Going Public als Königsweg für schnelles Wachstum

11.12.1998

MÜNCHEN: Insbesondere schnell wachsende Unternehmen stoßen bei ihrer Expansion zunehmend an Eigenkapitalgrenzen. Der Gang an die Börse könnte helfen, finanzielle Engpässe abzuwenden. Konrad Bösl und Rainer Mauer von der Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner GmbH in München stellen Motive für den Börsengang mittelständischer Firmen vor.Seit langem klagen deutsche Unternehmen über eklatante Eigenkapitallücken. Gerade dynamisch wachsende Unternehmen geraten dadurch in Abhängigkeit von Kreditgebern. Hinzu kommt, daß eine schmale Eigenkapitalbasis die Kreditfinanzierung erschwert und mit hohen Zinsen zu Buche schlägt. Die Aufnahme eines starken Partners oder einer Beteiligungsgesellschaft bedeutet nicht selten den Verlust an unternehmerischer Unabhängigkeit. Immer mehr Unternehmen fassen seit der Eröffnung des Neuen Marktes in Frankfurt im März 1997 einen Börsengang ins Auge, um auf diese Weise das nötige Eigenkapital für ihr zukünftiges Wachstum zu akquirieren. Doch auch andere Beweggründe beflügeln zu diesem Schritt.

Gerade mittelständische Unternehmen stehen immer wieder vor der schwierigen Situation, daß aufgrund von Technologiesprüngen, immer kürzerer Produktzyklen oder notwendiger strategischer Investitionen hohe finanzielle Vorleistungen zu erbringen sind.

Angesichts vieler Insolvenzen wird jedoch die Kreditvergabepolitik der Banken zunehmend restriktiver. Erschwerend kommt hinzu, daß die Selbstfinanzierungskraft der Unternehmen durch steuerliche Belastungen eingeschränkt wird. Deshalb besteht die Gefahr, daß notwendige, die Wettbewerbsposition sichernde Zukunftsinvestitionen unterlassen werden. Eine ausreichende Eigenkapitalbasis sichert dagegen die Unabhängigkeit und die kontinuierliche Unternehmens-entwicklung.

Eine geringe Eigenkapitalquote und hohe Zinsaufwendungen belasten die finanzielle Widerstandsfähigkeit von Unternehmen gerade in Verlustjahren erheblich. Aufgrund der häufig engen Verknüpfung von Unternehmens- und Privatvermögen können sich daraus erhebliche Gefahren für die Eigentümer ergeben.

Gerade mittelständische Unternehmer haben regelmäßig zu mehr als 90 Prozent ihr Vermögen innerhalb des Betriebs gebunden. Ihre wirtschaftliche Situation hängt damit entscheidend vom Erfolg oder Mißerfolg des Unternehmens ab. Durch den Börsengang können sich die Eigentümer ein vom Unternehmensrisiko freies Privatvermögen schaffen, indem sie einen Teil ihres Aktienbesitzes abgeben.

Klare Trennung von Kapital und Unternehmensführung

Darüber hinaus stellt die klare Trennung von Kapital und Unternehmensführung in der Aktiengesellschaft einen geeigneten Weg dar, um einen Generationswechsel an der Unternehmensspitze vorzubereiten beziehungswiese eine Nachfolgeregelung zu treffen und die Identität des Unternehmens zu wahren.

Die Börsennotierung kann so auch die Lösung für eine Neustrukturierung des Gesellschafterkreises sein. Vielfach ist es einem Unternehmer nicht möglich, oder es stellt zumindest eine außerordentliche Belastung dar, wenn die Ausbezahlung von Gesellschaftsanteilen verlangt wird, zum Beispiel von einem Erben.

Ein solcher Eigenkapitalabfluß kann bei einer Aktiengesellschaft nicht eintreten. Sie ist von den vermögensrechtlichen Entwicklungen ihrer Eigentümer (Aktionäre) unabhängig und auch nicht ausschließlich darauf angewiesen, Eigenkapital bei bestimmten Eigentümern (Aktionären) aufzunehmen.

