"Händler im Blickfeld der Behörden"

25.03.2004
Im Januar 2004 trat das neue Geräte- und Produktsicherheitsgesetz in Kraft. Dr. Thomas Klindt, Rechtsexperte für Produktsicherheit, erläutet die Folgen der Gesetzesänderung für Händler und Hersteller.

Im Januar hat der Bundestag das neue Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) verabschiedet. Liegt die Messlatte für sichere Produkte jetzt viel höher?

Klindt: Es existierten bereits hohe Sicherheitsanforderungen an Produkte, die aber vielfach in der Industrie nicht wahrgenommen werden. Festgeschrieben im Gerätesicherheitsgesetz (GSG) und Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) - die im GPSG quasi zusammengeführt wurden. Zudem sind Sicherheitsfragen erheblich über das europäische Recht geprägt (Maschinen-Richtlinie, Spielzeug-Richtlinie, PSA-Richtlinie etc.). Trotzdem: Jetzt wird die Messlatte höher gelegt, allein schon durch die öffentliche Aufmerksamkeit zur Einführung des GPSG. Das neue Gesetz sagt zudem eindeutiger, wie Hersteller die Gebrauchssicherheit gewährleisten müssen, und das nicht nur bei der bestimmungsgemäßen Verwendung, sondern auch beim vorhersehbaren Fehlgebrauch.

Heißt das, Hersteller und Händler müssen ab sofort noch stärker auf sichere Produkte achten?

Klindt: Richtig! Und zwar schon deshalb, weil die Marktüberwachungsbehörden jetzt verbesserte Kontrollmöglichkeiten haben. Die Industrie wird mit mehr Produktkontrollen rechnen müssen, die Händlerschaft als Teil der Vertriebskette rückt sehr viel deutlicher in das Blickfeld der Behörden.

Verbraucher können sich also über das neue Gesetz freuen. Gilt das auch für Unternehmen?

Klindt: Letztlich ja. Denn wird zu wenig kontrolliert, rentiert es sich leider, die Sicherheit als Einsparpotenzial zu entdecken und damit den Preis gegenüber seriösen Herstellern zu senken; es droht eine Abwärtsspirale mangelnder Sicherheit. Ein auch staatlich gefordertes Mehr an Produktsicherheit kommt damit auch den Herstellern entgegen, die sich um sichere Produkte bemühen! Außerdem ist es doch im Interesse der Hersteller, Produkthaftungsrisiken zu vermeiden. Wer das neue GSPG befolgt, hat einen großen Teil des Weges zur produkthaftungsrechtlichen Rechtssicherheit zurückgelegt. Das Ende markiert hier übrigens das noch strengere Produkthaftungsrecht.

Das GPSG ist also ein großer Schritt auf dem Weg zum sicheren Produkt?

Klindt: Es ist ein modernes Verbraucherschutzgesetz mit vielen Schnittstellen zu einer behördlichen Wirtschaftssteuerung - wie positiv das sein wird, muss die Zukunft zeigen. Was ich in Bezug auf Verbraucherprodukte sehr erwähnenswert finde, ist die unternehmerische Pflicht zur Marktbeobachtung, um herauszufinden, welche Gefährdungen sich hier ergeben. Zudem verlangt das Gesetz im Krisenfalle vernünftige Schutzmaßnahmen wie Verbraucherwarnungen und Produktrückrufe.

Das ist nicht weniger als die gesetzliche Aufforderung, endlich ein firmeninternes "Risk-Management" aufzubauen. Das kann man auch als freiwillige Maßnahme nur empfehlen, denn nichts ist verheerender als unvorbereitete, improvisierte Rückrufe unsicherer Produkte.

Gibt es aus Ihrer Sicht auch Kritikpunkte?

