FOKUS: Siemens-Management muss Vertrauen zurück erobern

20.03.2008
Von Alexander Becker DOW JONES NEWSWIRES

Von Alexander Becker DOW JONES NEWSWIRES

MÜNCHEN (Dow Jones)--Mit der Gewinnwarnung vom Montag hat das Management der Siemens AG nicht nur über 12 Mrd EUR Marktwert vernichtet, sondern offenbar auch eine Menge Vertrauen verspielt. Vor allem das Ausmaß der Probleme bei den schlüsselfertigen Projekten des Technologiekonzerns irritiert Investoren und Analysten. Der neue Vorstand um CEO Peter Löscher muss nun zeigen, dass er neben dem umfassenden Konzernumbau auch die operativen Probleme schnell in den Griff bekommt - sonst sind weitere Kursverluste beim Münchener DAX-Wert vorprogrammiert.

Anfang der Woche hatte Siemens nach einer Überprüfung von Großprojekten im Energie- und Industriesektor über zusätzliche Risiken in Höhe von 900 Mio EUR berichtet, die das Ergebnis im laufenden zweiten Quartal entsprechend belasten werden. Die Siemens-Aktie verzeichnete mit einem Sturz um 17% auf 66,42 EUR den höchsten Tagesverlust in seiner DAX-Geschichte, womit innerhalb eines Handelstages über 12 Mrd EUR des Börsenwerts von Siemens vernichtet wurden.

Die Ankündigung hat nach Einschätzung der Analysten von UBS kurzfristig das Risiko von Herabstufungen der Gewinnerwartungen erhöht und die Glaubwürdigkeit des Managements angekratzt. Die Investment-Story bei Siemens beruhe nun auf der Umsetzung des Restrukturierungsprogramms. "Wir glauben aber, dass die Investoren dabei nun skeptischer sein dürften", so die UBS-Analysten. UBS empfiehlt Siemens zwar weiter als "Buy", senkte aber das Kursziel auf 110 EUR von zuvor 130 EUR.

Zahlreiche Analysten senkten wie die UBS ihre Kursziele, und sprachen von einem Vertrauensverlust in das Siemens-Management. Die meisten Analysten zeigten sich dabei unangenehm überrascht über die Höhe der Sonderbelastungen. Zwar hatte Siemens Analysten und Investoren bereits zuvor auf Probleme im Projekt-Geschäft hingewiesen, offenbar aber die mögliche Tragweite der Ergebnisse nicht ausreichend kommuniziert.

"Vor nur zwei Wochen haben wir uns mit dem Siemens-Management getroffen. Dass sich die zusätzlichen Zahlungen auf eine solche Höhe belaufen würden, hatte sich dabei allerdings noch in keiner Weise abgezeichnet", so Andreas Willi, Analyst bei JP Morgan, der die Siemens-Aktie mit "Overweight" und einem Kursziel von 102 EUR bewertet. Seiner Einschätzung nach werde es angesichts der überraschenden Gewinnwarnung eine Zeit dauern, bis das Vertrauen wieder aufgebaut ist.

Nach Einschätzung von Fondsmanager Christoph Niesel von Union Investment ist der Vorwurf der Unglaubwürdigkeit an das Siemens-Management aber "übertrieben". In der Vergangenheit habe man ihn heranziehen können, als Siemens viel versprochen und zumindest bei der Profitabilität und Gewinnen enttäuscht hat. Positiv sei aber anzumerken, dass die Unternehmensführung nun die Altlasten anpackt und reinen Tisch machen möchte, so der Fondsmanager, der 2 Mrd EUR verwaltet und einen nicht näher bezifferten Anteil an Siemens hält.

