Für Systemhäuser gibt es kein Zurück in die Zukunft

19.12.2002
Rund 20 Jahre ist das Geschäftsmodell "IT-Systemhaus" alt. Aus diesem Anlass baten wir Ralf Klenk, Mitbegründer und Vorstand (COO) der Bechtle AG sowie ComputerPartner-Chefredakteur h. c., um einen Rück- und Ausblick.

Die erste Dekade - der Urknall

Vor gut 20 Jahren legte IBM mit einer bemerkenswerten Schöpfung die Grundlage für unsere heutige Existenz: 1981 schlug die Geburtsstunde des IBM-PCs in den USA. Dieser Urknall übertrug sich im Jahr 1983 auf Deutschland. "IBM-kompatibel", "MS-DOS", zu Anfang aber auf "CP/M", waren Begriffe, die mit der Entstehungsgeschichte des professionellen PC-Marktes untrennbar verbunden sind.

In den ersten zehn Jahren unseres Geschäftes - ich spreche in diesem Zusammenhang gerne von "der ersten Dekade" - entwickelte sich die Systemhauslandschaft. Der Markt gab Pionierarbeit einen fruchtbaren Boden. Die Gründergeneration wurde von einem Verkaufserfolg zum nächsten gespült.

Die zweite, die "technologische" Dekade

Anfang der Neunzigerjahre begann ein zunächst kaum spürbarer Wandel. Zwar freuten sich viele über noch immer gute Wachstumsraten. Aber unter den Systemhäusern waren bereits erste Verluste zu beklagen. Fortschreitender Preisverfall bei immer leistungsfähigerer Technologie und Komplexität, ergänzt um das explosionsartig wachsende Spektrum an Peripherieprodukten, bescherten immense Probleme und führten zu der heute allgegenwärtigen Trennung von Handels- und Dienstleis-tungsgeschäft.

Dieses erste existenzielle Managementthema läutete die zweite Dekade mit einem tief gehenden - und bis heute andauernden - Konsolidierungsprozess ein. Übernahmen waren keine undenkbaren Ausnahmen mehr. Nebenbei hatte IBM die PC-Marktführerschaft verloren, von der Alleinherrschaft zu Beginn der Achtzigerjahre ganz zu schweigen.

Durch den sich immer stärker beschleunigenden Preisverfall der PCs eroberte die IT die Privatkundschaft und damit den Massenmarkt. Der PC für den Hausgebrauch war erschwinglich geworden. Ob Folge oder Voraussetzung dieser Entwicklung - spätestens Mitte der Neunzigerjahre war auch die Zeit für den endgültigen Siegeszug des Internet gekommen. Eine seltene historische Konstellation charakterisiert den Ausklang der zweiten Dekade: die Jahrtausendwende und ihre Folgen für das Investitionsverhalten der gewerblichen IT-Kunden. Praktisch jeder Stein in der IT-Landschaft wurde zwischen 1998 und Ende 1999 systematisch umgedreht, geprüft, vermessen, besprochen - und am Ende in beinahe jedem Fall ausgetauscht. Das hatte mehrere auf der Hand liegende Konsequenzen:

1. Im Jahr 2000 hatte praktisch jeder nennenswerte professionelle Kunde seine IT auf einen aktuellen Stand gebracht.

2. Im Jahr 2000 brauchte daher kaum jemand neue Hard- oder Software.

3. In vielen Fällen war das IT-Budget des Jahres 2000 schon 1998 und 1999 verbraten und oftmals auch hemmungslos überzogen worden.

4. Die IT-Systemhäuser saßen im Jahr 2000 auf dem Trockenen, und die grundsätzliche Tendenz zur Marktkonsolidierung wurde durch die aufkommende und andauernde Wirtschaftskrise bis zum gegenwärtigen Tag noch verschärft.

