"Erst 2004 kann man wieder von einer leichten Erholung sprechen"

04.10.2002
Das Ende der Depression in der IT-Branche lässt nach Ansicht der Gartner-Analysten noch auf sich warten. Erst für 2004 erwarten sie den nächsten Boom, allerdings nur einen kleinen. Und im Vorfeld ist noch viel zu tun.

Die Sturmwolken über der IT-Branche werden sich bereits bis zum Jahresende lichten, aber die weiteren Aussichten bleiben bis 2004 sehr gemischt," fasst John Mahoney, Vice President Research Director von Gartner, seine Einschätzung der IT-Zukunft zusammen. "Das ist wie der englische Wetterbericht. Da kann es schon einmal heißen: Rain followed by showers."

Bevor man sich mit der weiteren Zukunft beschäftigt, ist es nach Ansicht des Analysten wichtig, sich erst einmal mit der aktuellen Situation und deren Gründen zu befassen. Mahoney nennt die derzeitige Phase "The Gap". Im angelsächsischen Sprachraum heißt so die einjährige Auszeit, die viele junge Menschen zwischen Schule und Uni nehmen. In der IT-Branche dauert diese Auszeit nach dem E-Business-Hype seiner Ansicht nach jedoch 18 Monate, also noch gut ein halbes Jahr.

Aber selbst dann würde die Investitionsbereitschaft der Unternehmen in IT nur leicht wachsen. Die Skepsis der Business-Kunden gegenüber neuen IT-Investitionen würden anfangs sogar noch stei-gen, bevor es wieder aufwärts ginge. Aber genau diese Furcht unterstütze die Wertschätzung bestehender Technologien.

Charakteristisch für das IT-Investitionsverhalten der Firmenkunden in den Jahren 2003 und 2004 seien eine antriebsstarke Periode der Konsolidierung, Konvergenz, Zusammenarbeit und innerbetrieblicher Strukturwandel. Erst Mitte des Jahres 2004 würde sich die Marktsituation wieder verbessern. Jedoch sei nur ein Mini-Boom realistisch und kein spektakulärer "Bubble".

Wie es zum Gap kam

Der New-Economy-Hype im Jahr 1999 und 2000 beeinflusste alle strategischen IT-Applikationen etwa zur Unterstützung von B-to-B, B-to-C, B-to-E, CRM oder ERP. Statt die Möglichkeiten der Geschäftsprozesse optimal auszunutzen, wurde hauptsächlich in neue Technologie investiert. Schon während der anfänglichen Experimentierphase wurden die Wachstums-Forecasts durch drei entscheidende Faktoren verzerrt:

1. Frühzeitig wurden extrem hohe Wachstumsraten bekannt gegeben, ohne jeglichen Bezug zu ab-soluten Zahlen. Wurden etwa von einem Produkt in der einen Woche 10 Stück und in der nächsten Woche 30 Stück verkauft, gab man nur ein stolzes Wachstum von 300 Prozent bekannt.

2. Die "New-Economy-Regeln" wurden missbraucht, speziell der Netzwerkeffekt, durch den nichtlineare Wachstumsraten suggeriert wurden.

3. Auf der Suche nach sehr schnell steigenden Wachstumsraten pumpten Venture-Kapitalisten extrem viel Geld in alle möglichen Startups, egal ob diese reale oder mutmaßliche Wachstumsraten anboten.

Die Euphorie der ersten (Schein)Erfolge verleitete selbst sonst eher zurückhaltende Unternehmen, frühzeitig und im großen Stil in Risikogeschäfte einzusteigen. In der irrigen Meinung, sonst als Nachzügler oder Ewiggestriger zu gelten, wurde die Unternehmens-IT auf allen Ebenen aufgebläht. Es wurde investiert in Softwarelizenzen, Serverkapazität, Storage, Netzwerkbandbreite und natürlich in viele fachkundige Mitarbeiter.

Der schnelle Erfolg machte viele blind

Die CEOs gaben immense Summen für die Projekte frei, also warum sollten die CIOs nicht mitspielen? Mitte 2001 wurde den meisten erst bewusst, dass der Wechsel zu E-Business in der realen Welt Zeit braucht. Die Nachfrage seitens der Käufer und der Verkäufer, intern und extern, wuchs viel langsamer und linearer als erwartet.

