Frei von Produktionsballast gewinnt Acer an Fahrt

02.10.2003
Kopfschüttelnd hatte sich vor zwei Jahre die Branche gefragt, ob das gut geht, wenn Acer, noch dazu ein großer OEM-Hersteller, sich von der kompletten Produktion trennt. Der Erfolg des zweiten Quartals 2003 scheint dem taiwanesischen Unternehmen nachträglich Recht zu geben.

Strikt hierarchische, starre Strukturen, wie sie nach Meinung von Branchenkennern Großkonzernen in Japan und Korea zum Fallstrick werden - Beispiel Toshiba - kennen die taiwanesischen Unternehmen nicht oder kaum. Denn die meisten von ihnen sind klein bis mittelständisch geblieben und haben sich somit ein Stück mehr an Flexibilität bewahrt.

Deutschland-Geschäftsführer Oliver Ahrens zufolge hat Acer mit gewaltigen Umstrukturierungsmaßnahmen vor und nach der Jahrtausendwende nicht zuletzt auch zum Ziel gehabt, zur ursprünglichen Flexibilität zurückzufinden. Die Abspaltung der Produktion durch das Flüggewerden von Benq und Wistron war für alle ein Gewinn, erklärt EMEA Vice President Walter Deppeler. Denn Acer wird unabhängiger von den Produktionsquellen; Benq und Wistron hingegen können völlig frei den Markt bedienen. Das betrifft vor allem das OEM-Geschäft. Und wie es scheint, ist diese Rechnung aufgegangen - für Acer als reines Marketingunternehmen, das es heute ist, auf jeden Fall. Für den ehemaligen Texas-Instruments-Mann Deppeler ein wesentlicher Punkt ist auch, dass die taiwanesische Führung dem europäischen Management heute eine deutlich freiere Hand lässt als früher. "Zur Zeit von Klaus Muuß waren noch einfach zu viele Chinesen in den europäischen Chefetagen."

Abgesehen von Platz zwei bei Notebooks im EMEA-Raum und Platz drei in Deutschland hat Acer auch sonst im zweiten Quartal reichlich Grund zum Feiern. Mit umgerechnet 1,7 Milliarden Euro lag der Umsatz im ersten Halbjahr um 34 Prozent über Vorjahresniveau, in EMEA sogar um 60 Prozent. Den Nettogewinn gibt Acer mit 54,7 Millionen Euro an, wo im vergangenen Jahr noch ein Minus davorstand. Anteilsverkäufe bei Benq und anderen Unternehmen in Höhe von 95,5 Millionen Euro werden erst im dritten Quartal bilanziert. Vom Q2-Umsatz von knapp 889 Millionen Euro machten PC- und Notebook-Verkäufe nach 443,7 Millionen Euro im Vorjahr 630 Millionen Euro aus; dabei ist der EMEA-Anteil von 48 auf 57 Prozent noch einmal gestiegen. Panamerika macht gerade mal 19 Prozent aus, soll aber laut Deppeler mithilfe des krisenerfahrenen europäischen Managements noch in diesem Jahr neu angegangen werden. "Das neue 'Gasgeben' in Amerika wird deutlich die Handschrift von Europachef Gianfranco Lanci tragen", so Deppeler. Wie Ahrens zuvor, ist auch der Schweizer EMEA-Vize davon überzeugt, dass Acer mit dem Festhalten an Prinzipien wie etwa dem 100-prozentigen Commitment zum indirekten Geschäft im Handel punktet, da man berechenbar sei.

Gemessen am Markt ist der Acer-PC-Absatz im ersten Halbjahr um über 30 Prozent gewachsen, bei Notebooks sogar um mehr als 60 Prozent. Für das dritte Quartal rechnen Ahrens und Deppeler mit einem Notebook-Wachstum von um 100 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Mit elf verschiedenen Notebook-Produktlinien sieht sich Acer auch für das vierte Quartal gut gerüs-tet. Ein Portable im Ferrari-Look dürfte dem Weihnachtsmann zwar gut stehen, bei einem geplanten Preis von um 1.900 Euro aber doch eher selten aus seinem Geschenksack purzeln.

Um aber nicht nur vom PC- und Notebook-Markt abhängig zu sein, sucht Acer die Ausweitung des Produktportfolios, ohne sich zu zerfransen, was heißt, dass zum Wohle neuer Modelle manche älteren auch gestrichen werden. Bei LCD-Monitoren hat Acer in Westeuropa laut Bryan Norris im zweiten Quartal einen Marktanteil von 6,7 Prozent und Platz vier erreicht und will laut Ahrens, zugleich Peripherieverantwortlicher für ganz EMEA, auch bei Projektoren Gas geben sowie in naher Zukunft auch mit LCD-TV-Geräten.

www.acer.com

ComputerPartner-Meinung

Wie es scheint, lag Acer richtig mit der Entscheidung, sich von der (OEM-) Produktion zu trennen und sich ganz als Marketingunternehmen zu präsentieren. Schlanke Strukturen und schnelle Wege erleichtern die Entscheidungsprozesse und sorgen für das rechte Maß an Flexibilität. Einen guten Job bescheinigten viele Partner dem Hersteller während der VIP-Days in Mallorca Anfang September auch in puncto Fachhandelsunterstützung. Man kann nur hoffen, dass Acer sich, wie viele andere vorher, nicht auf diesen Lorbeeren ausruht. (kh)

Ist Benq wirklich ganz abgenabelt?

Acer heißt auf Chinesisch Hongji, erhabener Spielstein; letzteres Zeichen ist vielleicht Go-Spielern geläufig. Aus Acer Communications and Multimedia (ACM) wurde vor knapp zwei Jahren Benq. Seitdem wird kein Versuch ausgelassen, um zur Untermauerung der strikten Trennung nach außen hin offene Feindschaft zu demonstrieren. Komisch nur, dass sich im chinesischen Namen von Benq (Mingji, strahlende Basis statt wie zuvor strahlender Spielstein) nur ein Zeichen geändert hat, während die Aussprache bis hin zur Tonebene völlig gleich geblieben ist. Deutschland-Geschäftsführer Oliver Ahrens zufolge hält Acer zwar nur noch einen Anteil von weniger als 20 Prozent an Benq. Manche Branchenkenner vermuten jedoch, dass die Bande doch noch stärker sind als nach außen kommuniziert.

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