Flexibilität zahlt sich aus

17.06.1999

MÜNCHEN: Vom Boom auf dem IT-Arbeitsmarkt profitieren seit geraumer Zeit auch die Zeitarbeitsfirmen. Mit der steigenden Zahl qualifizierter Bewerber stricken die Personaldienstleister, die im Arbeitsmarkt nicht unbedingt den besten Ruf genießen, an einem neuen Image.36 Jahre alt war Sonja Velten, bis dahin Tänzerin von Beruf, und hatte damit eigentlich eher ungünstige Perspektiven für die weitere berufliche Zukunft. Nach der zweijährigen Umschulung zur Europa-Sekretärin klopfte die mittlerweile 38jährige bei einer Münchner Zeitarbeitsfirma an. Für sie war es der gelungene Neuanfang. "Wichtig war für mich vor allem, so schnell wie möglich Berufserfahrung zu sammeln, die in der Arbeitswelt vorausgesetzt wird", erinnert sie sich.

Nach einem kurzen Gastspiel bei den Bayer-Werken landete Sonja Velten als Vertriebsassistentin bei Microsoft in Unterschleißheim vor den Toren Münchens. "Während dieser Zeit versuchte ich herauszufinden, was zu mir paßt, wie mein Arbeitsumfeld beschaffen sein muß."

So wie die Ex-Microsoft-Mitarbeiterin suchen heute zunehmend auch IT-Fachkräfte den direkten Draht zu Zeitarbeitsfirmen. Doch nicht nur Umschüler, Quereinsteiger, frisch den Hochschulen entsprungene Informatiker mit Diplom, Freiberufler oder Freelancer gehören zur Klientel der Personaldienstleister. "Immer öfter klopfen bei uns auch IT-Fachkräfte an, die schon länger in einem Unternehmen beschäftigt sind, sich jedoch beruflich verändern wollen", so Stefan Otto, Mitglied des Vorstands bei der DIS Deutscher Industrie Service AG mit Sitz in Offenbach.

Aufbau von IT-Bewerber-Pools

Keine Frage: Zeitarbeitsfirmen gehören zu der Zeit des aktuellen Fachkräftemangels in der IT-Branche zu den Gewinnern. Und das, obwohl viele dieser Unternehmen auch heute noch mit einem schlechten Image kämpfen, das gemeinhin Assoziationen mit Putzkolonnen aufkommen läßt.

Doch diese Zeiten sind laut DIS-Vorstand Otto passé. Die Zunft der Personalvermittler feilt schon seit längerem an einem neuen Selbstverständnis. Zeitarbeitsfirmen wie DIS, Manpower, Adecco, Allpower, Allbecon oder der Marktführer Randstad nennen sich deshalb heute Personaldienstleister. "Die Dienstleistung um das Personal herum ist sehr viel vielschichtiger als nur Zeitarbeit", macht Otto deutlich.

Vorbei sind die Zeiten, in denen Zeitarbeitsfirmen vorwiegend ungelernte Fachkräfte vermittelten, die Qualifikation der Bewerber steigt zusehends. Nicht ohne Stolz betont Otto, daß der Akademikeranteil bei DIS in den letzten Monaten kontinuierlich gestiegen sei und derzeit bei acht Prozent liege.

Bereits seit zwei Jahren baut das Unternehmen einen IT-Bewerber-Pool auf. Otto läßt sich dabei in die Karten blicken: "Im Moment verfügen wir in unseren zehn Niederlassungen über 60 Fachkräfte im Datenverarbeitungsbereich." Das ist bislang - verglichen mit den 3.833 externen Mitarbeitern im ersten Quartal 1999 - jedoch erst ein Tropfen auf den heißen Stein.

Doch die Hessen, die 1998 ihren Umsatz um 26 Prozent auf 258 Millionen Mark steigern konnten und damit Rang sechs unter den deutschen Zeitarbeitsfirmen einnahmen, liegen damit im Trend.

Immer mehr sind Personaldienstleister heute Anlaufstellen für Software-Entwickler, Anwendungsbetreuer oder Netzwerkadministratoren.

Adecco beispielsweise präsentiert im Internet ein Spektrum aus über zehn DV-Berufen, darunter Lotus-Notes-Entwickler, Online-Programmierer und Datenbankspezialisten. Die im September 1998 gegründete Tochtergesellschaft Ajilon ist ausschließlich auf Personalservice für IT-Kräfte spezialisiert und mittlerweile mit fünf Büros in Deutschland vertreten.

Ob man auch bei Manpower "bessere Chancen" hat, wie die Internet-Homepage verspricht, sei zunächst dahingestellt. Die sechs offerierten Stellen vom AS/400-Softwareentwickler in Berlin bis hin zum Projektleiter in Chemnitz sind jedenfalls nicht unbedingt up to date.

Gnadenlose Jagd auf IT-Profis

Trotz großer Vorteile, die temporär begrenzte Einsätze bieten: Zeitarbeit ist und bleibt für die meisten Bewerber ein Übergangsstadium. Zumindest so lange, bis sich ein festes Beschäftigungsverhältnis aufgetan hat. Das bestätigt auch eine aktuelle Untersuchung des Bundesverbandes Zeitarbeit Personaldienstleistungen (BZA). Demnach wird rund ein Drittel der Zeitarbeitnehmer von den Unternehmen direkt in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen.

