Händler ahoi: Raab Karcher schwenkt voll auf Kurs Mittelstand - Partner segeln mit

10.10.1997

MÜNCHEN: Was passiert, wenn man Distributor, Hersteller und Vertriebspartner in ein Boot setzt? Raab Karcher wagte den Feldversuch in der türkischen Ägäis - mit überraschend positivem Resultat. Zwar zog sich der eine oder andere Systemhauspartner leichte Blessuren zu - das lag aber eher an rutschigen Schiffsplanken, nicht an zu heftig geführten Diskussionen über Unternehmensstrategien und Preise.

Das hätte ins Auge gehen können: Der Nettetaler Distributor Raab Karcher lud fünf seiner Lieferanten sowie rund 30 Systemhauspartner ein, drei Tage gemeinsam durch die türkische Ägäis zu schippern. Unter die Teilnehmer mischte der Gastgeber noch leitende Mitarbeiter aus den eigenen Reihen. "Schaun wir mal", zweifelte ein Teilnehmer im Vorfeld, "ob das gut geht - und ob da wirklich was dabei herauskommt...."

Hermann Schröder dagegen zeigte sich von Anfang an zuversichtlich: "In entspannter Atmosphäre läßt sich einfach besser übers Geschäft reden", hoffte der Marketingleiter bei Raab Karcher, der für den Ablauf des Geschehens und für die Sicherheit der Teilnehmer die Verantwortung trug. Tatsächlich lief die Veranstaltung informativ und harmonisch ab, für manchen ergab sich gar unerwartete Gelegenheit zu Kooperationsgesprächen oder zumindest zur Planung gemeinsamer, zukünftiger Projekte.

Schon ein Blick auf die Teilnehmerliste ließ ahnen, daß sich die geladenen Gäste nicht unbedingt die Augen auskratzen würden: Raab Karcher legt nach eigenen Angaben Wert auf ein gutsortiertes Lieferantenadreßbuch und wählt unter den Herstellern von Computersystemen jeweils nur einen Anbieter aus. Das schloß größere Platzhirschkämpfe unter den Herstellern (Manager von Toshiba, Quantum, Stallion, Eicon-Diehl und Digital - hier ließ sich sogar PC-Deutschland-Chef Peter Kaiser in die türkischen Badebuchten locken - nicht ohne sein Handy, versteht sich...) zumindest aus. Im Händlerumfeld fanden sich zudem ausschließlich ausgewählte Partner aus dem neuen Bereich Specialised Distribution auf der Einladungsliste, die mit ihren Geschäften auch nicht im gegenseitigen Wettbewerb stehen.

Unter türkischer Sonne wurde Tacheles geredet

Den anfänglichen Unkenrufen zum Trotz beschränkten sich die ab und an von Bauchtanz oder Ziegengemecker unterbrochenen Gespräche nicht auf Messetips ("Nie wieder Guug!") oder Deutschlands schlechte Konjunktur: Eine Vielzahl der Vertriebspartner hielt Ausschau nach Finanzgebern, Kooperationspartnern oder nach Schützenhilfe für neue Projekte. Didass-Geschäftsführer Micheal Smith beispielsweise legte beim Abendbrot geduldig sein "in den USA bereits bewährtes Sicherheitssystem" dar. Während der Vorspeise erklärte er die Identifikation per Handabdruck, beim Hauptgang die Wettbewerbssituation und beim Nachtisch gab es bereits Interessenten. Andere Teilnehmer fanden sich in Gruppen und Grüppchen und überlegten, welche Kooperationsmöglichkeiten es untereinander geben könne, wie sich gemeinsam eine bessere Abdeckung des Geschäftsgebiets erreichen ließe und gar, wer Kunden tauschen möchte.

Auch die Hersteller hatten Neues zu berichten: ISDN-Spezialist Eicon-Diehl plant seinen ersten Messeauftritt unter "Eicon"-Emblem auf der diesjährigen Systems. "Wir hatten lange zu kämpfen seit dem Zusammenschluß von Eicon und Diehl - vor allem, weil Diehl ja direkt verkauft hat. Jetzt bieten wir endgültig und ausschließlich über den indirekten Kanal an", erklärt beispielsweise Heike Opper, Regional Sales Executive bei dem Dietzenbacher Hersteller. Stallion-Verkaufsleiterin Silvia Dornieden vermeldet stolz Neuzugänge im Unternehmen (Vertriebsleiter und Marketingmitarbeiter), Quantum kündigte die Ausstattung von Digital Prioris Servern und IBMs PC-Server mit seinen DLT-7000-Backup-Laufwerken an, und Toshiba versicherte die Richtigkeit der Entscheidung für den Distributionsweg: "Noch vor einem Jahr haben wir höchstens 19 Prozent unseres Umsatzes über Distis gemacht - heute sind es schon 30 Prozent."

