Fernzugriff: Windows-NT-basierende Systeme auf dem Vormarsch

08.06.1998

MÜNCHEN: Nach Einschätzung der Dell'Oro Group wird der Remote-access-Markt weiterhin mit jährlich 20 Prozent und mehr wachsen. Bereits nächstes Jahr soll die Zehn-Milliarden-Dollar-Grenze überschritten werden. Doch nicht nur Herstellern von Hard- und Software, auch dem Handel und hier vor allem Systemhäusern und VARs eröffnen sich mit dieser Perspektive neue Betätigungsfelder im Beratungsbereich.Was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff "Remote Access"? Zuallererst einmal die Anbindung von Außendienstmitarbeitern an das firmeneigene Netz. Damit erhält dieser Personenkreis einen direkten Zugang zu allen relevanten Informationen, seien es Lagerbestände oder aktuelle Preise, Kundendaten oder Unternehmens-News. Aber auch Mitarbeiter in Zweigstellen und Heimbüros, Geschäftspartner oder gar Kunden können einen mehr oder weniger eingeschränkten Online-Zutritt in die Firmenzentrale bekommen. Neben dem Abruf von Informationen steht ihnen dann noch die Möglichkeit offen, firmeninterne Daten zu aktualisieren - natürlich nur soweit sie dazu berechtigt sind. Vor allem für Teleworker wäre diese Art zu arbeiten eine reizvolle Alternative, könnten Sie doch auf diese Weise bequem in ihrem Home-office immer auf dem laufenden gehalten werden.

Und genau hier liegen die primären Chancen des qualifizierten Fachhandels. Nicht einfach nur das Einrichten des Remote-access-Servers steht hier im Vordergrund, sondern die Aufbereitung der internen Daten für den Zugriff aus der Ferne: Sollen die Mitarbeiter einen direkten Zugang zum Datenbankserver bekommen? Oder wird dieser aus Sicherheitsgründen gespiegelt? Wie regelt man die Zugriffsrechte von Mitarbeitern, Geschäftspartnern und Kunden? Wer erhält wo und wann den Passierschein ins Allerheiligste? Systemhäuser mit fundiertem Know-how in Sachen Betriebssysteme, Kommunikations-protokolle und Sicherheitssoftware sind hierbei genau die richtigen Ansprechpartner.

Windows NT contra Unix

Für den Zugriff auf Unternehmensdaten von außerhalb bieten die Hersteller zwei grundsätzlich verschiedene Lösungen an. Einerseits Hardware, die vollständig auf Windows NT basiert und deshalb keine weitere Software benötigt, andererseits proprietäre, meistens Unix-gestützte Systeme der alteingesessenen Remote-access-Spezialisten

Bei einer NT-Lösung, beispielsweise dem "RAServer" der Dortmunder Rascom GmbH, ist man nicht auf Gedeih und Verderb einem einzigen Anbieter ausgeliefert. Da diese Art des Fernzugriffs lediglich die Netzwerkdienste von Windows NT zu ihrem Betrieb benötigt, kann sie mit Hard- und Software anderer Hersteller kombiniert werden. "Damit sind wir weltweit der erste Anbieter von völlig offenen Remote-access-Systemen auf Basis von Windows NT", lobpreist Rascom-Geschäftsführer Stefan Gieseler sein Konzept.

"Völliger Quatsch", entgegnet dem Dietmar Wilde, Account Manager Distribution beim Marktführer Ascend Communications GmbH. "Windows NT ist doch nicht offen, ganz im Gegensatz zu Unix. Denn unter diesem Betriebssystem laufen die ganz großen Netzwerke. NT-Rechner bilden lediglich das Portal. Und kein ernstzunehmender Netzbetreiber wird auf Windows NT zurückgreifen.

Dazu ist das Betriebssystem viel zu instabil." Von ComputerPartner auf die Windows NT-Dienste RRas (Routing und Remote Access Service) und PPTP (Point to Point Tunneling Protocol) angesprochen, gibt sich der Ascend-Mann weiterhin gelassen: "Selbstverständlich unterstützen auch wir beides. Und das PPTP wurde ja unter unserer Federführung mit Microsoft zusammen entwickelt."

Was die Kompatibilität seiner Produkte zu denen der Mitbewerber betrifft, hält Wilde den Ausführungen von Gieseler entgegen, daß auch As-cend-Systeme mit beispielsweise Cisco-Routern kommunizieren können. Die Grundlage dafür bilden die Standardprotokolle.