Dabei hat der neue CEO Peter Löscher bereits ein ehrgeiziges Aufgabenprogramm vor sich. Nach nur wenigen Monaten im Amt verordnete der Österreicher Siemens den tiefgreifendsten Konzernumbau seit knapp 20 Jahren. Das operative Geschäfts wurde in die drei Sektoren Industry, Energy und Healthcare mit jeweils einem dafür verantwortlichen CEO aufgeteilt. Analysten und Investoren hatten bereits seit längerer Zeit darauf gedrängt, das Management direkter am operativen Geschäft auszurichten und die Verantwortlichkeiten klarer zu definieren.

Nachdem die neue Konzernstruktur mit den Sektoren und darunter liegenden Divisionen seit Jahresbeginn gilt, steht das Management nun vor der Herausforderung, das gesamte operative Geschäft konkret an der neuen Struktur auszurichten.

Löscher selbst hatte bei seinem Amtsantritt eine "Evolution statt Revolution" für das Unternehmen angekündigt. Dabei wächst der Druck von Seiten des Finanzmarktes, möglichst schnell konkrete Restrukturierungsergebnisse zu präsentieren. "Ganz klar geht die Investment-Story für Siemens nun deutlich mehr über die Ausführung als über die Versprechungen", schreiben die Analysten der Credit Suisse, die Siemens als "Outperform" mit einem Kursziel von 98 EUR bewerten.

"Das Management muss nun unter Beweis stellen, dass es die ganzen Probleme der Vergangenheit wie Ausführung, schlechtes Management und mangelndes Kostenbewusstsein lösen kann", so Fondsmanager Niesel. Dabei habe es "nicht mehr viel Zeit", denn die Geduld der Aktionäre sei in den vergangenen fünf bis sieben Jahren strapaziert worden. "Bis Ende 2008 muss ein Schlussstrich unter den Altlasten stehen. Spätestens im Geschäftsjahr 2008/09 soll klar erkennbar sein, dass Siemens den Fokus auf Profitabilität und Kapitaleffizienz setzt."

Anleger und Investoren werden die Fortschritte künftig genau beobachten. Dafür bieten sich bereits in den kommenden Wochen zahlreiche Gelegenheiten. Noch im April will Siemens die Überprüfung der noch ausstehenden Projekte abgeschlossen haben und ein Gesamtbild über die Sonderbelastungen präsentieren. Bei der Vorlage der Zweitquartalszahlen Ende April soll über den Zwischenstand der geplanten Senkung der allgemeinen Vertriebs- und Verwaltungskosten berichtet werden.

Bis Juli steht dann der Verkauf der Sparte Siemens Enterprise Communications (SEN) an. Hier hatte Siemens Ende Februar eine tiefgreifende Restrukturierung angekündigt. Mit rund 6.800 Mitarbeitern weniger soll nun nach über einjähriger Suche ein neuer Partner für das derzeit schwierige Geschäft mit Kommunikationsanlagen für Unternehmen gefunden werden. Sollte Siemens bis Ende Juni keinen Käufer finden, muss SEN wieder in der Konzernbilanz konsolidiert werden.

Siemens-CEO Löscher selbst gibt sich angesichts der bevorstehenden Aufgaben unverändert optimistisch. "Nach vorne sind die Weichen für profitables Wachstum gestellt", sagte Löscher nach der Gewinnwarnung und bekräftigte die für das Jahr 2010 gesetzten Renditenzielen.

Sollte das Siemens-Management jedoch jetzt nicht die Weichen dafür richtig stellen, dürfte sich das auch nachhaltig negativ auf den Aktienkurs des Unternehmen auswirken. "Falls Siemens bei der Umsetzung der Restrukturierung in den kommenden zwei Jahren nicht wie versprochen vorankommt, wird die Aktie an Attraktivität verlieren. Zumal es in diesem Sektor auch andere Erfolg versprechende Unternehmen gibt," so Fondsmanager Niesel.

Webseite: http://www.siemens.com - Von Alexander Becker, Dow Jones Newswires, +49 (0)89 5521 40 30 industry.de@dowjones.com DJG/abe/kgb/nas

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