FÜR DV-CHEFS HAT SICH DAS SCHLARAFFENLAND AUSGETRÄUMT

24.05.1996
MÜNCHEN: Am Arbeitsmarkt macht sich ein gravierender Schwund an offenen DV-Führungspositionen bemerkbar. Starken Aufwind hingegen verspüren hingegen die Jobofferten für Projektleiter und Projektmanager.Schön war die Zeit, in der es fast mehr Führungskräfte in der DV gab, als Fachkräfte. Schön jedenfalls für alle die, welche die DV als chancenreiches Terrain für schnelle Karrieren mit klangvollen Titeln und saftigen Salären ansahen. Sieben Führungsebenen waren da keine besondere Ausnahme. Nahezu einziges Problem stellte dabei die Titelvergabe dar: denn jeder Führungstitel braucht nun einmal auch eine organisatorische Ebene. DV-Organigramme wucherten so in Konzernstruktur anmutende Gebilde in dem jedes Tierchen sein Pläsierchen finden konnte. Hauptsache Leiter; selbst wenn man sich nur selbst leiten mußte.

MÜNCHEN: Am Arbeitsmarkt macht sich ein gravierender Schwund an offenen DV-Führungspositionen bemerkbar. Starken Aufwind hingegen verspüren hingegen die Jobofferten für Projektleiter und Projektmanager.Schön war die Zeit, in der es fast mehr Führungskräfte in der DV gab, als Fachkräfte. Schön jedenfalls für alle die, welche die DV als chancenreiches Terrain für schnelle Karrieren mit klangvollen Titeln und saftigen Salären ansahen. Sieben Führungsebenen waren da keine besondere Ausnahme. Nahezu einziges Problem stellte dabei die Titelvergabe dar: denn jeder Führungstitel braucht nun einmal auch eine organisatorische Ebene. DV-Organigramme wucherten so in Konzernstruktur anmutende Gebilde in dem jedes Tierchen sein Pläsierchen finden konnte. Hauptsache Leiter; selbst wenn man sich nur selbst leiten mußte.

Doch dieser Traum ist aus. Kostenzwänge und globale Verschlankungskuren haben auch die Führungslevel in den DV-Abteilungen massiv ausgedünnt. Verselbständigungen, Outsourcing und Verantwortungsverschiebungen taten das ihrige in den Unternehmen dazu. Seit einigen Jahren, insbesondere seit der zurückliegenden Rezession 1993/94, ist daher am DV-Arbeitsmarkt ein fast schon gespenstiger Schwund an Führungspositionen zu verzeichnen, der viele "Besitzstanddenker" vor arge persönliche und wirtschaftliche Probleme stellen kann. Der klassische DV-Chef, der auf ein großes RZ, eine ausgedehnte Systemtruppe und ein Heer an Anwendungsentwicklern und anrankenden Experten, zum Beispiel für Datenbanken und Kommunikationsverfahren, blicken darf, ist heute eher selten am offenen Stellenmarkt zu finden.

Wunsch nach Stellenwechsel vorhanden

Deutlich wird dieser Trend, wenn sich vor Augen geführt wird, daß im 1. Quartal 1996 lediglich 0,8 Prozent aller ausgeschriebenen DV-Funktionen nach der DIFAS-Stellenmarktauswertung Führungsfunktionen waren. Natürlich muß bei dieser Trauerzahl bedacht werden, daß offene Stellen zum großen Teil davon abhängen, daß sich das berüchtigte Stellenkarussel auch dreht. Wo keine Stellen wechselbedingt frei werden, läßt sich demnach so leicht keine Neubesetzung vornehmen. Was ist aber der Auslöser? Ist es der sinkende Bedarf an DV-Führungskräften, oder ist es das Verharren der DV-Chefs auf ihren Pöstchen, die einen attraktiven Stellenmarkt für DV-Führungskräfte verhindert? Das erinnert stark an die Frage nach dem Huhn oder dem Ei. Daß es jedoch wohl eher der mangelnde Bedarf ist, wird jedem klar, der eine derartige Funktion einmal öffentlich ausschreibt: zwischen 100 und 400 Bewerbungen zeigen deutlich, daß Wechselwilligkeit und Potential genug vorhanden ist.

