Gericom brachte den Stein ins Rollen

05.12.2002

Ein Raunen ging durch die Notebookhersteller-Szene, als im Sommer vergangenen Jahres ausgerechnet ein B-Brand sich an die Spitze der deutschen Notebook-Charts setzte. Durch den gewitzten Schachzug, Desktop- statt Mobile-Prozessoren in den Notebooks zu verbauen, erzielte Gericom einen Preispunkt, der plötzlich auch für Consumer-Kunden interessant war. So brachten die positiven Verkaufszahlen in den Retail-Märkten den österreichischen Notebookhersteller an die Spitze des deutschen Notebookmarktes. Aus heutiger Sicht können die A-Brands und der Fachhandel dankbar für diese Initiative sein, denn damit konnte das Consumer-Segment als breiter Absatzkanal geöffnet werden. Dieses neu erschlossene Kundenpotenzial kompensierte im laufenden Jahr die Flaute im B-to-B-Markt. Zudem bieten diese günstigen Notebooks dem Handel im Desktop-Replacement gute Preisargumente.

Die Tatsache, vom Thron gestoßen worden zu sein, hätte Toshiba damals vielleicht noch verkraften können. Was das Fass für die A-Brands zum Überlaufen brachte, war diese Sache mit den Desktop-CPUs und der damit zusammenhängende Etikettenschwindel: Gericom hatte es nicht an die große Glocke gehängt, dass keine Original-Notebook-Prozessoren in den Geräten waren. Mit dieser Strategie wurden die Österreicher praktisch über Nacht zum Feindbild aller A-Brands. Die Hitzeentwicklung einer solchen CPU in einem Notebook wurde vom Markt und der einschlägigen Fachpresse massiv kritisiert. Erhöhte Rücklaufzahlen wurden erwartet.

Heute, eineinhalb Jahre später, tummelt sich Gericom zwar immer noch in den Retail-Märkten. Jedoch befindet sich der B-Brand jetzt in prominenter (Markt-)Gesellschaft. Auch Hersteller wie Toshiba oder Fujitsu Siemens finden nichts Anstößiges mehr dabei, Desktop-CPUs in Notebooks zu verbauen, HP will in den nächsten Wochen folgen. Bei Fujitsu Siemens denkt man sogar darüber nach, Notebooks mit Mobile-CPUs komplett aus der Consumer-Produktlinie herauszunehmen. Fast alle Hersteller, die im Consumer-Segment tätig sind (eine Ausnahme ist zum Beispiel Sony), sind also dem österreichischen Beispiel gefolgt. Kein Hahn kräht bei den Consumer-Produkten mehr danach, ob der Wettbewerber eine Desktop-CPU verbaut oder nicht. Wichtig ist derzeit für die Anbieter, sich im Wachstumssegment "Consumer-Channel" positionieren zu können und vom Endkundenpreis her wettbewerbsfähig zu sein.

Obwohl nach Angaben der Hersteller noch immer die meisten Notebooks in Deutschland mit Mobile-CPU gebaut werden, hat sich der Anteil der Billigvariante in den Retail-Märkten in diesem Jahr drastisch erhöht. Brancheninsider sprechen von einem 70-prozentigen Anteil im Consumer-Markt gegenüber 5 Prozent im Business-Bereich. Hält man sich diese Zahlen vor Augen, kann man sich ausrechnen, in welcher Größenordnung der deutsche Markt im laufenden Jahr gewachsen wäre, hätten die Hersteller nicht die Möglichkeit gehabt, günstige Consumer-Angebote in den Retail- und Food-Ketten zu platzieren.

Man kann davon ausgehen, dass der Notebook-Absatz mit Desktop-CPUs an der Konsumentenfront auch 2003 weiter wachsen wird. Ein Beleg dafür ist auch die Ankündigung von Intel, im folgenden Jahr die Preisdifferenz zwischen Mobile- und Desktop-Prozessoren von bisher 39 bis 114 Prozent auf nur noch 10 bis 15 Prozent zu reduzieren. Der Fachhandel kann ebenfalls davon profitieren: Für ihn bietet sich beispielsweise die Möglichkeit, im Desktop-Replacement den sparsamen Mittelstand oder den Soho-Markt mit attraktiven Angeboten anzusprechen.

Beate Wöhe

bwoehe@computerpartner.de

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