FOKUS: Vom boomenden Russland profitieren die Lkw-Hersteller

15.04.2008
Von Christoph Baeuchle DOW JONES NEWSWIRES

Von Christoph Baeuchle DOW JONES NEWSWIRES

STUTTGART (Dow Jones)--Auf dem Wachstumsmarkt Russland verzeichnet auch die Lkw-Branche einen Boom. Der Wettlauf ausländischer Hersteller, die auf eine weiter sprunghaft steigende Nachfrage im mittlerweile größten Markt Europas für schwere Lkw setzen, ist in vollem Gange. Alle Importeure wollen ihre Marktanteile ausweiten, das gilt auch für den Münchener Nutzfahrzeughersteller MAN.

Zunehmend planen die Lkw-Hersteller eigene Fabriken in Russland, damit sie vom Wachstum noch stärker profitieren. Die MAN AG fertigt seit dem vergangenen Jahr in einem Werk im polnischen Krakau Nutzfahrzeuge, von dem aus auch der russische Markt bedient wird. Mit der Eröffnung eines MAN Hauses, in dem der Münchener Konzern die Vertriebsaktivitäten seiner Sparten vereint, verstärkt auch er sein Engagement in Russland.

"Bis 2012 wird Russland vor Deutschland der größte Fahrzeugmarkt in Europa", prognostiziert Ivan Bonchev, Teamleiter Automotive bei Ernst & Young in Moskau. Der Markt für schwere Lkw sei bereits 2007 der größte in Europa gewesen.

Nach Bonchevs Berechnungen hat Russlands Markt für schwere Lkw im vergangenen Jahr um mehr als 30% auf 123.000 Einheiten zugelegt. Importierte Gebrauchtfahrzeuge sind dabei eingeschlossen. Für das laufende Jahr ist Bonchev allerdings weniger optimistisch: "Wir rechnen mit einem leichten Rückgang auf 105.000 bis 110.000 Stück." Ausschlaggebend dafür seien Käufe, die wegen der Einführung des neuen Abgasstandards Euro 3 vorgezogen wurden.

Doch bereits 2009 soll das Bild wieder ganz anders aussehen. "Nächstes Jahr rechnen wir mit ähnlichen Wachstumsraten wie 2007 - etwa 30%", sagte Bonchev. Allerdings sei für 2010 die Einführung der Abgasnorm Euro 4 geplant, was erneut zu Vorzieheffekten und anschließendem Verkaufsrückgang führen dürfte. "Für 2010 rechnen wir etwa mit dem Absatz von 130.000 schwerer Lkw."

Bislang dominieren am russischen Markt die heimischen Hersteller. Die beiden russischen Marken Kamaz und Ural haben laut J.D. Power 2007 rund 53.000 und 15.000 Lkw mit mehr als 15 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht produziert. Die importierten Neufahrzeuge sind noch deutlich in der Minderheit.

Am meisten schwere Lkw (über 20 Tonnen) konnte laut J.D. Power der schwedische Hersteller Scania mit rund 5.330 Einheiten absetzen, vor Volvo mit knapp als 4.170 Stück. Auf Rang 3 folgt MAN mit rund 2.900 Fahrzeugen vor Mercedes-Benz mit mehr als 1.470 Einheiten.

Der Absatzanteil der Importeure dürfte in den nächsten Jahren deutlich steigen. "Bei schweren Lkw haben die westlichen Hersteller derzeit einen Anteil von 17% bis 18%", sagt Götz O. Klink, Partner bei A.T. Kearney. Er erwartet, dass dieser Anteil bis 2015 auf etwa 40% steigt.

Bei importierten Neufahrzeugen dominieren bislang die skandinavischen Hersteller. Ihre Absatzzahlen liegen noch relativ nah beieinander, es gibt bislang keiner klare Führung. "Ich rechne damit, dass Volvo sich in den nächsten Jahren eine klare Führungsposition erarbeiten könnte", schätzt Paulo Cardamone vom Prognoseinstitut CSM Worldwide.

Denn Volvo Trucks ist mit einem kleinen Montagewerk in Russland Vorreiter unter den Lkw-Herstellern. Bereits 2003 entschied sich Volvo zum Aufbau einer Mpntagelinie mit einer Kapazität von rund 500 Einheiten.

Das Risiko scheint sich ausgezahlt zu haben, denn nun will Volvo mehr als 100 Mio EUR in ein Montagewerk bei Kaluga investieren. Bis 2009 soll es fertig werden. Dann sollen in der Fabrik jährlich rund 10.000 Einheiten der Marke Volvo und 5.000 Stück der Marke Renault produziert werden. Den Schritt nach Russland wagt auch Scania: Der schwedische Truck-Hersteller will ein Werk mit einer Kapazität von jährlich 10.000 Einheiten pro Schicht errichten. "Derzeit befindet sich Scania in Verhandlungen mit den Behörden", sagt Experte Cardamone.

Auch Daimler Trucks hat den russischen Markt ins Visier genommen. "Ich gehe davon aus, dass wir in Kürze ein CKD-Werk in Russland haben", sagte der für die Truck-Sparte zuständige Daimler-Vorstand Andreas Renschler Anfang des Jahres. Er erwarte noch in diesem Jahr eine Entscheidung. Bislang ist sie noch nicht gefallen. In einem CKD-Werk (Completely Knocked Down) werden komplett zerlegte Teilsätze eines Fahrzeugs zusammengesetzt. Hersteller umgehen so hohe Import-Zölle.

Dagegen hat sich MAN für ein Werk in Krakau entschieden, das im vergangenen Sommer eröffnet wurde. Hier kann der Münchener Nutzfahrzeughersteller rund 30.000 Lkw produzieren, die für den osteuropäischen Markt und für die GUS-Staaten bestimmt sind. Mit der Eröffnung eines MAN Hauses, in dem die russischen Aktivitäten der Teilkonzerne gebündelt werden, will das Unternehmen interne Synergien nutzen und das Engagement in Russland vorantreiben.

Die westlichen Hersteller wie Volvo, Scania und MAN setzen die lokalen Hersteller unter Druck. Zwar liegt Kamaz mit einem Absatz von 48.600 Lkw über 15t noch immer unangefochten an der Spitze. Doch die Russen scheinen Geld und Know-how zu benötigen. Jüngst meldete die Nachrichtenagentur Interfax, dass der Lkw-Hersteller einen Börsengang, eine Zusammenarbeit mit dem weißrussischen Hersteller MAZ oder den Verkauf eines Minderheitsanteils anstrebe. Insgesamt sei das Unternehmen rund 5 Mrd USD wert.

Doch der Druck der Premiumhersteller auf die russischen Lkw-Produzenten ist nur ein Aspekt - die chinesischen Hersteller konkurrieren in Russland über den Preis. "Die Verkäufe chinesischer Hersteller laufen sehr gut", sagt Bonchev. Diese Fahrzeuge seien natürlich sehr preisgünstig. "Die chinesischen Trucks machen vorwiegend natürlich den heimischen Produkten Konkurrenz", so Bonchev, aber sie stellten auch gegenüber den Gebrauchtimporten ein Wettbewerb dar.

Webseiten: http://www.atkearney.com http://www.csmauto.com http://www.daimler.com http://www.ey.com http://www.man.eu Von Christoph Baeuchle, Dow Jones Newswires; +49 (0)711 - 2287 412, christoph.baeuchle@dowjones.com DJG/cba/rio/nas

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