Führungsmacht nutzen,Führungskraft entfalten

10.10.2002
Führungskräfte haben Macht. Und Führungskräfte brauchen Macht. Sonst können sie ihre Aufgabe nicht erfüllen. Helmut Staminski* setzt sich damit auseinander, warum vielen Führungskräften der angemessene Umgang mit der ihnen verliehenen Macht schwer fällt. Unter anderem, weil in den meisten Unternehmen das Thema "Führung und Macht" tabuisiert wird.

Was ich hatte, war schließlich nur geliehene Macht." Das sagte Thomas Middelhoff wenige Tage nach seinem Sturz als Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann AG. Mit diesen Worten begründete er, warum er ohne Groll von dem Medienkonzern scheidet. Seine Aufgabe bei Bertelsmann habe ihm "ein tolles Leben ermöglicht" und dass er "etwas Gutes erreicht habe." Ein solch gelassenes Verhältnis zur ihnen verliehenen Macht aufgrund ihrer Position haben wenige Führungskräfte. Im Unternehmensalltag stellt man oft fest: Während manche Führungskräfte sich scheuen, ihre Macht - anders als Middelhoff in seiner Ära bei Bertelsmann - aktiv zu gebrauchen, verlieben sich andere geradezu in sie. Entsprechend schwer können sie ihre verliehene Macht wieder abgeben. Unter anderem, weil sie befürchten: Wenn ich sie nicht mehr habe, lauscht bestenfalls noch mein Dackel meinen Worten.

Macht gezielt gebrauchen

Selten begegnet man Managern, die ein angemessenes Verhältnis zur ihnen verliehenen Macht haben. Dies ist kein Zufall! In den meisten Unternehmen wird das Thema "Führung und Macht" tabuisiert. Dabei hat jeder Manager nicht nur Führungsgemacht, son-dern zudem auch Entscheidungs- und Gestaltungsautorität, damit er seine Aufgabe erfüllen kann. Trotzdem wird das Thema "Umgang mit Macht" - selbst in Förderkreisen für den Führungsnachwuchs - selten erörtert. Dabei bereitet der Umgang mit der "verliehenen Macht" vielen Führungskräften Schwierigkeiten. Unter anderem, weil sie das aktive Nutzen ihrer Macht oft irrtümlich mit einem autoritären Verhalten gleichsetzen.

Die Angst, autoritär zu wirken

Deshalb scheuen sich zum Beispiel viele Führungskräfte, "wenn’s brennt" und ein schnelles und entschlossenes Handeln nötig wäre, ihre Entscheidungsmacht zu nutzen. Die Folge: Ihre Mitarbeiter wissen nicht, was es zu tun gilt. Ihnen fehlen der nötige Halt und die gewünschte Orientierung. Gleiches registriert man bei Veränderungsprozessen. Bei ihnen schrecken Führungskräfte oft davor zurück, von ihren Mitarbeitern das gewünschte Verhalten einzufordern - aus Angst, sie könnten autoritär wirken.

Macht genießen statt gezielt einsetzen

Bei anderen Führungskräften re-gistriert man das entgegengesetzte Verhalten. Sie agieren stets aus der Position: "Ich bin der Chef, also habe ich das Sagen". Sie dirigieren ihre Mitarbeiter ausschließlich über Anweisungen und Vorgaben, selbst wenn es eher angebracht wäre, um Unterstützung zu werben. Sie übersehen, dass ihnen ihre Mitarbeiter zwar kurzfristig gehorchen. Sie gewinnen sie aber nicht als Mitstreiter. Warum nicht? Sie sind für ihre Mitarbeiter keine "Autoritäten", sondern "autoritäre Persönlichkeiten", die ihre Macht genießen, statt sie gezielt zu gebrauchen.

Noch häufiger begegnet man im Unternehmensalltag Führungskräften, die unsicher sind: Wann ist es der Situation und der Person angemessen, meine Macht aktiv zu gebrauchen? Zum Beispiel, um meinen Mitarbeitern einen klaren Weg aufzuzeigen. Und wann sollte ich eher für ein Mitarbeiten oder verändertes Verhalten werben? Entsprechend unberechenbar ist ihre Reaktion. Mal schlagen sie mit dem Dampfhammer zu und walzen alle Bedenken platt, wenn Geduld und Verständnis angebracht wären. Dann wiederum schauen sie dem Fehlverhalten eines Mitarbeiters scheinbar endlos lange zu, obwohl all seine Kollegen bereits da-rauf warten: Wann packt der Chef endlich den Dampfhammer aus und sagt: "So geht es nicht!"?

Kein Führungsstil erkennbar

Diese Führungskräfte haben im Arbeitsalltag meist die größten Schwierigkeiten. Warum? Für ihre Mitarbeiter ist in ihrem Verhalten kein Führungsstil erkennbar. Folglich wissen sie auch nicht, wie sie sich verhalten sollen. Zudem führt ein solch widersprüchliches Verhalten meist dazu, dass sich zahlreiche Mitarbeiter ungerecht behandelt fühlen, da sie die Reaktionen ihres Chefs nicht verstehen.

Dass vielen Führungskräften der Umgang mit der ihnen verliehenen Macht Schwierigkeiten bereitet, liegt nicht nur an ihrer ungenügenden Vorbereitung auf ihre Führungsaufgabe. Auch die (zumindest auf dem Papier formulierte) Kultur der Unternehmen trägt hierzu ihr Scherflein bei. In ihren Leitlinien und Führungsgrundsätzen dominieren meist Aussagen wie "Wir sind ...", "Wir machen ...". Ganz so, als wären die Interessen der Unternehmensführung sowie der Führungskräfte und der Mitarbeiter stets identisch und als säßen sie im selben Boot. Ebenso verhalten sich ihre Führungskräfte, wenn sie zum Beispiel mit ihren Mitarbeitern die Arbeit planen oder Ziele vereinbaren. Dann appellieren auch sie meist an das kollektive Wir. Und ihre Mitarbeiter? Sie sitzen daneben, nicken stumm und denken innerlich: Wenn der Chef das will, kann ich ohnehin nichts dagegen tun. Also sagen sie "Ja", um später auf Umwegen doch ihre Ziele zu erreichen.

Interessenunterschiede akzeptieren

Deshalb sollten Führungskräfte möglichst selten an das kollektive Wir appellieren. Stattdessen sollten sie häufiger sagen "Ich will ...", "Ich möchte ...", "Ich habe die Vorgabe ...". Warum? Dann können sie im nächsten Schritt mit ihren Mitarbeitern herausarbeiten: Welche gemeinsamen Interessen haben wir, und wo divergieren unsere Interessen? Außerdem: Welche Inte-ressen lassen sich unter bestimmten Voraussetzungen unter einen Hut bringen? Zudem können sie deutlich machen: Welche Vorgaben sind debattierbar, und welche sind unverrückbar - sei es, weil ich dies als Bereichsverantwortlicher als nötig erachte oder weil ich selbst gewisse Vorgaben habe? So lässt sich ein tragfähigeres Fundament für die Zusammenarbeit legen, als wenn die vorhandenen Unterschiede negiert werden. Oder wenn Führungskräfte sich entweder so gebärden, als hätten sie keine Macht, oder als hinge ihr Erfolg nicht auch von der Unterstützung ihrer Mitarbeiter ab.

www.staminski.de

*Helmut Staminski ist Inhaber des Trainings- und Beratungsunternehmens Staminski & Partner in Fulda.

Zur Startseite