Effekte aus der Börseneinführung

- Finanzielle Flexibilität:

Die Eigenkapitalausstattung des Unternehmens verbessert sich bei einem Gang an die Börse sofort, wenn die Börseneinführung an eine Kapitalerhöhung gekoppelt ist. Während bei einer Kreditfinanzierung die Zinszahlungen permanent zu leisten sind, ist das Grundkapital nur in Gewinnjahren mit einer Dividende zu bedienen. Das in die Kapitalrücklage einzustellende Agio (Emissionserlös abzüglich Nominalwert der Aktien) fließt dem Unternehmen "unentgeltlich" und steuerfrei zu.

Für die Alteigentümer besteht mit einem Börsengang die Möglichkeit, durch die Abgabe von Aktien einen Teil des Unternehmenswertes zu realisieren. Das Rechenbeispiel (siehe Grafik) verdeutlicht diese Finanzierungseffekte.

Bei positiver Unternehmensentwicklung kann der Kapitalbedarf immer wieder - auch durch andere Finanzierungsformen, etwa die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen - über den Kapitalmarkt gedeckt werden. Besonders interessant ist die Schaffung eines genehmigten Kapitals in der Satzung, bei dem die Hauptversammlung dem Vorstand die Ermächtigung erteilt, innerhalb bis zu fünf Jahren das Grundkapital um einen bestimmten Betrag - maximal die Hälfte des bisherigen Grundkapitals - zu erhöhen (Paragraph 202, Absatz 2, Aktiengesetz). Dadurch bleiben unternehmerische Spielräume zur Sicherung der Wettbewerbsposition gewahrt.

- Going-Public-Optionsanleihe: Bereits vor der Börseneinführung besteht die Möglichkeit, im Vorgriff auf den Kapitalzufluß aus der Aktienplazierung dem Unternehmen Finanzmittel zu vorteilhaften Konditionen zuzuführen. Ein solches Finanzierungsinstrument stellt die Going-Public-Optionsanleihe dar. Sie kann von Aktiengesellschaften begeben werden, die in absehbarer Zeit den Gang an die Börse planen.

Eine Optionsanleihe ist grundsätzlich ein Fremdfinanzierungsinstrument. Sie gibt ihrem Inhaber während der Laufzeit zum einen das Recht auf eine feste Verzinsung, die üblicherweise jedoch unter dem Marktzinsniveau liegt. Zum anderen hat der Inhaber zum Zeitpunkt der Börseneinführung ein Optionsrecht, innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach der Plazierung die Aktien zum Emissionspreis zu erwerben. Dadurch hat der Anleger die Chance, Gewinne zu realisieren, die sich aus einer Kurssteigerung der Aktien nach ihrer Plazierung ergeben.

- Bonitätskennzeichen: Die Börsennotierung eines Unternehmens wird von Kunden, Lieferanten und der Öffentlichkeit vielfach als Bonitätskennzeichen angesehen. Mit der Kapitalerhöhung verbessert sich auch die Kreditwürdigkeit des Unternehmens.

Eigenkapitalstruktur GmbH:

- 10 Millionen Mark Stammkapital

- 7 Millionen Mark Rücklagen

- 4,6 Millionen Mark Gewinnvortrag

Eigenkapitalstruktur nach Umwandlung in AG:

- 20 Millionen Mark Grundkapital, eingestellt in 4 Millionen Stückaktien (rechnerischer Nennwert 5 Mark) u 1,6 Millionen Mark Gewinnrücklagen

Börseneinführung von:

- 800.000 Stückaktien (rechnerischer Nennwert 5 Mark) aus Kapitalerhöhung um nominal 4 Millionen Mark

- 400.000 Stückaktien (rechnerischer Nennwert 5 Mark) aus Besitz der

Alteigentümer (verbleibende Anteilsquote nach Kapitalerhöhung 75%)

- Emissionskurs 80 Mark je Aktie

Finanzierungseffekte:

- Mittelzufluß an Alteigentümer

80 Mark x 400.000 Aktien = 32 Millionen Mark

- Mittelzufluß an das Unternehmen

aus der Kapitalerhöhung

80 Mark x 800.000 Aktien = 64 Millionen Mark davon sind als (steuerfreies) Agio in

die Kapitalrücklage einzustellen: 60 MillionenMark

Quelle: Dr. Wiesenhuber & Partner, Unternehmensberatung GmbH, München

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