Unternehmen, die erst später auf den Zug aufgesprungen waren, relativierten die Erwartungen. Die Händler hielten sich hingegen, solange es nur ging, am Wachstumsmythos fest, und die Unternehmen, die frühzeitig eingestiegen waren, hielten verschämt die Wahrheit zurück, zumal ihre CEOs den Investoren so extrem optimistische Versprechen gegeben hatten. Das Resultat dieser Hysterie: Die meisten Unternehmen verfügen nun über weitaus mehr IT, als sie eigentlich brauchen. Und deshalb benötigen sie nun eine Auszeit, eben ein Gap.

Alle werden wieder ruhiger und vernünftiger

Die Überkapazitäten werden nach Ansicht des Gartner-Analysten Mahoney erst bis Jahresende abgebaut werden, bevor neue Investitionen notwendig werden. Aktuell und auch in der nächsten Zeit werden sich die Unternehmen verstärkt auf eine Verbesserung des Business-Prozesses fokussieren. Entscheidungen, ob und welche IT-Investitionen getätigt werden, fallen auch nicht mehr in den einzelnen IT-Abteilungen, sondern vermehrt wieder auf Geschäftsführerebene und zentral für alle Abteilungen. Auch verhalten sich die Unternehmer in nächster Zukunft wieder ihrem Naturell entsprechend, der Mainstream-Typus wird also eher abwarten und kein Risiko eingehen. Gleichzeitig wird er aber auch vermehrt wieder in langfristige Projekte investieren. Und was noch wichtiger ist: Der ROI (Return on Investment) wird auch nicht mehr nach wenigen Wochen erwartet.

Das ist auch gut so, denn nach Berechnungen von Gartner werden bis Ende 2003 rund 70 Prozent aller technisch erfolgreichen IT-Projekte daran scheitern. Die realistische Amortisationszeit liegt für Content-Management-Projekte bei ein bis zwei Jahren, bei CRM bei drei bis vier Jahren, bei E-Procurement bei mindestens drei Jahren und bei webbasierenden B-to-B-Service-Projekten bei zwei bis drei Jahren. Webgestützte B-to-C-Lösungen brauchen sogar mindestens vier Jahre.

Der IT-Markt wird aufgeräumt

Nicht nur der Kunde ändert seinen Anspruch und Ansatz. Auch der IT-Markt steht nach Meinung des Gartner-Analysten Mahoney vor durchgreifenden Veränderungen. Der IT-Investment-Boom von 1995 bis 2001 brachte viele neue Technologien und Applikationsklassen hervor. Venture Capital forstete Myriaden von Mini-Gesellschaften mit nur einem Produkt oder einem ganz speziellen Zielmarkt auf.

Deshalb gibt es im heutigen IT-Markt viel zu viele Technologien, die sich überlappen, sei es bei der Kundenansprache oder dem Anwendungsgebiet. Gartner sagt deshalb voraus, dass nur eine drastische Zusammenfassung mehrerer Technologien zu einer einzigen ein gesundes Wachstum ermöglicht. Seiner Ansicht nach sollten beispielsweise CRM und E-Procurement, Business- und IT-Services, Portale und Application-Server, PDAs und Mobiltelefone zusammengefasst werden. In der zweiten Hälfte des Jahres 2004 werden nach Gartner-Schätzung 50 Prozent der derzeit bekannten IT-Firmen nicht mehr in der bisherigen Form existieren. Sie werden in einer Fusion aufgehen, geschluckt werden oder gar den Markt verlassen haben.

www.gartner.com

ComputerPartner-Meinung:

Wenn man sich eine Auszeit nimmt, braucht man diese Zeit zum Durchatmen, zum Sich-Sortieren. Genau das passiert im IT-Markt. Der Hype zum Jahrtausendwechsel hat den Markt so durcheinander gebracht, dass dieser Kollaps früher oder später zu erwarten war. Jetzt hat die Branche schon den schlimmsten Teil hinter sich, und es kann wirklich nur noch besser werden. (go)

Zur Startseite