Autoreifen für alle

"Wenn es wirklich so wäre, wie das Rascom behauptet, würde das ganze Internet nicht funktionieren", pariert der Ascend-Manager den Einwand der Nichtkompatibilität seiner Produkte und zieht gleich noch einen drastischeren Vergleich: "Das wäre dann so, als ob ein BMW nur mit BMW-Reifen fahren könnte." Dann bringt es Wilde auf den Punkt: "Man kommuniziert schließlich nicht mit einem Router, sondern über diesen hinweg mit einer Anwendung, zum Beispiel SAP R/3. Der Router dient ja nur dazu, die Remote-access-Anfrage weiterzuleiten, insoweit ist jedes dieser Geräte offen", beendet der Manager seinen kleinen Routinglehrgang für Anfänger.

Dem pflichtet auch Marius Brzezinski, Geschäftsführer des Berliner Dynabit Systemhauses, bei: "Das Motto "Einmal Ascend, immer Ascend' trifft nicht zu, eine Erweiterung mit Fremdprodukten ist schon möglich.

Dazu muß aber der Systemadministrator gleich zwei Kernel-Betriebssysteme beherrschen: Ascends TAOS (True Access Operating System) und beispielsweise Ciscos IOS (Internetwork Operating System). Und Datenkomprimierung beim Transfer zwischen den Routern unterschiedlicher Herkunft ist dann auch nicht mehr möglich." Ein viel größeres Problem stellt für den Geschäftsführer der derzeit leer gefegte Arbeitsmarkt dar: "Momentan können wir keine Netzwerkexperten einstellen, weil es sie einfach nicht in genügender Anzahl gibt. Die Leute studieren einfach das Falsche."

Dreistufiges Partner-Konzept

Ungeachtet der Vormachtstellung von Ascend & Co., versucht Rascom, der Newcomer aus New Hampshire, seit Oktober 1997 auch auf dem deutschem Markt Fuß zu fassen. Da seine Produkte ausschließlich mit den Routing- und Remote-access-Diensten unter Windows NT arbeiten, beharrt der Hersteller bei der Auswahl seiner Partner darauf, daß diese das Microsoft-Betriebssystem aus dem Effeff beherrschten. Kommen noch Kenntnisse von Remote-access-Protokollen hinzu, kann sich ein Partner zum autorisierten "RASeller" qualifizieren. Danach erhält er von Rascom vertriebliche und technische Unterstützung. Zu den begleitenden Marketingmaßnahmen zählen beispielsweise die kostenlose Überlassung von technischen Dokumentationen, Teilnahme an Road-Shows sowie Veröffentlichung von Artikeln in der Kundenzeitschrift.

Das Partnerkonzept ist dreistufig:

Je nach Anzahl der beteiligten Mitarbeiter, Umsatzgröße und technischem Know-how wird man einfacher RASeller, einer in "Silver" oder gar "Gold". Doch bisher gibt es erst drei qualifizierte Rascom-Partner.

Plug & Surf

Einer der ersten, der den Status eines RASeller Silver erlangen konnte, war die Frankfurter BMS Kommunikationssysteme AG. Frederik Bauer, dortiger Systemadministrator, ist mit dem Rascom-Server auch sehr zufrieden: "Das System ist einfach aufzusetzen - mit einem Kabel ans Telefonnetz und mit dem anderen ans Lan anschließen -, unter Win-dows NT konfiguriert sich das Ganze dann weitgehend von selbst. Die

Installation unseres eigenen RAServers war ein Kinderspiel."

Viel Unterstützung seitens des Herstellers haben die Experten von BMS bisher noch nicht benötigt: "Rascom liefert seinen Server bereits vorkonfiguriert aus, alles weitere finden wir ja unter Windows NT", so führt der Systemadministrator aus. "Unsere ersten potentiellen Kunden kommen aus dem Bankenbereich. Sie wollen ihre Heimarbeiter kostengünstig ans eigene Netz anbinden", erzält Bauer weiter. "Diese Wertpapierhändler können dann ihre Aktienkäufe und -verkäufe bequem von zu Hause aus tätigen."

Banken und Versicherungen sind die liebsten Kunden

Das Ganze liegt auch in dem von Rascom anvisierten Rahmen. Denn Systemhäuser und VARs, die Unternehmen aus dem Finanzdienstleistungs-sektor bedienen, sind die bevorzugten Partner. Schließlich sieht auch Richard Hannapel, Vertriebsleiter bei Rascom und selbst ein Teleworker, in dieser Branche einen riesigen Nachholbedarft bezüglich Fernanbindung: "Nur so können die Mitarbeiter vor Ort oder beim Kunden direkt auf die Unternehmensinfrastruktur zugreifen." Auch Behörden und Universitäten werden seiner Meinung nach zu den künftigen Remote-access-Benutzern zählen.

