Gehaltsvariabilisierung für Mitarbeiter: Zwischen Wunschtraum und Realität

16.08.1996
MÜNCHEN: Der Wunsch nach flexibler Bezahlung ist in vielen Unternehmen der IT-Branche ein tagesbestimmendes Thema. Probleme in der Umsetzung sorgen für Mißstimmung und bringen so manchen Chef vor die Schlichtungsstelle oder den Arbeitsrichter.So manchem Leser wird es jetzt kalt und heiß zugleich den Rücken herunterlaufen, wenn Begriffe fallen, wie Besitzstandsregelung, Mitbestimmung, leistungsorientierte Vergütung, Erfolgsbeteiligung, Tantieme- oder Bonussystem. Zugleich jedoch streifen die genannten Worte nicht nur eine der aktuellsten Themen in den Chef- und Personaletagen der IT-Branche, vielmehr sind sie Bestandteil eines breit diskutierten und zentralen Themas: die Gehaltsvariabilisierung.

MÜNCHEN: Der Wunsch nach flexibler Bezahlung ist in vielen Unternehmen der IT-Branche ein tagesbestimmendes Thema. Probleme in der Umsetzung sorgen für Mißstimmung und bringen so manchen Chef vor die Schlichtungsstelle oder den Arbeitsrichter.So manchem Leser wird es jetzt kalt und heiß zugleich den Rücken herunterlaufen, wenn Begriffe fallen, wie Besitzstandsregelung, Mitbestimmung, leistungsorientierte Vergütung, Erfolgsbeteiligung, Tantieme- oder Bonussystem. Zugleich jedoch streifen die genannten Worte nicht nur eine der aktuellsten Themen in den Chef- und Personaletagen der IT-Branche, vielmehr sind sie Bestandteil eines breit diskutierten und zentralen Themas: die Gehaltsvariabilisierung.

Anders als Maßnahmen in vielen anderen Unternehmensbereichen läßt sich eine Variabilisierung von Gehältern nicht so ohne weiteres und schon gar nicht kurzfristig realisieren. Da gibt es viele gesetzliche Bestimmungen - zum Beispiel aus dem Betriebsverfassungsgesetz -, viele strategische Grundlagen und eine ganze Reihe von instrumentalen und führungstechnischen Feinheiten, die im Zuge der Implementation von Gehaltsvariabilisierungen Beachtung finden und sauber vorbereitet werden müssen.

Leistungsorientierte Vergütung

Die in vielen IT-Unternehmen heutzutage so mannigfaltig geäußerte und unbedingt notwendige Forderung der Variabilisierung innerhalb der Entgeltfindung läßt sich nämlich viel leichter aussprechen als denn realisieren. Die Unternehmensleitungen fordern diese - und zwar auf der Basis der künftigen Wettbewerbsfähigkeit und unter der Argumentation der hieraus schlußzufolgernden Arbeitsplatzsicherheit für jedermann. Schnell müssen daher plakative und spürbare Veränderungen innerhalb der Gehaltsfindung in Richtung einer Variabilisierung eingebracht und markant umgesetzt werden. Neben den betroffenen Mitarbeitern selbst - die meist gar nicht so negativ einer leistungsorientierten Bezahlung gegenüberstehen - sind es jedoch die Betriebsräte und zum Teil die Führungskräfte selbst, die sich hindernd oder zaghaft dieses Themas annehmen. Während die Mitarbeitervertretungen auf Besitzstand pochen - was einfach ausgedrückt nichts anderes heißt, als: keiner wird künftig weniger verdienen als heute - sind es die Führungskräfte, die die anhängigen Personalführungsaktivitäten in ihrem Mehraufwand fürchten und Bedenken haben, die eigene Führungsschwäche mit einem strukturierten, analytischen und gegebenenfalls zielorientierten Führungsprozeß (unter anderem durch die dann notwendige Leistungsbeurteilung) aufzudecken und nachvollziehbar zu gestalten.

Zur Erläuterung sei gesagt: Bei der Variabilisierung von Gehältern geht es darum, einen bestimmten Teil der aktuellen Gehaltszahlungen (zum Beispiel 20 Prozent) in Abhängigkeit eines nachvollziehbaren Erfolges auszuschütten. Werden bestimmte Vorgaben oder Erfolge nicht erreicht, so minimiert sich das Gehalt des betroffenen Mitarbeiters eben im schlechtesten Fall um exakt diesen variablen Anteil. Dieses hat jedoch auch zur möglichen Folge, daß er seine Ziele nicht unter- sondern überschreitet (zum Beispiel die 110 Prozent-Regel). Auch hieran kann ein variabel vergüteter Mitarbeiter partizipieren und eben mehr als "nur" sein vereinbartes 100-Prozent-Gehalt kassieren.

