Fusionsorgie in der Open-Source-Szene

18.01.2001

"Linux stellt für Microsoft eine echte Bedrohung dar", lautete die Neujahrsbotschaft des Konzernlenkers Steve Ballmer. Ist es wirklich so? Immerhin gerieten Ende des vergangenen Jahres die zwei bedeutendsten deutschen Linux-Dienstleister in ernste Schwierigkeiten: Während die Bonner ID-Pro einen Insolvenzantrag stellen musste, kam Innominate mit einem blauen Auge davon. Die Berliner trennten sich "nur" von jedem zehnten Beschäftigten.

Trotzdem ist die Open-Source-Welle unaufhaltbar. Das bewies etwa der große Rummel, den die Freigabe des Linux-Kernels 2.4.0 durch Linus Torvalds Anfang Januar verursachte. IT-Riesen wie IBM oder Oracle überschlugen sich förmlich mit Ankündigungen, wer als erster all die tollen Funktionen des neuen Linux-Kerns in seinen Produkten ausnutzen kann.

Und gerade darin ist die Hauptsorge von Microsoft begründet: eben dass die großen Anwendungssoftware-Hersteller sich noch stärker in Richtung Linux orientieren und damit von Windows NT, 2000 und sonstigen Nachfolgeversionen bewegen könnten. Denn eine IBM, die ihre Server mit vorinstalliertem Linux verkauft, bedroht Microsoft wesentlich stärker als irgend eine 100-Mann-Service-Firma in Deutschland.

Dennoch hat für diese Art von Dienstleistung keinesfalls die letzte Stunde geschlagen. Vielmehr müssen die Linux-Service-Anbieter aus ihrem Elfenbeinturm heraus und sich auch anderen Themen zuwenden. Innominate macht es gerade vor und baut sich zum Kompetenzpartner in Sachen Netzwerksicherheit auf. Gleichzeitig wandelt sich der bisherige Dienstleister zum Anbieter von eigenen Lösungen um und sucht hierfür noch Vertriebspartner. Um sie zu gewinnen und danach auch bei der Stange zu halten, sollten sich die Berliner allerdings schleunigst ganz aus dem Beratungsgeschäft zurückziehen. Nur so ist eine klare Channel-Strategie nach außen zu kommunizieren.

Ein dezidiertes Partnerprogramm für Lösungsanbieter gibt’s beispielsweise schon beim US-amerikanischen Linux-Pionier VA Linux. Bereits seit 1993 im Geschäft hat sich die Company einen guten Ruf in der Szene und zweifellos auch entsprechende Kompetenzen erworben - schwarze Zahlen schreibt sie aber bis heute noch nicht. Es ist eben doch nicht so einfach, im Open-Source-Umfeld rasch profitabel zu werden. Der immer wieder hinausgezögerte Börsengang von Suse und die immer noch nicht eingetretene Rentabilität bei Red Hat beweisen dies wieder aufs Neue.

Um die schweren Zeiten überstehen zu können, werden also einige Linux-Anbieter nicht umhin können, entweder ganz aufzugeben oder sich mit anderen Firmen zu schlagkräftigeren Einheiten zusammen zu schließen. Kollegen von unserer US-amerikanischen Schwesterzeitschrift "Linuxworld" prophezeien für dieses Jahr gar eine Fusionsorgie. Danach wird VA Linux mit Red Hat zu einem US-amerikanischen Linux-Multi mergen, als europäisches Gegengewicht bliebe dann Suse bestehen. An Übernahme-Kandidaten für die Nürnberger mangelt es ebenfalls nicht. Sinnvoll wäre es für sie auf jeden Fall, sich einen Hardware- und/oder Software-Anbieter einzuverleiben. Warum nicht Innominate? Andere Markbeobachter halten wiederum einem Firmenaufkauf in den USA für denkbar, um Suse dort den Markzugang zu ebnen.

Was immer dieses Jahr auch passieren mag, die Linux-Szene geht weiterhin turbulenten Zeiten entgegen. Das junge Betriebssystem wird an Marktanteilen dazugewinnen - sicherlich auch auf Kosten von Windows.

Dr. Ronald Wiltscheck

rwiltscheck@computerpartner.de

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