Im IT-Bereich dürfte diese Zahl angesichts des eklatanten Fachkräftemangels jedoch deutlich höher liegen. Auch hier gewährt Otto einen Blick in die Praxis. "Im Schnitt sind die Kandidaten zwischen drei und fünf Monate in einem Unternehmen." Spätestens dann legt das Jobkarussell den nächsten Stop ein - sprich für den modernen Wanderarbeiter öffnet sich eine weitere Unternehmenspforte.

Der einzelne ist damit fein heraus. Er hält sich unnötigen Bewerbungsfrust vom Hals und spart außerdem Zeit und Kosten. Ist er zudem flexibel, hindert ihn nichts daran, mit der Unternehmenskultur verschiedener Firmen auf Tuchfühlung zu gehen, ohne gleich als Jobhopper abgestempelt zu werden. "Wenn jemand zwei Jahre bei DIS ist", so Otto, "wechselt er fünf bis sechs Mal sein Aufgabengebiet."

Ein Szenario, zu dem es jedoch in vielen Fällen erst gar nicht kommt. "In der IT ist der Markt gnadenlos. Oft bekommen die Leute sofort Abwerbeangebote", beklagt der DIS-Vorstand. Die Verträge sind deshalb in der Regel so konzipiert, daß sie von vornherein Abwerbeklauseln enthalten. "Werden Kandidaten gleich am ersten Tag von potentiellen Arbeitgebern ernsthaft ins Visier genommen, müssen Firmen im Schnitt ein halbes Jahr lang das Gehalt bezahlen", verrät Otto.

Fünf bis zehn Prozent weniger Gehalt

Das dürfte auch ganz im Sinne des Leiharbeiters - neudeutsch: Temporary - sein. Denn einen Gehaltssprung bedeuten zeitlich begrenzte Engagements bei einem Personaldienstleister nicht unbedingt. "Im IT-Bereich verdient ein Informatiker bei DIS zwischen fünf und zehn Prozent weniger als in der freien Wirtschaft. Je höher die Qualifikation, desto geringer die Abstriche beim Gehalt", versichert der DIS-Manager.

Daß jedoch gestandene ITler nicht unbedingt den Kontakt mit einer Zeitarbeitsfirma suchen, sondern vielmehr ihren aktuellen Marktwert durch Headhunter testen lassen, dürfte auch Personaldienstleistern klar sein. Die Visitenkarte einer Zeitarbeitsfirma ist nicht jedermanns Sache. Angesichts derzeit lukrativer Verdienst-möglichkeiten kommt für viele DV-Spezialisten ein Jobwechsel ohnehin nur dann in Betracht, wenn sich auch beim Gehalt entsprechende Prozentpunkte draufsatteln lassen.

Andererseits haben auch IT-Unternehmen - so scheint es zumindest - ihre liebe Not mit Leih-arbeitern. "Unsere Kunden haben es nicht so gerne, daß wir ihre Namen preisgeben", so Otto. Zum festen Kundenstamm der Offenbacher gehören laut Vorstand die 300 größten Unternehmen in Deutschland. Vor allem amerikanischen IT-Firmen dürfte dabei das den Zeitarbeitsverträgen zugrunde liegende Rotationsprinzip nicht ungelegen sein. Denn zum einen gilt bei ihnen auch hierzulande: hire and fire. Zum anderen sind Projekte in der IT-Welt ohnehin meist befristet.

Tabu-Thema für viele IT-Personalchefs

Warum sich dennoch viele IT-Personalchefs zum Thema Zeitarbeit bedeckt halten, hat seine Gründe. So sind die Temporaries - bei Microsoft werden sie auf der Telefonliste mit einem kleinen "t" geführt - nach wie vor den Betriebsräten ein Dorn im Auge. Vor allem deshalb, weil es hinten und vorne an einer tariflichen Organisation fehlt und die Gehälter, wie bereits erwähnt, niedriger liegen.

Auch für die Vertriebsassistentin bei Microsoft war dies nach ihrem dritten Engagement der Hauptgrund, den Vertrag mit ihrem Personaldienstlei-ster zu kündigen. "Für die beruflichen Möglichkeiten und den Service, die mir die Zeitarbeitsfirma bot, habe ich ein geringeres Gehalt zunächst akzeptiert. Auf die Dauer aber von 2.200 Mark netto im Monat zu leben, ist mies."

Auch sie erhielt von Microsoft ein Jobangebot, das sie letztendlich aber ausschlug. Während ihres Einsatzes hatte sie nicht nur kräftig Berufserfahrung gesammelt, sondern auch fleißig an einem Netzwerk geknüpft - und dabei ihren neuen Arbeitgeber, einen amerikanischen Dokumentenmanagement-Hersteller, kennengelernt.

Mit der Aussicht auf eine Position als Vertriebsmanagerin stehen der heute 42jährigen völlig neue Perspektiven offen. Im Rückblick würde Sonja Velten jedoch sofort wieder bei einer Zeitarbeitsfirma anheuern. "Für mich war das die schnellste und bequemste Art, beruflich wieder in die Puschen zu kommen." (god)

DIS-Vorstand Stefan Otto: "In der IT ist der Markt gnadenlos. Oft bekommen die Leute sofort Abwerbeangebote."

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