Die Ergebnisse der "r&p-Trendstudie DV-Personalstrategie 1996-1999" bestätigen diese Aussage weitestgehend. Die r&p-Analysten sagen ebenfalls voraus, daß magere Zeiten für DV-Führungskräfte angebrochen sind. In dieser Studie wird festgestellt, daß lediglich sieben Prozent aller Unternehmen in Deutschland daran denken, die Zahl der DV-Führungskräfte aufzustocken. Hingegen sind 36 Prozent auf dem besten Wege, die DV-Manager in ihrer Zahl auszudünnen (siehe Grafik).

Zurückhaltung bei Nachbesetzungen

Ein scheidender DV-Chef läßt zunächst eine Lücke nach Stellenplan. Doch viele Unternehmen sind dazu übergegangen, insbesondere im Mittelstand, einen Nachfolger weder zu suchen noch einzustellen. Der gewollte Abbau oder erzwungene Fortgang (zum Beispiel durch Outplacement) ist eine willkommene Gelegenheit, die Organisation zu verschlanken und Kosten abzubauen. Der scheidende DV-Chef selbst steht nun einem Markt gegenüber, der ihm äußerst geringe Chancen auf eine ebenbürtige Funktion bietet. So geht er in die Arbeitslosigkeit, in die Frührente, in die Beratung oder in eine Tätigkeit, die "geringer" bewertet wird, als die des primus informaticus.

Der aufmerksame Leser wird sich jedoch die Frage stellen, daß getragene Verantwortung nicht eben so ohne weiteres in einem Unternehmen ersatzlos gelöscht werden kann. Richtig! Deswegen werden in einigen Unternehmen in Deutschland die Top-DV-Verantwortungen gern auch in der Geschäftsführung verankert. Der größte Teil jedoch verteilt sich eher nach unten.

Das bedeutet, daß ein Gros der Führungsverantwortung auf Ebenen verlagert wird, die als sogenannte Fachführungsfunktionen bezeichnet werden. Hierunter fallen zum Beispiel Projektleiter und Projektmanager. So waren dann nach der jüngsten Auswertung der Deutschen Institutes für Arbeitsmarktanalysen und -Statistik (DIFAS, Hamburg) auch fast zehn Prozent der im 1. Quartal 1996 ausgeschriebenen DV-Stellen in der Anwendungsentwicklung, Projektleiter und -Manager. Im Bereich der DV-Organisation betrug deren Anteil in diesem Zeitraum sogar fast 40 Prozent, in der Kommunikationstechnologie über 13 Prozent.

Bedarf an Führungskräften wird stark steigen

Im Durchschnitt gerechnet bedeutet das, daß mehr als jeder fünfte DV-Job in diesen Fachbereichen eine Fachführungsverantwortung innehält.

Damit ist deutlich erkennbar, daß sich die DV-Verantwortungen stark in die aufgaben- und fachbezogene Verantwortung wandelt, was dem DV-Spezialisten zwar frühzeitiger eine Führungsrolle ermöglicht, einen Stau allerdings hervorrufen wird, der viele fähige und geeignete DV-Führungskräfte vor die Tatsache stellt, in der nahen Zukunft kaum Chancen auf einen "Chef-Posten" zu haben.