Klindt: Ja! Ich kritisiere, dass die Hersteller von Verbraucherprodukten bei erkannten Produktgefahren unverzüglich und von sich aus die Behörden informieren müssen. Diese "Selbstanschwärzungspflicht" ist wenig hilfreich, zumal doch das gleiche Gesetz Rückrufvorkehrungen vorschreibt. Dadurch wird es schwieriger, Produktrückrufe und Verkaufsunterbrechungen mit der nötigen Ruhe abzuwickeln. Zudem reichen die Koordinationspflichten zwischen den Bundesländern nicht aus. So ist noch immer nicht sichergestellt, dass baugleiche Produkte diverser Wettbewerber von den örtlich zuständigen Marktüberwachungsbehörden sicherheitstechnisch identisch bewertet werden. Dann erlebt der eine Inverkehrbringer massive Interventionen des Staates, während sein (baugleicher) Konkurrent völlig unberührt weiter verkaufen darf. Das hat mit intelligentem Verbraucherschutz nichts mehr zu tun, sondern ist nackte Wettbewerbsverzerrung. Solange hier kein Staatsvertrag verbindliche Entscheidungszuständigkeiten klärt, ist und bleibt der Zustand unbefriedigend. Man wundert sich zuweilen, wie der Industriestandort Deutschland vom Gesetzgeber behandelt wird. MF

TÜV-Tipps für Firmen

Die wichtigsten Regeln

1. So sicher wie möglich produzieren:

Das klingt banal, kann aber nicht oft genug betont werden. Denn die Haftungsrisiken sind größer geworden.

2. Sachverstand zukaufen:

Kleinen und mittelständischen Firmen fehlen oft Kapazitäten im Bereich Technik und Recht. Diese sollte man notfalls schon in der Entwicklungsphase extern zukaufen.

3. Verbraucher lieber unterschätzen:

Beim Thema Produktsicherheit immer die Verbraucherbrille aufsetzen. Die Hersteller müssen auch mit "vorhersehbaren Fehlanwendungen" rechnen, was ein weites Feld darstellt.

4. Ganzheitliches Risikomanagement:

Das ganzheitliche Risikomanagement untersucht alle potenziellen Fehlerquellen, wozu auch die fremd produzierten Teile eines Produktes gehören.

5. Innovationen berücksichtigen:

Jede noch so kleine Veränderung eines Produkts sollte auch unter Sicherheitsaspekten geprüft werden.

6. Warnhinweis kein Freifahrtschein:

Wer am Produkt eine Schwachstelle vermutet, sollte es nicht beim Warnhinweis belassen, sondern den Fehler beheben. Ein Warnhinweis soll nur vor unsachgemäßem Gebrauch schützen.

7. § 4 Abs. 2 GPSG beachten:

Welche Anforderungen aufgrund relevanter nationaler und internationaler Normen zu erfüllen sind, wissen die Experten vom TÜV Product Service.

8. Auftraggeber nicht maßgeblich:

Als Hersteller kann man sich nicht darauf berufen, ein Produkt auftragsgemäß gefertigt zu haben. Wenn es trotzdem fehlerhaft ist, haftet man im Schadensfall mit allen rechtlichen Konsequenzen.

9. Versicherung abschließen:

Versichern kann man fast alles, die Prämien werden von den Versicherungen individuell festgelegt. MF

Geräte- und Produktsicherheitsgesetz, § 4 Abs. 2

Ein Produkt darf ... nur in den Verkehr gebracht werden, wenn es so beschaffen ist, dass bei bestimmungsgemäßer Verwendung oder vorhersehbarer Fehlanwendung Sicherheit und Gesundheit von Verwendern oder Dritten nicht gefährdet werden. Bei der Beurteilung ... sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Eigenschaften des Produkts einschließlich seiner Zusammensetzung, Verpackung, der Anleitungen für seinen Zusammenbau, der Installation, der Wartung und der Gebrauchsdauer,

2. seine Einwirkungen auf andere Produkte, soweit seine Verwendung mit anderen Produkten zu erwarten ist,

3. seine Darbietung, Aufmachung im Handel, Kennzeichnung, Warnhinweise, Gebrauchs- und Bedienungsanleitung und Anweisungen für seine Beseitigung sowie alle sonstigen produktbezogenen Angaben oder Informationen,

4. die Gruppen von Verwendern, die bei der Verwendung des Produkts einer größeren Gefahr ausgesetzt sind als andere.

Kompletter Gesetzestext unter: http://bmwi.de/Navigation/ Service/Gesetze/rechtsgrundlagen-arbeitsschutz,did=24308.html

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