Erfolgs- oder Zielvorgaben werden auf unterschiedlichste Weise vereinbart. Das können ebenso quantitative Ziele sein (zum Beispiel Umsatz), oder qualitative Ziele (zum Beispiel Arbeitsqualität oder Fehlerfreiheit, Kundenzufriedenheit, Reklamationshäufigkeit etc.). In jedem Fall aber steht der variable Gehaltsbestandteil in einem mehr oder weniger direkten Verhältnis zur individuellen oder teambezogenen Leistung und honoriert die Leistungserfüllung in jedweder Richtung.

Gerade bei Unternehmen, die eklatant hohe Personalkostenbudgets aufweisen (zum Beispiel in den Beratungshäusern) ist somit die Gehaltsvariabilisierung nicht nur ein "heißes" Thema um Leistung und Zielerfüllung - und somit Produktivität - zu steigern, gleichfalls birgt dieses die Chance, die interne Personalkostensituation flexibler zu gestalten und an den Wertschöpfungen der eigenen Mitarbeiter anzupassen. Mit anderen Worten: Wenn weniger geleistet wird, wird auch weniger entlohnt. Wenn weniger entlohnt wird, bleibt die anvisierte Umsatzrendite (Gewinn vor Steuern) in erheblicher Weise ungefährdet - und umgekehrt. Die Betriebsräte verstehen deshalb die Bestrebungen zur Gehaltsvariabilisierung zunächst ausschließlich als unliebsamen Versuch der "Umschuldung" unternehmerischer Verantwortung und des unternehmerischen Risikos auf die Mitarbeiter selbst und kämpfen oft vehement dagegen an, dieses oft ohne Berücksichtigung der positiven Effekte, der Effizienzen und der Willensgebung der von ihnen selbst vertretenen Belegschaft. Wie ineffizient ein Verwahren gegenüber variablen Gehaltsbestandteilen sein kann, zeigt das Unternehmen Digital Equipment Corporation. Der Unternehmensgründer selbst - als praktizierender Quäker - empfand die Leistungsentlohnung als nahezu unmenschlich und untersagte konzernweit die leistungsorientierte Partizipation an den Erfolgen - sogar im Vertrieb. Was hieraus entstanden ist, weiß heutzutage fast jeder, der mit DEC zu tun hat.

Diskussionen sind oft verwässert

Eine derartige Denkweise hat allerdings in unserem Wirtschaftssystem und in der hochangespannten Wettbewerbssituation zum Beispiel innerhalb der IT-Branche keine Chance mehr. Erst recht nicht dann, wenn eine Variabilisierung auch noch mit sozialverträglichen Komponenten ausgestattet wird. Und hierfür gibt es eine Reihe wirklich positiver Beispiele. Der Kampf gegen flexible Gehaltsbestandteile ist also vielfach von dogmatischen Grundsatzdiskussionen verwässert und gerät hierüber schnell ins rechtliche Kräftemessen und Wortgeplänkel, was weder der Stimmung im Unternehmen, noch den eigentlichen (gemeinsamen) Zielverpflichtungen der beteiligten Interessenvertretungen gerecht werden kann.

Dabei will doch eigentlich jeder nur das Beste - nämlich Wettbewerbsfähigkeit, Investitionsfähigkeit (durch Überschüsse zum Beispiel auch für die so wichtige Personalentwicklung) und daraus folgende Sicherheit der Arbeitsplätze. Leicht wird bei derlei Diskussionen vergessen, was der Mitarbeiter selbst eigentlich anstrebt. Viele Betriebsräte und auch viele Führungskräfte werden sich wundern, wie hoch die Akzeptanz und wie niedrig die Hemmschwelle gegenüber leistungsorientierten Vergütungsformen an der Mitarbeiterbasis ist. Bezahlung nach Sitzfleisch ist bei den wenigsten Angestellten das vorherrschende Entlohnungsdogma. Beachtung und Honorierung der eigenen Leistung, auch als Regulativ und zur Orientierung der eigenen Positionierung im Unternehmen, stehen dabei in der Ansicht vieler Mitarbeiter im unmittelbaren Vordergrund. Ein Tip: Befragen Sie doch hierzu einfach einmal die Mitarbeiter (Achtung: das ist mitbestimmungspflichtig).

