Es gibt viel zu viele Visionäre

21.08.2003
Zum offenen Brief "Müssen alle Visionäre zum Arzt?" in ComputerPartner 32/03, Seite 3, erreichte uns folgende Leserzuschrift:

Wenn Sie schreiben, Visionäre nach dem Verständnis eines Antoine de Saint-Exupéry hätten "immer Konjunktur", so muss ich Ihnen leider Recht geben - und zwar mit großem Bedauern: Es gibt nämlich meines Erachtens nicht zu wenige, sondern viel zu viele davon.

Denn gerade das von Ihnen als "treffend" angeführte Exupéry-Zitat sollte keinesfalls als Leitgedanke für unternehmerische Visionäre gesehen werden, sondern vielmehr als deutliches Beispiel dessen, woran das übliche Visionärs-Verständnis krankt. Es geht darin nicht um die Führung von Mitarbeitern durch sinnvolle Zukunfts- und Zielvorgaben, sondern schlicht um emotionale Manipulation. Und zwar eine, die auf kurze Frist funktionieren mag, auf lange Sicht jedoch meist nach hinten losgeht.

Im Exupéry-Verständnis ist die Vision kein "Zukunftsbild mit Deadline", wie es im unternehmerischen Bereich sinnvoll wäre, sondern eine individuelle Träumerei mit dem Versuch, andere zum Einlenken auf diese für sie äußerst fragliche Zielsetzung zu verleiten. Der Einzelne ("du") will ein Schiff bauen - und soll die dazu benötigten Handwerker mit seinem persönlichen Traum indoktrinieren. Wohlweislich spricht Exupéry nicht von Seeleuten, sondern von Baumeistern. Was jedoch nutzt diesen Menschen die Sehnsucht nach dem Meer? Bauen Sie dadurch ein besseres Schiff? Sollte das überhaupt ihre Motivation für den Bau sein? Und schließlich bleibt diese Sehnsucht auch noch unerfüllt, denn für die eigentliche Fahrt hinaus auf das "große, weite Meer" wird das Schiff wohl nur in den seltensten Fällen mit Baumeistern statt Seeleuten bemannt werden. Was bedeutet diese Nichterfüllung in der Folge dann aber für die Motivation, auch noch das zweite, dritte, vierte Schiff zu bauen?

Visionen sind wichtig für zukunftsgerichtete und -gerechte sinnvolle Zielsetzungen. In meiner langjährigen Arbeit als Kommunikationsberater für Unternehmen aus den verschiedensten Branchen habe ich viele unterschiedliche Arten von Führungsstilen und Führungspersönlichkeiten kennen gelernt. Die vom Exupéry-Zitat inspirierte Gattung der Visionäre war aus Mitarbeitersicht zumeist die, die es am besten meinte und am schlechtesten machte.

Mark Torben Rudolph,

Pardner Data & Media GmbH, Alsbach

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