Gartner: Reines Wirtschaftsdenken ist bei öffentlichen IT-Ausgaben verfehlt

30.10.2003
Die öffentlichen IT-Ausgaben konzentrieren sich derzeit zu sehr auf den kommerziellen Return on Investment statt auf die langfristigen gesellschaftlichen Vorteile. Gartner empfiehlt den europäischen Regierungen daher, den Posten eines Chef-Koordinators auf Kabinettsebene zu schaffen. Von ComputerPartner-Redakteur Klaus Hauptfleisch

Wo bis vor wenigen Jahren noch überwiegend mit der Schreibmaschine geklappert wurde, erobert der PC die europäischen Amtsstuben. Tatsächlich ist die öffentliche Hand heute einer der größten Hoffnungsträger der IT-Wirtschaft. So natürlich auch für den Fachhandel, der wegen des teilweise herrschenden Wildwuchses unterschiedlicher Standards und Lösungsansätze allerdings verlässliche Vorgaben braucht.

In Deutschland werden Bund, Länder und Kommunen dieses Jahr laut Gartner rund 11,13 Milliarden Dollar oder 3,1 Prozent mehr ausgeben als im Vorjahr. Für das kommende Jahr und bis 2007 rechnen die Marktforscher sogar mit jährlichen Wachstumsraten von im Schnitt 4,2 Prozent auf dann 12,1 Milliarden US-Dollar (9,6 Milliarden Euro). Bedenkt man, dass die öffentlichen Haushalte Großbritanniens heute schon 19,6 Milliarden US-Dollar für IT ausgeben, sind die deutschen Investitionen, wenn auch die zweithöchsten in Europa, immer noch ein Armutszeugnis für die Bundesrepublik. Denn Defizite gibt es genug.

Der Staats-RoI braucht eine politische Komponente

In Deutschland wie auch in anderen Ländern Europas sind IT-Ausgaben der öffentlichen Hand vielfach noch immer Inselerscheinungen und gehen in der Darstellung oft am gesellschaftlichen Nutzen vorbei. Kommerzielle RoI-Benchmarks, wie sie in der Privatwirtschaft als Messlatte angelegt werden, sind dort sicherlich sinnvoll, gehen in den Verwaltungen der verschiedenen Ebenen aber an den politischen und sozialen Aufgaben oft vorbei.

Gartner rechnet damit, dass bis 2007 über 50 Prozent der staatlichen IT-Initiativen, die rein nach wirtschaftlichen RoI-Gesichtspunkten geplant und kalkuliert wurden, nicht die gewünschten gesellschaftspolitischen Erfolge oder den RoI bringen werden. Die Beseitigung sozialer Ausgrenzung und die Erhöhung von Bildungschancen lassen sich nun einmal nicht vordergründig in wirtschaftlichen Zahlen ausdrücken.

Ferner erwartet Gartner, dass der gesellschaftliche Rechtfertigungsdruck auf die Regierungen Europas wachsen werde. Chefanalyst Andrea Di Maio empfiehlt den europäischen Regierungen daher, die Stelle eines "Public Sector CIO" zu schaffen, der als Hauptverantwortlicher auf Kabinettsebene alle staatlichen IT-Ausgaben auch im Hinblick auf den gesellschaftlichen Nutzen überwacht, koordiniert und der breiten Öffentlichkeit nahe bringt. Unterstützt werden müsste er natürlich durch IT-Bereichsleiter, die unter anderem die Einhaltung und Durchsetzung von Standards, die Entwicklung von Anwendungen und das Data-Modelling in den verschiedenen Verwaltungen zu überwachen haben.

Dabei müssten laut Gartner drei zentrale Fragen berücksichtigt werden: 1. Dient der Service dem Interesse der Bürger und ist er in einem angemessenen Preis-Leistungs-Verhältnis? 2. Lassen sich dadurch die staatlichen Ausgaben senken? 3. Sind dadurch positive Auswirkungen auf die Wirtschaft oder die Gesellschaft als Ganzes zu erwarten?

Darüber hinaus gelte es, durch Umfragen und Analysen ständig die Zufriedenheit und den Nutzen für die Zielgruppe und die Allgemeinheit zu hinterfragen und gegebenenfalls neu zu bewerten.

Meinung des Redakteurs

Angesichts der politischen und sozialen Herausforderungen ist reines RoI-Denken bei der staatlichen Investitionsplanung sicherlich fehl am Platz. Bedenkt man aber, wie viel Geld Politiker schon versiebt haben, ist in IT-Fragen weniger schöne Rhetorik als vor allem Sachverstand gefragt. Das wäre bei der Wahl eines von Gartner vorgeschlagenen Chef-Koordinators zu berücksichtigen. Denn sonst steht zu befürchten, dass sich peinliche Debakel wie das rund um das Lkw-Mautsystem nur mehren.

Zur Startseite