Brechstangentaktik hilft nicht weiter

Entscheidend ist aber der Weg, der bei der Variabilisierung eingeschlagen wird. Mit der Brechstange ist da nichts zu machen. Strategie und Argumentation, sachlich und zukunftsorientiert, hilft in den meisten Fällen am ehesten. Glaubhafte und der Fairneß unterworfene Kommunikation und die Sicherstellung eines durchdachten Personalmanagements sind hierbei die Begleiter. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß die Unternehmensleitungen die Gehaltsvariabilisierung nicht allein und isoliert unter dem Aspekt der Umsatzrenditenoptimierung verstehen. Variable Vergütungssysteme werden unter Fachleuten auch als Führungsinstrumente verstanden und demnach auch so gelebt. Wenn variabel vergütet werden soll, muß die Leistung eines jeden Mitarbeiters auch bewertbar sein. Hierfür gibt es Beurteilungsverfahren, die offen und nachvollziehbar die Kriterien für eine Mehr- oder Minderbezahlung beinhalten. Vorgabe für die Leistungsbeurteilung ist bestenfalls zudem ein "Management by Objectives" - der Führung nach Zielvorgaben. Dem Mitarbeiter werden einvernehmlich in regelmäßigen Abständen "harte Faktoren" als Leistungs- und Erfüllungsziele vorgegeben. Der Grad der Erfüllung und gegebenenfalls das hinzuzuziehende Arbeitsverhalten bilden so die Grundlage für die Bemessung seines persönlichen Beitrages zum unternehmensweiten Wertschöpfungsprozeß. Verbunden mit Hilfestellung durch die Vorgesetzten, einer klaren und einforderbaren Personalentwicklung (unter anderem Qualifizierung für die Zielerfüllung) und einem sauberen und attraktiven Laufbahnmodell im Unternehmen selbst wird ein passender Schuh daraus.

Nun wird endgültig klar: Das geht eben nicht mal so eben "by the way". Dieses ist Teil eines Prozesses, der seinen Anfang in der Unternehmensleitung selbst findet und nach "Unten" durchgereicht werden muß. Zieldefinitionen der Firmenleitungen, die Schaffung und Implementation von Führungsgrundsätzen, die Definition nachvollziehbarer und transparenter Vergütungskataloge sowie eine funktionierende Vergütungsfindungssystematik an sich bilden die elementaren Bausteine eines solchen Prozesses. Dieses natürlich stets in Abstimmung mit Führungskräften und Mitarbeitervertretungen.

Die Unternehmen brauchen aber nicht nur ihre Visionen zur inneren Beruhigung. Sie müssen zudem auch für diese einstehen und diese deutlich im Unternehmen kommunizieren. Dann werden aus diesen Visionen auch tatsächliche Ziele und Vorgaben an das nachgeordnete Management. Aus Visionen und Zielsetzungen lassen sich zudem Anforderungen an das "künftige Personal" ableiten. Das Bild der "neuen" Mitarbeiter wird geprägt, deren Entwicklung dorthin geplant und gefördert und bildet das Anforderungsspektrum für jedwede Neueinstellung in der Zukunft.

Rechtliche Rahmenbedingungen nicht außer acht lassen

Die Variabilisierung selbst ist dann nur noch ein logischer Schritt in einem als völlig normal und notwendig empfundenen "Innovations-Prozeßes", gegen den sich dann auch kein Betriebsrat mehr gegenteilig aussprechen kann. Vergessen darf allerdings nicht werden, daß die Wandlung vorhandener Anstellungs-Verträge und die möglicherweise existierenden laufenden Betriebsvereinabarungen nicht so mir-nichts-dir-nichts vollzogen werden kann. Auch hier müssen viele rechtliche Grundlagen Beachtung finden. Ein mahnendes Beispiel ist die Firma Viessmann (Heizungstechnik), die - allerdings zum Thema Arbeitszeitregelung - mit jedem der 6.500 Mitarbeiter (bis auf ca. 60) individuelle Einzelvereinbarungen getroffen hat. Heute steht die Unternehmensleitung vor einem gewaltigen Arbeitsprozeß, da übergeordnete Tarifvereinbarungen nicht so ohne weiteres und schon garnicht individuell änderbar sind. Kläger ist die IG-Metall als Gewerkschaft selbst. Gefragt hat sie vor Klageeinreichung allerdings keinen der über 6.000 von ihr vertretenen Mitarbeiter - schließlich geht es um das Prinzip im Standort Deutschland.

Der Autor Stefan Rohr ist geschäftsführender Gesellschafter der r&p management consulting Hamburg/Düsseldorf/

Frankfurt/Karlsruhe

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