Es kann nur besser werden - ein Stimmungsbericht der Branche

31.08.2000
Im ersten Halbjahr des neuen Jahrtausends lief vieles nicht so, wie es hätte laufen sollen: Das Wetter war mies, die deutsche Fußballnationalmannschaft bot ein trauriges Bild, und die Schulnoten der Kinder hätten auch besser ausfallen können. Wen wundert es, dass die Geschäfte der IT-Branche ebenfalls zu wünschen übrig ließen?

Von "sehr schlecht" bis "hervorragend" - innerhalb dieser beiden Pole bewegen sich die Antworten der Fachhändler, Retailer, Distributoren und Hersteller, wenn man sie auf den Geschäftsverlauf in den ersten sechs Monaten dieses Jahres anspricht. Und während der eine noch vorsichtig "erste Anzeichen für eine Wiederbelebung des Marktes" erkannt haben will, freut sich der andere schon auf die "dramatischen Steigerungen" im zweiten Halbjahr. Dieses uneinheitliche Bild ergab eine ComputerPartner-Umfrage unter IT-Unternehmen in Deutschland. Zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt: So stellt sich gegenwärtig die Stimmungslage der IT-Szene dar.

Dennoch lässt sich über alle Segmente hinweg eine klare Aussage treffen: Das erste Halbjahr des Jahres 2000 war für den überwiegenden Teil der Marktteilnehmer wie das Abschneiden der deutschen Fußballnationalelf bei der Europameisterschaft: hinter den Erwartungen zurückbleibend und damit enttäuschend. Aber auch nicht so vollkommen miserabel, dass keine Hoffnung auf Besserung bestünde. Das ist auch die zweite klare Aussage, die sich aus der Umfrage ableiten lässt: Die zweite Jahreshälfte wird besser. Warum? Weil es einfach gar nicht anders sein kann.

Nur wenige zufriedene Gesichter

Es gibt bei allen negativen Äußerungen zum Verlauf des ersten Halbjahres auch einige wenige zufriedene Gesichter. Meistens handelt es sich dabei um kleinere Unternehmen mit einem geringeren Umsatzvolumen. Hier reichen ein oder zwei größere Aufträge aus, um über das Vorjahresergebnis hinauszuschießen. So freut sich etwa Bernd Gretscher, Geschäftsführer von GHL-Computer in Mönchengladbach, über ein "sehr, sehr positives erstes Halbjahr". Wesentlicher Grund für die gute Geschäftsentwicklung: Gretscher hat "neue Großkunden dazugewonnen". "Ohne diese Großkunden", stellt er fest, "liegt der Umsatz für das erste Halbjahr unwesentlich über dem des Vorjahreszeitraums."

Auch Roswitha Geigges, Chefin der Geigges EDV- und Büroorganisation in Kraichtal-Münzesheim, ist gut drauf. "Das erste Geschäftsjahr war hervorragend", jubelt sie. "Wir haben eine Umsatzsteigerung gegenüber dem ersten Halbjahr 1999 um etwa 55 Prozent. Mit steigender Tendenz."

Zufrieden mit dem bisherigen Geschäftsverlauf sind auch solche Firmen, die sich auf ein Marktsegment spezialisiert haben, in dem gerade die Post abgeht. Ein Beispiel hierfür ist der Distributor Komsa. Komsa hat das erste Halbjahr nach eigenen Angaben "über den Plan erfolgreich absolviert". Einer der Gründe: der "boomende Mobilfunkmarkt". Komsa hat in diesem Jahr bereits mehr als 90 neue Mitarbeiter eingestellt.

Blaues Auge im Consumer-Geschäft

Die Stimmung bei den Retailern und Fachhändlern mit Ladengeschäft ist zwar besser als die ihrer Kollegen aus dem Systemhausbereich, so richtig happy ist aber kaum jemand. Ausnahme: Atelco. "Wir sind in den ersten sechs Monaten gegen den Strom geschwommen. Das Ergebnis war besser als unsere Planzahlen. Wir hatten durchweg eine Steigerung von 25 bis 30 Prozent", strahlt Atelco-Einkaufsleiter Darius Zwaka. Der warme Regen ging auf die Ostwestfalen völlig unerwartet nieder. Denn was war der Grund für das gute Geschäft, Herr Zwaka? "Keine Ahnung. Wir wissen es nicht", sagt er.

