FOKUS: Europas Unternehmen liegen bei molekularer Diagnostik vorn

30.06.2008

Von Richard Breum

DOW JONES NEWSWIRES

DÜSSELDORF (Dow Jones)--Ob der Neandertaler unser direkter Vorfahre ist, war lange umstritten. Klarheit brachte erst eine Untersuchung seiner Gene: Er ist es nicht - von einem gemeinsamen Vorfahren aus haben sich die frühen Menschen und der muskulöse Neandertaler parallel entwickelt. Im Fokus der Biotechnologie steht derzeit die Analyse der Gene lebender Menschen. Sie soll Krankheiten oder Veranlagungen für Erkrankungen schnell und zuverlässig nachweisen und Strategien gegen Infektionen und Krankheiten wie Krebs und Diabetes liefern.

Die europäische Biotechnologie spielt bei dieser so genannten molekularen Diagnostik weltweit eine Vorreiterrolle - und die Aussichten sind weiterhin gut. So kommen die beiden weltweit größten Unternehmen in diesem Bereich, der Roche-Konzern und das Biotech-Unternehmen Qiagen NV, aus Europa. Der Nachweis von Krankheiten, Viren und Bakterien durch die Analyse von genetischem Material, derzeit ein Markt von knapp 3 Mrd USD, gehört zu den am schnellsten wachsenden und profitabelsten Bereichen der Biotechnologie.

"Während die Biotechnologie in Europa insgesamt den USA hinterherhinkt, ist sie bei der molekularen Diagnostik führend", sagt auch Analyst Christian Peter von Sal. Oppenheim. Die Wachstumsaussichten sind hier deutlich besser als bei der Diagnostik insgesamt und auch als bei der klassischen Pharmabranche. Zu den Unternehmen, die in diesem Bereich als besonders gut aufgestellt gelten, zählt Qiagen. Analysten der BayernLB zum Beispiel rechnen damit, dass Qiagen das Marktwachstum noch übertreffen wird.

Vor allem drei Vorteile gegenüber den herkömmlichen Verfahren sollen den neuen Tests zum Durchbruch verhelfen. Zum einen sind sie schnell: Bisher musste bei einem Virus-Test gewartet werden, bis der Organismus im Laufe von Wochen Antikörper gebildet hatte, über die die Viren dann indirekt nachgewiesen werden. Jetzt wird direkt nach dem genetischen Profil eines Virus gesucht - und es gibt sofort Klarheit.

Zweiten sind die Tests empfindlich - schon winzige Mengen genetischer Information reichen für die neuen Nachweise. Und schließlich gelten sie als sehr verlässlich. Die Zuverlässigkeit ist ein äußerst wichtiges Thema bei jeder Diagnose. Ein herkömmliches Testverfahren auf Prostatakrebs zum Beispiel zeigt auch gelegentlich fälschlich Krebs an, so dass der Nutzen insgesamt umstritten ist.

Das Volumen des weltweiten Diagnostika-Marktes insgesamt wird auf rund 32 Mrd USD geschätzt, er wächst pro Jahr mit 3% bis 5%. Nur rund 2,7 Mrd USD entfallen dabei auf die molekulare Diagnostik - hier wird aber mit einem jährlichen Wachstum von bis zu 17% gerechnet. "Bis 2012 wird dieser Markt eine Größe von über 5 Mrd USD haben", heißt es zum Beispiel in einer Studie der BayernLB.

Den größten Bereich der molekularen Diagnostik machen derzeit mit einem Anteil von über 50% des Marktes Tests auf Infektionskrankheiten aus. Der zweitgrößte Teilmarkt sind Blutbanken mit 25%. In diesem Segment, auf das vor allem der Roche-Konzern spezialisiert ist, werden Blutproben zum Beispiel auf Hepatitis und HI-Viren getestet.

Das verbleibende Viertel des Marktes umfasst Segmente wie die Krebsdiagnostik. Es ist gegenüber den beiden anderen Gebieten noch im Anfangsstadium. "Es wird aber besonders stark wachsen", sagt Peer Schatz, Vorstandsvorsitzender der Qiagen NV: "Die so erfolgreichen Tests auf Infektionskrankheiten sind nur die Vorläufer einer großen Entwicklung." So setzt sein Unternehmen unter anderem auf das frühe Erkennen von Krebs und seinen Vorstufen und bietet dafür mehrere Tests an.

Zu dem besonders schnell wachsenden letzten Viertel des Marktes gehören auch so genannte pharmakogentische Tests. Hier wird überprüft, wie Medikamente vertragen werden und wirken, denn das hängt auch von den Genen ab. So ermöglicht eine molekulare Untersuchung in bestimmten Fällen eine Vorhersage über den wahrscheinlichen Behandlungserfolg einer Therapie. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Her2-Gen bei Brustkrebs. Ist es besonders aktiv, bietet das Medikament "Herceptin" eine wirksame Therapie.

Wird vor klinischen Tests die genetische Ausstattung der Patienten untersucht, können sie zudem mit kleineren Gruppen durchgeführt werden, sie sind damit schneller und kostengünstiger. Zudem werden Menschen, bei denen die Wirkstoffe gar nicht anschlagen können, die Nebenwirkungen erspart. "Die personalisierte Medizin gewinnt stark an Bedeutung - auf dem weltgrößten Krebskongress in Chicago zum Beispiel war die Behandlung von Darmkrebs je nach genetischer Ausstattung das beherrschende Thema", sagt der Fondsmanager einer deutschen Großbank.

