computer für jedermann" beitragen können. Lieschen Müller wird sich wohl zum Fachmann - sprich DV-Händler - begeben müssen und Drucker und Modem für gutes Geld installieren lassen.

Bleibt zu hoffen und zu wünschen, daß es dann noch Händler gibt...

Unternehmensberater Ulrich Kramer: "Weiterer Verfall der

Bruttomarge."

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