Raab Karcher hat große Pläne mit Digital Equipment

Am ausführlichsten aber nahm Digital-PC-Chef Peter Kaiser die Gelegenheit wahr, Neuerungen in seinem Unternehmen hervorzustellen - und dabei Raab Karchers Loblied zu singen. Die Zusammenarbeit der beiden Unternehmen (seit Anfang des Jahres bietet Raab Karcher die Digital-PC-Systeme an) wurde jetzt noch erweitert, der Distributor führt mittlerweile die gesamte Produktpalette des Herstellers im Angebot. In Europa wolle man durch Digital "stark wachsen" - und vorher auch entsprechend investieren. So stellte Raab Karcher eigens für den DEC-Bereich 28 Mitarbeiter ein, bis Ende des Jahres soll diese Zahl auf etwa 35 wachsen, und 1998 sollen sich 48 Raab-Karcher-Mitarbeiter allein mit den Digital-Systemen beschäftigen. "Das läuft wirklich prima an mit Raab Karcher", lobte Kaiser schon vor der Reise seinen Distributor. Der wiederum sparte nicht mit Gegenkomplimenten: "Kaiser hat bei Digital wirklich für frischen Wind gesorgt", so ein Raab-Karcher-Manager. Denn er habe bei DEC "kräftig aufgeräumt", Kompetenzen gebündelt und für klare Definition der Zuständigkeiten und Ansprechpartner gesorgt. Gemeinsam wollen Hersteller und Distributor jetzt neue Software- und Systemhauspartner akquirieren und gründlich qualifizieren. Neue Märkte locken (IBM RS/6000 oder im Intel-Umfeld), und ein Mißstand soll gemeinsam mit Digital beseitigt werden: "Heute dauert es einfach noch zu lange Zeit, um hochaufgerüstete Client-Server-Systeme zu verkaufen", erläutert Ernst Sorg, seines Zeichens Vertriebsleiter Spezial-Distribution bei Raab Karcher, den Traum vom System "out of a box".

Ergo: Digital nimmt strategisch einen sehr großen Stellenwert bei der Veba-Tochter ein. Durch den Kauf von Digital-Distributor Wyle Inc. in den USA wurden laut Raab Karcher auch "global die Weichen gestellt".

Geschäfte mit Großkunden nicht so leicht wie mit dem Mittelstand

Allen Seereisenden gemein war das anvisierte Geschäftsziel: Kurs Mittelstand. "Es ist ein Irrtum anzunehmen, das Großkundengeschäft sei lukrativer als das im Mittelstandsumfeld", faßt beispielsweise Raab-Karcher-Mann Sorg zusammen. "Die Großabnehmer kennen sich doch mittlerweile bestens aus im Aushandeln von Rabattverträgen". Besonders von Hans Wulff, Channel Marketing Manager bei Cabletron, erntete er damit entschiedene Zustimmung. Der Hersteller von Netzwerkkomponenten mit Deutschland-Zentrale in Dreieich hat einen Mitarbeiter jetzt für drei Monate zu den Nettetalern beordert, der dort vorerst drei Distributionsleute in seinen Systemen schult. Die wiederum sollen ihr Wissen an Vertriebspartner weitergeben, die sich vorrangig im Wunschmarkt Mittelstand tummeln.

Was diesen Geschäftsbereich im Endeffekt so interessant macht, wird abends nach diversen Gläschen deutlich: "Im Großkundenbereich sitzen doch jetzt schon seit Jahren ausgebuffte Einkäufer, die es gewohnt sind, ihre Preisvorstellungen durchzusetzen. Solche Leute können sich mittelständische Unternehmen gottseidank doch gar nicht leisten - die müssen arbeiten und brauchen jeden Mann", verrät der Geschäftsführer eines Systemhauses beim Anisschnaps. "Die können sich nicht mit Details herumschlagen und ewig verhandeln." Sein Fazit: Da sei dann wirklich Marge drin - besonders im Lösungsbereich.

So ließ denn auch Sorgs Vermutung, das Geschäft mit dem Mittelstand werde in nächster Zeit sicher noch größer und lukrativer, die Augen aufleuchten. Mehr weiß man im nächsten Jahr, denn dann will Raab Kar-

cher die Aktion wiederholen. (du)

Mit einer Flotte von sechs Zweimastern zog Raab Karcher - an Bord fünf seiner Lieferanten und rund 30 Vertriebspartner - bei gutem Rückenwind an der ehemaligen Zentrale von Konkurrent Karma im türkischen Marmaris vorbei.

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