Wie stark die Branche in Bewegung ist, zeigt auch ein Zusammenschluss Anfang Juni: Das Unternehmen Hologic übernimmt den Qiagen-Wettbewerber Third Wave, der noch nicht profitabel ist, für rund 580 Mio USD. "Das ist ein klares Indiz für das hohe Interesse an der molekularen Diagnostik", so der Fondsmanager.

Mehr als die Hälfte dieses Marktes teilen sich derzeit zwei europäische Unternehmen: Der Marktanteil von Roche bei molekularer Diagnostik wird von Analysten auf 37% beziffert; Qiagen kommt auf 16%. Die beiden Unternehmen sind damit auf diesem Teilmarkt der Diagnostik mit Abstand Weltmarktführer vor den beiden US-Unternehmen Gen-Probe und Abbott mit Marktanteilen von 9% und 8%. Der Siemens-Konzern kommt auf rund 7%.

Nimmt man jedoch den Bereich der Blutbanken aus, ist Qiagen das weltweit größte Unternehmen bei der molekularen Diagnostik - Wettbewerber aus der Biotechnologie hierzulande wie zum Beispiel die Heidelberger mtm Laboratories sind deutlich kleiner, und auch internationale Konkurrenten wie Myriad erreichen Qiagens Größe nicht. Mittlerweile hat weltweit kein Unternehmen mehr molekulardiagnostische Tests im Angebot als Qiagen.

Das Venloer Unternehmen, dessen Zentrale in Hilden in Nordrhein-Westfalen angesiedelt ist, war schon in den vergangenen Jahren Weltmarktführer für die Aufbereitung von genetischen Proben. Über Zukäufe und eigene Forschung ist das Gebiet mit molekularen Tests hinzugekommen. "Beide Märkte sind eng miteinander verbunden, denn vor einem molekulardiagnostischem Test steht immer die Vorbereitung der Probe", sagt Peer Schatz.

Unter den reinen Biotechnologie-Unternehmen gilt Qiagen deshalb als besonders gut positioniert. Mittlerweile haben die Hildener rund 120 molekulardiagnostische Tests. Sie richten sich vor allem auf bakterielle und virale Krankheiten wie zum Beispiel HIV, Herpes, Tuberkulose oder Hepatitis und umfassen auch so genannte Multiplex-Assays, mit denen mehrere Tests gleichzeitig erledigt werden können. Bei Infektionskrankheiten habe Qiagen das breiteste Angebot der Welt, heißt es in einer Studie der BayernLB.

Entscheidender Schritt für den Ausbau der Molekularen Diagnostik war 2007 die Übernahme des US-Unternehmens Digene für 1,6 Mrd USD. Digene hat einen Test auf das humane Papillomvirus, das Gebärmutterhalskrebs auslösen kann. Durch diese Übernahme ist der Bereich molekulare Diagnostik mit 48% des Umsatzes zum größten Segment der Hildener geworden. Er soll für das erwartete starke Umsatzwachstum sorgen, denn bei der Vorbereitung genetischer Proben ist kein starkes Wachstum mehr möglich - diese Qiagen-Produkte stehen ohnehin schon in den meisten Laboren.

"Für 2009 erwartet Qiagen einen Umsatz von über 1 Mrd USD nach 650 Mio USD im Jahr 2007", sagt CEO Peer Schatz. 2012 soll der Erlös dann 2 Mrd USD erreichen. "Das Unternehmen wäre dann auch ein Kandidat für das Börsensegment MDAX", sagt Analyst Christian Peter: "Qiagen ist wegen seiner soliden, weit verbreiteten technologischen Basis bei der molekularen Diagnostik sehr gut positioniert."

Trotz der starken Zunahme der neuartigen Tests gibt es auch Probleme für die Branche. Dazu zählt die Frage, wer die Kosten für die Untersuchungen bezahlt. "Das Entlohnungssystem im Gesundheitswesen legt den Fokus derzeit fast ausschließlich auf die Behandlung von Krankheiten, nicht auf deren Diagnostik und Vorbeugung", bedauert zum Beispiel Schatz.

Wie schnell personalisierte Medikamente auf den Markt kommen, hänge zudem davon ab, ob Pharmaunternehmen bereit seien, sich weiter zumindest zum Teil vom so genannten Blockbuster-Modell zu lösen, also der Entwicklung von Wirkstoffen mit einem Jahresumsatz von mindestens 1 Mrd USD. "Dieses Modell sieht ja genau die Entwicklung von Medikamenten für möglichst große Bevölkerungsgruppen vor", sagt Schatz.

Insgesamt sehen Analysten jedoch auch aus finanziellen Gründen einen starken Trend zu den neuen Untersuchungsmethoden: "Die verbesserte Diagnostik hat durch genauere und frühere Einschätzungen erhebliches Potenzial, Kosten im Gesundheitswesen einzusparen", sagt Analyst Christian Peter. Bisher ist der Diagnose-Markt gegenüber dem Pharmamarkt von rund 675 Mrd USD verschwindend klein. Durch die Fortschritte der molekularen Diagnostik werde sich das Verhältnis aber rasch ändern: "Für den Bereich gibt es Rückenwind von allen Seiten," sagt Peter.

Webseite: http://www.qiagen.com - Von Richard Breum, Dow Jones Newswires, +49 (0) 211 - 13872 15, Richard.Breum@dowjones.com DJG/rib/mim/kgb

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