Comtech-Einkaufsleiter Christian Burlein ist "mit den Umsätzen im ersten Halbjahr zufrieden". Auch Frank Roebers, Vorstandschef von PC-Spezialist in Bielefeld, ist noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen: "Obwohl Mai und Juni schwächer waren als im Vorjahr, konnten wir im Halbjahr eine Umsatzsteigerung verzeichnen", erklärt er.

Klaus-Peter Voigt, Geschäftsführer von Media-Saturn in Ingolstadt, meint: "In Gänze ist das erste Halbjahr gut gelaufen. Im Mai und Juni waren die Kunden allerdings etwas zurückhaltend."

Auch Elvira Hutter, Chefin der Computerstudio Hutter GmbH in Weilheim, hat schon bessere Zeiten erlebt. "Das erste Halbjahr war so leidlich, jedoch nicht unbedingt ganz schlecht", berichtet sie. Vor allem in den Bereichen Hardware und Netzumstellungen hielten sich die Kunden mit Aufträgen zurück. Das Dienstleistungsgeschäft stagniere auf Vorjahresniveau. Und ihr Kollege Uwe Regelin, Inhaber des Computershops Regelin in Gießen, meint nur lapidar: "Das erste Halbjahr war im Jahresvergleich reichlich flau."

Diese Aussage kann Jürgen Rakow, Vorstandschef der Vobis AG in Aachen, nur unterschreiben. "Das Ergebnis von Vobis verlief im ersten Halbjahr branchenkonform, nämlich schlecht. Das erste Quartal war okay, das zweite Quartal mussten wir ein ganzes Stück unter Plan abschließen", ärgert sich der im freiwilligen Exil lebende Berliner.

Miese Stimmung bei Systemhäusern

Schlechte Stimmung herrscht derzeit bei den Systemhäusern, egal ob groß oder klein. Ganz übel erwischt hat es die TDS AG. Die Heilbronner setzen im ersten Halbjahr mit rund 141 Millionen Mark sogar etwa 28 Millionen Mark weniger um als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Selbst der Gewinn brach ein. Als Grund für die schlechte Geschäftsentwicklung gibt TDS "die weiterhin schwache Nachfrage im Geschäftsbereich Desktop-Services" sowie die "Marktschwäche im SAP-Consulting" an.

Auch Hans-Ulrich Mahr, Vorstandschef der M+S Elektronik AG in Niedernberg, beklagt das "unerwartet schwache erste Halbjahr 2000" aufgrund der "Konjunkturschwäche in der IT-Branche". Er berichtet von "schwachem Auftragseingang und zurückhaltender Investitionsbereitschaft der Unternehmen". Die Konsequenz für M+S: Umsatz und Ertrag des Systemhauses lagen Ende Juni "deutlich unter Plan", und der Vorstand sah sich genötigt, die Erwartungen für das Gesamtjahr herunterzuschrauben.

Keine strahlenden Gesichter auch bei der MSH AG in Frankfurt. Das soeben von der Hamburger Systematics AG übernommene Systemhaus hat im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2000/01 (31. März), also von April bis Juni, seinen Umsatz lediglich um knapp zwei Prozent gegenüber der vergleichbaren Vorjahresperiode steigern können (auf 176,2 Millionen Mark). In Deutschland brach der PC-Umsatz von MSH um 11,5 Prozent auf 59,5 Millionen Mark ein.

