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03.04.1999

Sehr geehrter Herr Sicking,

es hat mich überrascht, meinen Namen und meine Adresse in Ihrer Zeitschrift zu sehen, ohne darüber informiert zu sein oder gefragt zu werden. Deshalb wundert es mich, daß Sie so vehement die Privatsphäre von Menschen in Ihrem Vorwort verteidigen, auch wenn Sie recht haben mögen.

Natürlich sollte uns eine solche Aktion von Free-PC und Compaq in Europa aus verschiedenen Gründen interessieren, aber es gibt noch zusätzliche Fragen: 1. Was bringt diese Aktion und für wen? 2. Was für eine Qualität haben die Daten, die erhoben werden?

Wenn man die Homepage von Free-PC liest, ist das Ziel der Aktion wie folgt definiert: "..to provide the power of personal computing to those who might not otherwise be able to have access to computers and the internet." Hier geht es nicht um die allgemeine Nutzung von Computer und Internet, sondern das Verhalten von "Neueinsteigern". Schauen Sie auf die Liste der Sponsors: autoweb.com, CBS Sportsline, e-Toys, Amazon.com. Diese Firmen verkaufen keine Hubs und Routers. Es geht um den Massenmarkt. In USA nutzen ungefähr 40% der Grundgesamtheit das Internet, in Deutschland ungefähr 12%. Das heißt, es wird mindestens zwei bis drei Jahre dauern, bis das Internet eine ähnliche Penetration erreicht und eine Aktion dieser Sorte in Deutschland für die Firmen überhaupt denkbar wäre. Die Free-PC Aktion zeigt uns die Wichtigkeit des Mediums Internet als Informations-Channel in USA und einen Versuch dieses Medium zu verstehen, um es als Fernsehsender oder Buchhändler zu dominieren.

Die Idee PCs zu verschenken ist clever und besonders für die Sponsoren interessant, aber die Bedingungen für die Auswahl der Teilnehmer stellt die Validität der Erhebung in Frage. Tatsache ist, daß die Information über das Verhalten bestimmter Zielgruppen ein Commodity geworden ist, der ein höheren Wert pro Zielgruppenperson hat als ein Computer in den Vereinigten Staaten - derzeit

zwischen $500 und $1,000.

Obwohl man die Privatsphäre unbedingt schützen sollte und muß, braucht man nicht hysterisch zu werden, da wir hier ähnliche Panels haben, wo Leute freiwillig detaillierte demographische Informationen an Marketing- und Forschungsfirmen geben. Es gibt trotzdem bei der Free-PC-Kampagne ein paar Erhebungsmethoden, die in Deutschland überhaupt nicht in Frage kommen würden:

1. Obwohl die Kriterien der Zielgruppenauswahl nicht klar sind, geht es hier nicht um eine repräsentative Erhebung von PC- und Internet-Nutzern. Die Zahlen wären nur für "Neueinsteiger" valide, eine Zielgruppe, die nur für bestimmte Firmen interessant sein könnte, primär Firmen für Konsumgüter.

2. Die ständige Präsenz der Sponsoren durch Werbung in einem Frame auf dem Bildschirm erlaubt keine neutrale Erhebung der Daten. Es wird die Wahrnehmung von Werbung im Internet verzerren und die Daten über Awareness und Nutzung von Banner invalidieren.

3. Banner werden bei der Free-PC-Aktion auf der PC-Festplatte des Nutzers gespeichert. Dies beschleunigt die Erscheinung eines Banners, stellt aber keine normale Werbebedingung dar.

4. Da die Teilnehmer a) gezwungen sind, mindestens 10 Stunden pro Woche den Computer und Internet zu nutzen, aber b) mit

kostenloser Internetnutzung, kann man das Nutzungsverhalten nicht als normal bezeichnen.

Eigentlich ist die ganze Aktion ein Gag, der aber einem PC-Zulieferer und -Nutzer viel bringt. Der PC-Zulieferer schafft durch PR, Werbung und tatsächliche Nutzung seines Produktes nicht nur Awareness, sondern auch Kundenbindung und einen größeren Marktanteil. Er kann in kurzer Zeit zwischen 10,000 oder wie geplant gar 1,500,000 neue "Kunden" schaffen. Das muß eine traumhafte Vorstellung für einen Marketingchef sein. Der Nutzer bekommt einen PC und Internetnutzung kostenlos, was in Deutschland bestimmt gut ankommen würde. Aber die Deutschen tendieren dazu, solche verrückten, rechtlich und aus Marketingsicht fragwürdige Aktionen mit Skepsis und Vernunft zu betrachten. Vielleicht sieht die ganze Situation hier in zwei bis drei Jahren ganz anders aus. Dann steht Deutschland auch im 21. Jahrhundert.

Mit freundlichen Grüßen

Neil Steinberg, MindShare

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