Händlerskandal in Berlin

11.04.2005
Ende März platzte der Sellcom-Traum: Die Filialen des Berliner IT-Handelshauses sind geschlossen, die Geschäftsführer über alle Berge, und tausende Kunden, die Vorkasse geleistet haben, gucken in die Röhre. Nun stellt sich allen die Frage:Ist das eine normale Firmeninsolvenz oder ein groß angelegter Betrug?

Von Ulrike Goreßen

Der 2. April 2005 sollte der große Tag werden: Die Sellcom Handels GmbH wollte ihre vierte Berliner Filiale in den noblen Spandauer Arcaden mit einem Big Bang eröffnen. Seit Wochen hatte das Berliner Handelshaus in TV- und Radio-Spots sowie auf großformatigen Printanzeigen (unter anderem in der "Bild") ihre konkurrenzlos günstigen Produkte angepriesen: ein 19-Zoll-TFT für 199 Euro (laut Eigenwerbung 70 Prozent unter Marktpreis) sowie einen Sellcom-PC für 599 Euro (60 Prozent unter Marktpreis).

Der Haken für die Kunden: Sie mussten bis zum 28. März 2005 eine Anzahlung leisten, zum Beispiel 100 Euro für den Monitor, die Geräte selbst sollte es hingegen erst frühestens ab dem 2. April geben. Wer alle seine Sinne beisammen hatte, ließ von dem Geschäft ab. Wer jedoch von seiner Gier getrieben wurde, zahlte. Laut Angaben auf der Sellcom-Homepage (ist mittlerweile offline) wurden über 5.000 TFTs bestellt.

Und nun gucken alle Preisfüchse ziemlich verschämt aus der Wäsche. Denn kurz nach Ablauf des Einzahlungs-Ultimo platzte der Traum vom Super-Schnäppchen. Alle drei bisherigen Filialen wurden über Nacht geschlossen, die Mitarbeiter standen ratlos auf der Straße, und die Geschäftsführung war aktuellen Gerüchten zufolge mit 750.000 Euro im Gepäck nach Israel gereist - offiziell, um Monitore zu kaufen.

Wie Klaus Götze, Leiter des Berliner LKA 321 (Betrugsdezernat) gegenüber ComputerPartner berichtete, ermittelt nun die Polizei, ob es sich um eine normale Insolvenz oder um einen Betrug handelt. Da die Ermittlungen gerade erst begonnen haben, konnte Götze keine Angaben machen, wer alles in den Fall verwickelt ist. "Wir ermitteln in alle Richtungen" ist das Äußerste, was er sagen kann. Seit Anfang der Woche ist auch die Staatsanwaltschaft Berlin tätig. Denn so blauäugig die Möchtegern-Schnäppchenjäger auch vor dem Crash waren, rund 1.000 haben in den ersten zwei Tagen Anzeige wegen Betrug erstattet. Das wäre schon ein Schaden von rund 100.000 Euro.

Doch das ist noch lange nicht alles: In den Büroräumen der Sellcom GmbH, die übrigens erst seit Anfang 2005 im Handelsregister eingetragen ist, stellte die Polizei rund 2.500 Auftragsbestätigungen sicher. Deshalb bittet Götze alle Geschädigten, sich möglichst schnell beim LKA 321 in Berlin oder bei anderen Polizeidienststellen zu melden. Nur dann kann der Gesamtschaden genauer beziffert werden.

Die Vorgeschichte

Wie kam es nur zu diesem Skandal? Die Geschichte begann im Frühjahr 2003. Die Mittzwanziger Easy, Raphael und Ron eröffneten die erste Filiale in der Blisserstraße und begeisterten die Kunden mit extrem günstigen Preisen und ihrer lockeren Art. Berliner Zeitungen machten das Trio durch Lob-Artikel zu einer Art Robin Hood des IT-Handels, der große Stückzahlen in China kauft, um den Preisnachlass an die Kunden weiterzugeben. Das Geschäft lief anscheinend gut genug, denn 2004 und 2005 folgten die Filialen in Hohenschönhausen und am Sachsendamm.

Zusätzlich bot Sellcom im Internet seine PCs und TFTs an. Die Preise waren so sensationell günstig, da störte es kaum jemanden, dass das Unternehmen im Internet nur über die Filialen und dann auch noch unter einer anonymen gmx-Adresse erreichbar war. Auch dass die PCs oftmals heillos übertaket waren und schon nach kurzer Zeit den Geist aufgaben, oder die Reaktionszeit der angepriesenen TFTs nicht wie beworben bei 14 ms, sondern bei 25 ms lagen, wurde viel zu spät und nur in speziellen Foren bemäkelt.

Die drei Sellcom-Macher gaben aber auch in der Vergangenheit den Kunden das Gefühl, in guten Händen zu sein, wenn sie mit Problemen in die Ladengeschäfte kamen. Und zwar durch sofortigen Austausch, durch Reparatur oder kostenlose Upgrades.

Bei der Konkurrenz erntete das Trio hingegen nur Kopfschütteln. So berichtet etwa Jürgen Rakow, Vorstandsvorsitzender der Vobis AG, dass Sellcom mehrere Kardinalfehler begangen habe. Die Lage der Läden sei für einen Einzelhändler schlecht gewählt, da dieser auch auf das Umfeld achten müsse, um ausreichend Laufkundschaft zu erreichen. Auch würde keiner freiwillig im zweiten Quartal ein Geschäft eröffnen, da dieses erfahrungsgemäß der schlechteste Zeitpunkt sei. Und als er dann im März die Niedrigpreise sah, war es endgültig mit seinem Verständnis vorbei. Es sei ja in Ordnung, zur Eröffnung günstige Angebote zu machen, aber auf Dauer sei das unmöglich, einfach untragbar, so Rakow.

WennTräume plötzlich zerplatzen

Und so war es dann wohl auch. Denn mit den günstigen China-Connections des Sellcom-Trios war es nicht weit her. Wie ComputerPartner recherchierte, handelte es sich bei den beworbenen TFTs um Geräte von Miro Display. Die Neu-Isenburger hatten aber zu keiner Zeit Geschäftsbeziehungen zu Sellcom. Die einzige große Aktion fand Anfang März 2005 mit der Metro statt, bei der eine limitierte Menge zum Nettopreis von 200 Euro angeboten wurde. Und genau zu diesem Zeitpunkt fragten die Berliner bei der Metro, Bereich Großhandel, nach, ob sie eine größere Menge der TFTs kaufen könnten. Wie ein Metro-Sprecher auf Nachfrage erklärte, kam es aber zu keinem Geschäft.

Versuchten die drei Jungunternehmer zu diesem Zeitpunkt noch, mit den eingehenden Vorauszahlungen ihren Verpflichtungen nachzukommen? Diese Frage muss nun die Berliner Staatsanwaltschaft klären.

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