Die dritte, die "Marken"-Dekade

Heute, zum Jahresende 2002, stehen wir in der Geschichte der IT-Systemhäuser am Beginn der dritten Dekade. Es gibt dabei viele beachtenswerte Umstände und Fragen. Beginnen wir mit der guten Nachricht:

1. Die Technologie. Das Interesse an den jeweils aktuellen "State of the Art"-PCs ist deutlich gesunken. Eine neue Prozessorgeneration wird nur noch zur Kenntnis genommen, und neue Betriebssysteme müssen sich die Frage nach dem Zusatznutzen gefallen lassen. Ein neues Release hat nicht mehr automatisch ein Update der Hardware zur Folge. 2. Die Systemhausmarke. Der IT-Markt hat zwischenzeitlich einen Reifegrad erreicht, der eine klare Profilierung und Positionierung des Anbieters erfordert. Das "aktive Verteilen" wird in der beginnenden dritten Dekade keine Erfolg versprechende Strategie mehr sein. Der "added Value" beim Kunden entscheidet über den Erfolg im bearbeiteten Marktsegment. Der "Marke" wird auch eine ganz entscheidende Bedeutung zukommen. Diese wird Synonym für das Profil im bearbeiteten Segment sein und Ausdruck einer eindeutigen Lösungsorientierung werden.

3. Die Konsolidierung der Hersteller. HP und Compaq, Microsoft und Navision, SAP und Business One. Das alles sind keine Zufälle, denn wir befinden uns nach über 20 Jahren PC in einem reifen Markt. Killerapplikationen sind nicht in Sicht, die Hardwareleistung läuft den Softwareanforderungen davon, und grundsätzlich werden sich die Austauschzyklen verlängern. Weltweit werden sich Hersteller in einer wie auch immer gearteten Form zusammenschließen.

4. Direkter und indirekter Vertrieb. Hat Dell in Deutschland wirklich den durchschlagenden Erfolg? Wenn man sich die Marktanteile im B2B-Geschäft ansieht, kann man diese Behauptung nur eingeschränkt aufrechterhalten. Das liegt an den typischen Strukturen der deutschen Wirtschaft: Wir sind ein "dezentrales" Land der Mittelständler. Knapp 1.000 Großkunden kaufen direkt beim Hersteller. Aber was ist mit den mehr als 20.000 Kunden des gehobenen Mittelstands, die in der Klasse zwischen 100 und 500 PCs liegen? Was ist mit den rund 150.000 "mittleren" Mittelständlern, die zwischen 10 und 100 PCs in ihrem Unternehmen stehen haben? Diese Unternehmen kaufen erfahrungsgemäß nicht Hardware, Beratung und Service getrennt ein. Wenn doch, so sind diese Kunden spätes-tens dann "bekehrt", wenn einmal etwas nicht läuft und es nicht "den einen" Lieferanten gibt, den sie greifen können. Diese rund 170.000 Unternehmenskunden verfügen zusammen über etwa vier Millionen PCs und ein IT-Budget von insgesamt über 15 Milliarden Euro, und sie sind - Gott sei Dank - für den Direktvertrieb nur zum Teil von Interesse. Ganz zu schweigen von dem oben bereits angesprochenen Lösungsvertrieb, der nur über regional ansässige Sys-temhäuser funktionieren kann.

5. Das Internet. Das Web wird für die wichtige mittelständische Kundschaft klassischer Systemhäuser immer wichtiger, um nicht zu sagen: unvermeidbar. Nicht unbedingt als Vertriebskanal, wohl aber als Produktionsfaktor. In Bezug auf die Kosten-Nutzen-Relation gibt es zum Internet einfach keine Alternative.

6. Die Systemhauslandschaft. Das vor noch einem Jahr zweitgrößte Systemhaus in Deutschland, die M+S AG, ist nur noch in den Annalen zu finden. Die an Nummer eins stehende GE Compunet wurde dieser Tage von Computacenter aus England übernommen. Wir befinden uns nach wie vor in einer Konsolidierungswelle. Am Ende wird ein IT-Markt stehen, der in der dritten Dekade industriell ausgeprägt ist und eine konsequente lösungsorientierte Marktorientierung verinnerlichen wird. Die Systemhauslandschaft wird gemeinsam mit den Herstellern neue Marken herausbilden. Auf die prägenden und "typischen" Begriffe dürfen wir bereits heute gespannt sein.

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