Auch Sonja Weiß, Geschäftsführerin des Systemhauses Alfred Horn in Kulmbach, ist vom bisherigen Geschäftsverlauf enttäuscht. "Bis vor Pfingsten war das Geschäft schleppend, geradezu eine Katastrophe. Seitdem zieht es wieder etwas an", berichtet sie. Alles andere als zufrieden ist auch Werner Kreiner, Geschäftsführer des Novell-Business-Partners Newcomp Computersysteme GmbH im niederbayerischen Parkstetten bei Straubing: "Das erste Halbjahr war schlecht, auf jeden Fall schwächer als die ersten sechs Monate 1999", sagt er.

Kreiner hat im Übrigen eine Besorgnis erregende Rechnung aufgestellt: 1998 stieg der Profit seines Unternehmens gegenüber 1997 noch um 40 Prozent, ein Jahr danach lag der Zuwachs nur noch bei 15 Prozent, und in diesem Jahr rechnet er gegenüber 1999 sogar mit einem Rückgang des Gewinns um 10 bis 15 Prozent. Seine Konsequenz daraus: auch einmal auf "schlechten" Umsatz zugunsten der Profitabilität verzichten.

"Das Jahr 2000 hat sehr gut angefangen, aber dann stark nachgelassen. Der Juni war der schlechteste Monat in diesem Jahr", berichtet Erwin Buga, Geschäftsführer des Münchener Systemhauses Net Age GmbH: Gut verkauft hat er HP Openview und CA Unicenter, dagegen war kaum Nachfrage nach Microsoft SMS.

Auch die Distributoren blieben hinter den Erwartungen

Wenn die Kunden, also der Fachhandel, wenig bestellen, kann es den Distributoren nicht gut gehen. So berichtet Gerhard Schulz, Vertriebsgeschäftsführer bei Ingram Macrotron in Dornach: "Insgesamt lag das erste Halbjahr unter unseren Erwartungen. Gut liefen die Bereiche PCs, Software und Netzwerke. Schwach dagegen der Druckerbereich und das Komponentengeschäft, was allerdings zu einem nicht unerheblichen Teil an den bekannten Lieferschwierigkeiten von Intel lag."

Karl Hoffmeyer, Vertriebsdirektor bei der Actebis Computer Deutschland GmbH in Soest, berichtet, dass nach einem schwachen ersten Quartal das Geschäft im zweiten Quartal zwar ein wenig anzog, der "Aufschwung aber nicht in dem erwünschten Maße stattfand".

Von den großen Broadlinern ist eigentlich nur Roland Apelt, Geschäftsführer der Computer 2000 Deutschland GmbH in München, mit dem ersten Halbjahr zufrieden. "Wir liegen im ersten Halbjahr voll im Plan", erklärt er. Wie dieser Plan genauer aussieht, will er indes nicht verraten.

Hersteller leiden unter allgemeiner Marktschwäche

Auch die Hersteller haben sich von der ersten Jahreshälfte mehr versprochen. So berichtet die Tübinger Trantec AG in ihrem Halbjahresbericht: "Die aktuelle Marktsituation stellt sich immer noch sehr verhalten dar. Speziell im IT-Markt für Business-Kunden zeichnen sich für das erste Halbjahr generell unbefriedigende Ergebnisse ab."

Klaus Bergter, Geschäftsführer der Maxdata Computer GmbH & Co KG in Marl, hat zwar ebenfalls eine "allgemeine Marktschwäche" ausgemacht, ist mit dem ersten Halbjahr dennoch "nicht unzufrieden" - aber auch nicht zufrieden. Bezogen auf den Umsatz lag Maxdata nach Angaben von Bergter "in dem zu erwartenden Rahmen". Beim PC-Absatz (inklusive Notebooks und Server) ist Maxdata mit dem Markt gewachsen. Die Stückzahlen im Desktop-Bereich "wurden nicht zu 100 Prozent erfüllt", erklärt der Maxdata-Manager, dafür verlief der Absatz von Notebooks und Servern im ersten Halbjahr "ausgezeichnet".

