Für den Mittelstand: die kleine AG

10.05.2000
Wenn größere Handelsunternehmen den Kreis ihrer Anteilseigner erweitern wollen, ist die 1994 geschaffene Rechtsform der kleinen AG eine geeignete Lösung. Auch die Unternehmensnachfolge in Familiengesellschaften lässt sich auf diese Weise gut bewältigen. Gründen kann die Mini-Aktiengesellschaft aber auch ein Einzelkämpfer.

Eigentlich ist die mit dem Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts am 10. August 1994 geschaffene kleine AG gar keine neue Rechtsform. Die Gesetzesnovelle schafft lediglich neue Möglichkeiten für den Mittelstand. Vorher war das Recht zu sehr auf große Gesellschaften zugeschnitten. Das gilt auch für die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952. So ist die kleine AG eine Unterart, eine besondere Version der normalen Aktiengesellschaft. Sie macht sich auf der einen Seite die Vorteile dieser zunutze und vermeidet auf der andere Seite eine ganze Reihe von Nachteilen der großen AG.

Pionier für die neue Rechtsform kleine AG

Heinrich Remagen, Inhaber des größten deutschen Lampengeschäfts am Kölner Neumarkt, war einer der Pioniere der neuen Rechtsform. Kurz vor Weihnachten 1995 wurde seine Remagen AG als neuartige kleine AG notariell beglaubigt. "Die alte Struktur", so begründet Heinrich Remagen den Wechsel von der GmbH zur kleinen AG, "war ineffizient, produzierte unnötige Kosten und verhinderte Motivationen." Seinen vier Kindern stehen jetzt alle Möglichkeiten offen, ihren Neigungen gemäß einen Platz in der Firma zu finden, ohne auf eine Kapitalbeteiligung verzichten zu müssen.

Martin Jakecheschky ist ein 33 Jahre junger Firmengründer aus Norddeutschland. Er ist in der Nähe von Ahrensburg zu Hause und will mit seiner neuen Firma ein gutes Stück vom weltweiten Kuchen für Diätlebensmitteln erobern. Der Chemiker, der ein cholesterinarmes Eipulver entwickelt hat, entschied sich ebenfalls für die Lösung kleine AG, obwohl ihm Banken wegen zu hoher Kosten und bürokratischen Hürden davon abgeraten hatten. Der Norddeutsche verfolgte mit seiner Entscheidung gegen die GmbH & Co KG und für die kleine AG zwei Ziele: Er wollte zwei Millionen Mark Startkapital auftreiben und zugleich sein persönliches Risiko möglichst klein halten. Zudem genießt er als Inhaber einer AG gutes Ansehen bei Finanzinstituten und Geschäftspartnern. Außerdem hat er es fertiggebracht, mit einer cleveren Besetzung des Aufsichtsrates über ein fast kostenloses Beratungsteam zu verfügen.

Jede dritte neue AG ist eine in der neuen kleinen Form

Von den 400 bis 500 neuen Aktiengesellschaften jährlich wird inzwischen rund ein Drittel als kleine AG gegründet. Das können die Amtsgerichte im Handelsregister so gut nachvollziehen, weil am vorgeschriebenen Mindestgrundkapital abzulesen ist, ob es sich um die kleine oder große Form einer Aktiengesellschaft handelt. Denn der AG-Nachwuchs braucht nur 100.000 Mark Grundkapital. Wer das nicht gleich aufzubringen vermag, kann für einen Teil dieser Summe eine bankübliche Sicherheit stellen. Neu bei dieser Rechtsform ist nicht nur das relativ geringe Grundkapital, sondern auch die Möglichkeit, dass nunmehr auch ein Einzelner eine AG gründen kann. Für die normale Aktiengesellschaft sind von Anfang an mindestens fünf Aktionäre nötig.

Der Gesetzgeber und die mittelständische Wirtschaft hatten große Hoffnungen in die kleine AG gesetzt. Sie sind zu einem großen Teil bereits heute erfüllt worden.

Sechs Motive für die Entscheidung

Das Bundesjustizministerium sieht insgesamt sechs verschiedene Gründe oder Motive für die Wahl der neuen Rechtsform:

- An der Spitze rangieren größere mittelständische Unternehmen, die an die Börse gehen wollen oder sich zumindest diese Option offen halten möchten.

- Eine zweite Gruppe resultiert aus den Unternehmen, die zwar nicht an die Börse gehen, aber trotzdem den Kreis ihrer Anteilseigner vergrößern möchten. Sie wollen Verwandte, Mitarbeiter oder Kunden als Aktionäre gewinnen.

- Familiengesellschaften wählen in dem Fall häufig die kleine AG, wenn im Zuge der Nachfolgeregelung eine Trennung zwischen Management und Gesellschafterkreis angestrebt wird.

- Gern wird diese Rechtsform auch für Holding-Gesellschaften und Tochterunternehmen gewählt.

- Die sechste Gruppe unter den neuen kleinen Aktiengesellschaften sind jene Unternehmen besonders aus dem Kreis der so genannten "New Economy", welche die AG nur aus Imagegründen wählen. Sie sind dem Justizministerium ein Dorn im Auge. Solche Firmen wollen seiner Meinung nach mit der AG nur den Eindruck eines gegenüber anderen Rechtsformen dynamischeren und kapitalmarktorientierten Unternehmens erwecken.

Gründungsaufwand liegt bei etwa 3.000 Mark

Auch die kleine AG ist wie ihr großer Bruder eine juristische Person des Privatrechts und im Unterschied zu den Personengesellschaften BGB-Gesellschaft, Offene Handelsgesellschaft (OHG), Kommanditgesellschaft (KG) und Stiller Gesellschaft eine Kapitalgesellschaft. Die Steuerbelastung ist für Kapitalgesellschaften wie GmbH und AG generell größer als für Personengesellschaften, die Haftung dagegen geringer. Sie ist auf die Kapitalanteile der Aktionäre am Unternehmen begrenzt.