Grosse Installationen bleiben Domän der arrivierten Anbieter

Obwohl nach einer IDC-Umfrage der Anteil Windows-NT-basierender Systeme am Remote-access-Markt von 33 Prozent im Jahre 1995 bereits 1997 auf 44 Prozent angewachsen ist und der Trend weiter anhält, sieht der Ascend-Manager Wilde bisher keinen Handlungsbedarf. Er glaubt nicht, daß ein Anbieter wie Rascom sich ein großes Stück vom Remote-access-Markt wird abschneiden können. Immerhin deckt Ascend mit seinen Pipeline- und Max-Produktreihen den gesamten Anforderungsbereich ab, angefangen von einer einfachen S0-ISDN-Anbindung bis hin zu mehreren Primärmultiplex-Anschlüssen mit maximal 720 Kanälen, die auch klassisch analog genutzt werden können.

Wer Ascend-Produkte weitervertreiben möchte, kommt um eine Schulung nicht herum. Immerhin ist die Anmeldung zu so einer Veranstaltung bei Ascend relativ simpel: Einfach die Website www.ascend.de/

schulung.htm ansteuern. Dort kann man sich über Termine, Preise, den Anfahrtsweg zum Schulungszentrum in Weiterstadt bei Darmstadt und mögliche Hotelunterbringung informieren.

Schulungen führt ebenfalls Ascends größter Spezialdistributor Computerlinks AG in München durch. Immerhin fällt hier das dreitätige Training zur Konfiguration und Installation von Ascend-Produkten um über 400 Mark billiger aus als beim Hersteller selbst. Auf diesbezügliche mögliche Interessenkonflikte mit Ascend angesprochen, gibt sich der Computerlinks-Vorstandsvorsitzende Stephan Link eher großzügig: "Während As-cend vorwiegend Endkunden schult, beschäftigen wir uns hier ausschließlich mit Wiederverkäufern. So ergänzen wir uns fast ideal. Ein Partnerprogramm ist auf dem Wege."

Auch die Alternative kommt aus Dortmund

Der einzige andere bedeutende Anbieter von auf Windows NT basierenden Remote-access-Produkten ist die Dortmunder ITK Telekommunikation AG. Ihre "NetBlazer"-Reihe bietet im mittleren Bereich etwas für jede Unternehmensgröße, angefangen beim 4400er Modell für einen ISDN-Basisanschluß bis zur 8100er Variante, die Platz für bis zu 120 Ports bietet. Dabei können alle Kanäle sowohl im digitalen (ISDN) als auch analogen Modus genutzt werden. Sogar der Mobilfunkstandard GSM wird unterstützt. Die Preise für diese Systeme beginnen bei 1.300 und enden jenseits von 30.000 Mark.

Alles, was der Systemadministrator zum Betrieb des Netblazer benötigt, ist laut ITK ein PC im Lan. Als Netzwerkbetriebssysteme kommen neben Windows NT auch Novells Netware und Intranetware sowie SCO Unix in Frage. Der in Eigenregie entwickelte "ITK Statusbildschirm" konfiguriert und überwacht der Verbindungsaktivitäten im Lan.

Nach Herstellerangaben läßt sich das System um Produkte der Wettbewerber aufrüsten. So soll er ständig auf dem neuesten Stand der Netzwerktechnologie bleiben.

Erster Kontakt findet auf der Datenautobahn statt

Eine Liste aller Distributoren von ITK-Produkten findet sich unter www.itk.de/company/distributoren.cfm. Ebenfalls im Web ist das Fachhandelsforum www.itk.de/communicationteam angesiedelt.

Das Communication Team erblickte im Herbst 1995 das Licht der Welt. Knapp anderthalb Jahre später konnten die Dortmunder den 270sten Partner begrüßen. Freilich macht hier ITK feine Unterschiede zwischen den "Get Access"- und "Communication Team"-Partnern. Während die letzteren lediglich einen Großteil der Produkte vertreiben, leisten die Get-access-Partner darüber hinaus die erforderlichen Servicearbeiten beim Kunden.

Der ITK-Unterstützungskatalog reicht dabei von vertrieblichen und technischen Schulungen über Pre- und Post-sale-Maßnahmen bis hin zum Einkauf von Demo-equipment zu rabattierten Listenpreisen. Geschult wird übrigens nicht nur die Handhabung der eigenen Geräte, sondern optional auch der Umgang mit den Betriebssystemen Windows NT, Novell IntranetWare und SCO-Unix. Daneben organisiert ITK regelmäßige Partnertreffs zum besseren Erfahrungsaustausch.