Es fällt auf, dass viele der von ComputerPartner befragten Händler keine Gründe nennen können, weder für ein gutes Geschäft (Atelco), noch für ein schlechtes. "Ich habe keine Erklärung dafür", sagt etwa Computershop-Besitzer Uwe Regelin.

Vobis-Chef Rakow macht unterschiedliche Ursachen für die Flaute verantwortlich. "Zum einen geht das Wachstum im PC-Markt grundsätzlich langsamer voran, zum anderen haben auch der schwache Euro und der hohe Dollarkurs zu einem schlechteren Ergebnis beigetragen. Auch die laufende Knappheit bei Prozessoren hat uns zu schaffen gemacht", sagt er.

Nach einem über alles gesehen enttäuschenden ersten Halbjahr ruhen die Hoffnungen auf dem Jahresendgeschäft. Niemand erwartet, dass die schlechte Investitionsneigung des ersten Halbjahres anhalten wird. Den Grund für diese Hoffnung bringt Systemhausgeschäftsführer Erwin Buga auf den Punkt: "Die Kunden müssen irgendwann ihre Blockadepolitik aufgeben und mit ihren Investitionen fortfahren", erklärt er.

Ingram-Macrotron-Manager Schulz erwartet im Umfeld der gewerblichen Anwender unter anderem Impulse von Windows 2000 und im Consumer-Segment von einer weiteren Popularisierung des Internet (Online-Shopping) sowie von einem "weiteren Preisverfall im PC- und Telekommunikations-Bereich". Ins gleiche Horn stößt PC-Spezialist-Vormann Roebers, der aufgrund der Preisreduzierungen im PC-Bereich im Consumer-Segment "eine dramatische Steigerung" erwartet.

Atelco rechnet für das eigene Geschäft mit monatlichen Steigerungen gegenüber dem Vorjahr um 25 bis 30 Prozent, Vobis-Chef Rakow erwartet "ein sich normalisierendes Geschäft mit einem Wachstum von etwa zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr". Richtig ins Schwärmen kommt Media-Saturn-Chef Voigt: "Ich bin optimistisch. Wir werden ein Superjahr haben!", jubelt er. "Der Fotomarkt boomt. Und einige Hersteller wie Sony werden sexy Produkte auf den Markt bringen, auf welche die Kunden abfahren werden."

Auch Maxdata-Geschäftsführer Bergter hat "erste Anzeichen für eine Wiederbelebung des Marktes" ausgemacht. M+S-Vorstandschef Mahr hat ebenfalls den Beginn einer "verbesserten Marktsituation" erkannt, und auch TDS sowie Transtec schöpfen unisono aufgrund einer "Trendwende" wieder frischen Mut. Allerdings rechnet Transtec "kurzfristig mit keiner Belebung in ausreichendem Umfang". Jedoch: "In der mittel- bis langfristigen Planung wird ein stark wachsender Markt erwartet."

Es darf als sicher gelten, dass das erste Halbjahr eine Sondersituation darstellt. Das Jahr 2000 hat gerade im Firmenkundensegment im Vorjahr viele Aufträge vorweggenommen. Es ist hier wie mit dem Mann, der sich am Abend den Bauch vollgeschlagen hat, bis er nicht mehr "Papp" sagen konnte. Der hat am nächsten Morgen auch noch keinen Appetit. Aber irgendwann wird er mit der Nahrungsaufnahme wieder beginnen müssen, sonst stirbt er.

Allerdings scheint sich abzuzeichnen, dass man in der Branche immer schlechter vorhersagen kann, wann die Anwender Appetit haben werden. So beklagt sich Ralph Kocher, Geschäftsführender Gesellschafter der KR Computersysteme GmbH in München: "Kein Jahr ist mehr so wie das vorherige. Man kann nicht abschätzen, wann eine Flaute kommt und wann es gut läuft." Das bestätigt auch Net-Age-Geschäftsführer Buga: "Der Juni war der schlechteste Monat in diesem Jahr - im Vorjahr war der Juni der beste Monat", schüttelt er den Kopf. Wie soll man da planen? (sic)

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