Der Gründungsaufwand ist zwar reduziert, aber immer noch erheblich. Der Gründung muss notariell beurkundet und nicht nur beim Handelsregister, sondern auch bei Gericht angemeldet werden. Dennoch sind die Gründungskosten nach Einschätzung von Fachleuten bei der kleinen AG mit rund 3.000 Mark nicht viel höher als bei der GmbH (etwa 2.500 Mark).

Die wesentlichen Erleichterungen gegenüber der großen AG bestehen für den kleinen Ableger in einer größeren Autonomie bei der Gewinnverwendung, der Einschränkung der Mitbestimmung und einem einfacheren Umgang mit der Hauptversammlung der Aktionäre. Dazu kommen die schon erwähnten Pluspunkte Mindestkapital und Ein-Personen-AG.

Die Satzung der kleinen AG kann wesentlich flexibler gestaltet werden, es als bisher im Paragrafen 58, Absatz zwei, des Aktiengesetzes vorgeschrieben war. So können Vorstand und Aufsichtsrat nun beschließen, nicht nur einen größeren Teil, sondern auch einen kleineren Teil als die Hälfte des im Jahresabschluss ausgewiesenen Gewinnes in die Rücklagen einzustellen. Außerdem kann in der Satzung der Anspruch auf Einzelverbriefung der Aktien ausgeschlos- sen werden. Stattdessen wird eine Globalurkunde angefertigt.

Leichterer Umgang mit der Hauptversammlung

Die Einberufung, Durchführung und Protokollierung der Hauptversammlung werden für die kleine AG deutlich vereinfacht und erleichtert. Wenn die Aktionäre namentlich bekannt sind, reichen zur Einberufung des Treffens eingeschriebene Briefe. In gleicher Weise können Mitteilungen über Tagesordnungspunkte und Minder- heitsanträge behandelt werden. Von großem Vorteil sind der Wegfall der Einberufungsfrist für die HV, der Verzicht auf die teuere öffentliche Bekanntmachung der Tagesordnung, die freie Wahl von Ort und Termin der HV sowie die Möglichkeit, auch über nicht ordnungsgemäß bekannt gemachte Tagesordnungspunkte zu beschließen. Auch die Protokolle wurden leichter. Solange auf der HV keine Beschlüsse gefasst werden, für die das Gesetz qualifizierte Mehrheiten vorsieht, reicht eine vom Aufsichtsrat unterzeichnete Niederschrift. Es muss also nicht mehr in jedem Fall ein notariell aufgenommenes und beurkundetes Protokoll vorgelegt werden.

Hemmschwelle für die Gründung oder Umwandlung in eine AG war für viele Unternehmer in der Vergangenheit die damit einhergehende Mitbestimmung. Die kleine AG braucht die Drittelparität im Aufsichtsrat aber nicht zu fürchten, solange sie bestimmte Größenordnungen bei Umsatz, Mitarbeitern und Bilanzsumme nicht überschreitet. Diese Grenzen gelten auch für die Publizitätsvorschriften. Beispielsweise liegt das Limit bei den Beschäftigten bei 500 Mitarbeitern. Wer als kleine AG nur eine Belegschaft in diesem Umfang hat, ist bei der Mitbestimmung der GmbH gleichgestellt.

Bilanz für die kleine AG ist durchaus positiv

Eine positive Bilanz in Sachen kleine AG ziehen nicht nur das Justizministerium, sondern auch die Banken. Dazu stellvertretend Reiner Selbach, Manager bei der Westdeutschen Genossenschafts-Zentralbank in Düsseldorf: "Die Alternative der Gründung einer Ein-Personen-Gesellschaft sowie die weitere Deregulierung etwa bei der Hauptversammlung machen die Aktiengesellschaft als Rechtskleid mittelständischer Unternehmen bedeutend praktikabler. Es ist für kleinere und mittlere Firmen wesentlich leichter geworden, in die AG hineinzuwachsen und sich so die Vorteile dieser Rechtsform - etwa bezüglich der Unternehmensführung, der Personalpolitik oder der Flexibilität beim Generationswechsel - nutzbar zu machen. Selbach erwartet, dass sich in den kommenden Jahren allein aufgrund des Übergangs von Betrieben von der Gründern zu der Erben noch mehr Unternehmen für den Gang an die Börse entschließen: "Darunter dürften künftig zunehmend mittelständische, kleine Aktiengesellschaften sein." (pw)

Vorteile

- 100.000 Mark Grundkapital genügen zur Gründung.

- Haftung auf Kapitaleinlage beschränkt

- Ein Aktionär reicht aus.

- freizügige Gewinnverwendung

- eingeschränkte Mitbestimmung

- eingeschränkte Publizität

- leichte Kapitalbeschaffung durch Aufnahme neuer Aktionäre

- erster Schritt in Richtung Börse

- Gewaltenteilung: Vorstand ist nur dem Aufsichtsrat verantwortlich. Das erleichtert die Führung.

- Erben können einfach aus der Firma ausscheiden: Sie verkaufen ihre Aktien.

Nachteile

- relativ hoher Gründungsaufwand

- Notwendigkeit der Hauptversammlung

- Kontrolle durch den Aufsichtsrat

- Aufsichtsrat kostet Geld

- Kontrolle durch Wirtschaftsprüfer

- Wirtschaftsprüfer kosten Geld

- drohende Mitbestimmung

- drohende Publizitätspflicht

- AG-Gründer, die nur das Image der kleinen AG wollen, schaden deren Ruf.

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