Der Konzentrationsprozess hat erst begonnen

Stellte für ITK bereits der Zusammenschluß mit dem US-amerikanischen Digitalmodemhersteller Telebit eine große Herausforderung an ihr Fachhandelskonzept dar, steht nach ihrer Übernahme durch den kanadischen Telekommunikationsspezialisten Digi International die Bewährungsprobe erst bevor. Es bleibt abzuwarten, wie die neue ITK ihr Produktportfolio auf das der Mutter abstimmt. Ihre Stellung als ISDN-Vorreiter dürfte sie in Deutschland vorerst los sein, denn einige Posten werden sicherlich aus ihren Regalen verschwinden, um nicht mit Digis Produkten in Konkurrenz treten zu müssen. Schließlich haben die Nordamerikaner die Fusion angestrebt, um sich hauptsächlich ITKs Voice-over-IP-Technologie einzuverleiben. Immerhin ist diese Technik für Roland Elster, Leiter der Business Unit Enterprise, "das heißeste Thema der Firmengeschichte von ITK".

Der RAS-Markt ist heiss umkämpft

Der Digi-ITK-Merger dürfte nicht der letzte seiner Art sein. Denn auch Ascend ist ein heißer Übernahmekandidat. Der angeschlagene Nischenanbieter Bay Networks Inc. wurde erst vor einem Monat vom kanadischen Telekommunikationsriesen Nortel gekauft (siehe ComputerPartner 13/97, Seite 1). Die Nordamerikaner erhoffen sich durch diesen 9,1-Milliarden-Dollar-Deal eine schnellere Konvergenz von Daten- und Sprachnetzen. Hierfür fehlte ihnen bisher das IP-Know-how, das sie sich von Bay Networks nun holen wollen (siehe ComputerPartner 14/97, Seite 1).

Im Low-end-Bereich des Remote-access-Marktes tummelt sich die

3Com Inc., die erst letztes Jahr durch die Übernahme des Modemspezialister US Robotics für Schlagzeilen sorgte. Obwohl 3Com momentan nach Insider-Berichten Gewinne ausschließlich mit NICs (Network Interface Cards) einfährt, soll angeblich der schwedische Telekommunikationsanbieter Ericsson Kaufinteresse gezeigt haben.

Zu Cisco haben auch einige Telekom-Unternehmen ihre Fühler ausgestreckt. Doch ist der Netzwerkmarktführer wohl ein zu großer Fisch, um einfach so geschluckt zu werden. Abschließend bleibt festzuhalten, daß auf Windows-NT basierende Remote-access-Systeme sicherlich ihre Daseinsberechtigung haben - das jedoch gewiß nicht in größeren Netzwerkumgebungen mit mehr als einem Dutzend gleichzeitig zugreifender Mitarbeiter. Hier sind die Server von Ascend & Co. einfach erste Wahl, da sie hoch skalierbar und mit einem eigenen, relativ ausfallsicheren Betriebssystem ausgestattet sind. Außerdem verfügen sie über ausgefeiltere Sicherheitsfunktionen wie beispielsweise IPSec, die erst in der Windows-NT-5.0-Version fest implementiert wird. Hinzu kommen Mechanismen zur Steuerung von Prioritäten bei der Übertragung von unterschiedlichen Datentypen. Danach werden Videokonferenzen und Voice-over-IP bevorzugt behandelt, wohingegen E-Mails oder Fax-over-IP-Dokumente am Ende der Warteschlange landen. (rw)

Stefan Gieseler, Rascom-Geschäftsführer: "Der Teilmarkt der

offenen Remote-access-Systeme wird deutlich schneller wachsen

als der allgemeine RAS-Markt."

Stephan Link, Vorstandsvorsitzender beim Ascend-Distributor ComputerLinks AG: "Wir ergänzen uns mit Ascend prächtig.

Ein Partnerprogramm ist auf dem Wege."

Dietmar Wilde, Account Manager Distribution bei Ascend Communications GmbH: "Mir ist nicht ganz klar, was Digi mit ITK vorhat."

Roland Elster, Leiter der Business Unit Enterprise bei der ITK AG:

"Durch den Zusammenschluß von ITK und Digi International entsteht der Marktführer im Bereich der serverbasierten Kommunikationssysteme."

Richard Hannapel, Vertriebsleiter bei Rascom:

"Der Erwerb von ITK durch Digi ist für uns eher von Vorteil."

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