Der Bedarf an Fachführungskräften wird erheblich steigen, der Anteil der strategisch-disziplinarischen Kräfte entsprechend sinken. Fachführungskräfte in der DV müssen dazu lernen und begreifen, daß ihre Aufgaben in erster Linie fachlichen Inhaltes sind, sie hierüber sporadisch, temporär - und nur seltener - dauerhafte Führungsverantwortung tragen können. Das bedeutet, daß sich die Führungsverantwortung auf zeitlimitierte und projektbezogene Rollen konzentriert. Ist diese Rolle abgearbeitet, kann das für den Betroffenen heißen, daß hiernach wieder eine Zeit ohne Führungsaufgaben anbricht, die sogar eine "Unterordnung" in einem anderen Aufgabenspektrum mit sich bringen kann. Der soziale Charakter dabei ist nicht leicht zu akzeptieren. Das Statusemfinden vieler Menschen, das mit der Führungsrolle Erfolg und Karriere verknüpft, wird hier in neue Regeln verwiesen. In der DV kann Karriere nicht ausschließlich an die hierarchische Stellung gekoppelt werden. Vielmehr spielt das Know-how, die Fähigkeit zur Problemanalyse und zur organisatorischen Beratung die zentrale Rolle und fordert von den Spitzenkräften Führungspotential im Bedarfsfalle.

Die Verlagerung vieler DV-Kapazitäten auf die Softwarehäuser und DV-Dienstleister (siehe auch ComputerPartner Nr. 6/96) kann hier auch keine ausreichende Optimierung des Angebotes für DV-Führungskräfte liefern.

Hierfür sind Aufgaben und Organisationen in diesen Branchen kaum geeignet.

Neues Rollenverständnis für DV-Manager notwendig

Die ausgewiesenen Leitungsfunktionen in der DV selbst werden ihre Aufgaben mehr und mehr an strategisch-unternehmerischen Belangen ausrichten, was auch das Kostenmanagement einbezieht. Diese Führungskräfte werden somit auch potentielle Kandidaten für das Generalmanagement (Vorstände, Geschäftsführer) sein. Dieses sogar in prädestinierter Weise. Weil sich in der DV alle Unternehmensbereiche widerspiegeln und verknüpfen, ist das DV-Management natürlich besonders geeignet, die unternehmerischen Geschicke auch in Gänze zu verantworten. Voraussetzung allerdings hierfür ist die Loslösung dieser Manager von DV-technischen Detailarbeiten und die rechtzeitige Einbindung sowie Übernahme gesamtorganisatorischer, betriebswirtschaftlicher, strategischer Aufgaben auf der Basis entsprechender Qualifikationen.

Und genau hier steckt der tiefere Ursprung des bezeichneten Flaschenhalses: Die funktionale und strategische Ausrichtung der DV in den deutschen Unternehmen hat sich viel zu lange an technischen Parametern orientiert - und auch lange Zeit orientieren müssen.

Entsprechend sind die DV-Führungskräfte auch ausgerichtet und haben sich ein diesbezügliches Rollenverständnis angeeignet. Wer die Technik am besten beherrschen konnte, war auch der am ehesten geeignete DV-Chef. Mangelndes Verständnis um die Effizienz und strategische Bedeutung einer DV im Unternehmen seitens des General-Managements setzten diesem Denkprozeß noch das i-Tüpfelchen auf.

So wäre es noch vor einiger Zeit fast undenkbar gewesen, wenn ein DV-Chef Anstalten gemacht hätte, die Gesamtleitung eines Unternehmens anzustreben. Auch gegenwärtig ist ein solches noch eher unwahrscheinlich als real existent, da Qualifikation und Persönlichkeitsbilder dieses bei vielen Funktionsträgern ausschließen und die Unternehmensleitungen eine diesbezügliche Grundskepsis aufweisen. Doch vereinzelte Beispiele, wie das des Mineralöl- und Energiekonzerns RWE-DEA (Hamburg), zeigen auf, daß sich die künftige DV-Führungsfunktion aus dem Käfig der reinen Technik herausarbeiten wird. So ist zum Beispiel der heutige RWE-DEA-Vorstandsvorsitzende (Dr. Koch) viele Jahre operativer DV-Chef des Unternehmens gewesen.

*Der Autor Stefan Rohr ist geschäftsführender Gesellschafter der r&p management consulting Hamburg/Düsseldorf/Frank-furt/Karlsruhe.

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