Happy Birthday zum zweijährigen

18.03.1999

FRANKFURT/MAIN: Die Kunde von üppigen Renditen am Neuen Markt machte spätestens seit den fulminanten Kursgewinnen im ersten Halbjahr 1998 die Runde. Mit dem Anstieg an Neuemissionen zeichnet sich jedoch immer mehr eine Kurskorrektur ab.Warum einer von Berlins Taxifahrern jetzt einen zweiten Fernsehapparat braucht? Die Antwort ist einfach: Seine Frau gucke den ganzen Tag "n-tv", vertraute er seinem Fahrgast an, das Aktienfieber habe sie voll gepackt. Womöglich gehört sie zu jenen cleveren Hausfrauen hierzulande, die ihr bescheidenes Haushaltsgeld geschickt durch den Kauf und Verkauf von Aktien vervielfachen.

Frankfurts Neuer Markt, am 10. März 1997 mit lautstarkem Brimborium aus der Taufe gehoben, gilt für viele als die Geldmaschine schlechthin. Noch jedenfalls ist die Aussicht auf schnelle und dicke Gewinne wahrscheinlicher als ein Treffer im Lotto.

Immer mehr Anleger verfolgen denn auch via Internet das Börsengeschehen, ordern Aktien online, um sie zum nächstgünstigen Zeitpunkt wieder loszuschlagen. Daß dabei mehr als ein nagelneuer Zweitwagen herausspringen kann, verdeutlicht ein kleines Rechenexempel. Beispiel SER: Wer Anfang 1998 20.000 Mark in die Aktie des Neustädter Archivierungs- und DMS-Spezialisten investierte, kann sich heute über einen netten Kapitalzuwachs freuen. Das kleine Aktienpaket (160 Stück zum Kaufpreis von 125 Mark) hatte am 25. Februar (Kurs: 909 Mark) einen Wert von 145.440 Mark. Der Einsatz hat sich damit mehr als versiebenfacht. Im Juni 1997 lag der Emissionskurs übrigens bei 51 Mark. Aktionäre der ersten Stunde hätten damit heute über 350.000 Mark auf ihrem Konto.

Die Top-Liste erfolgreicher Aktien ließe sich fortsetzen. Titel wie Mobilcom oder EM-TV liegen von ihrer Bewertung sogar noch um ein Vielfaches über dem SER-Papier.

Doch wo Licht ist, ist bekanntlich auch Schatten. Längst nicht mit jeder Neuemission wurde eine Kursrakete gezündet. So gehörte beispielsweise die Aktie des ungarischen CAD-Spezialisten Graphisoft 1998 zu den Flops des Jahres. Die mit 40 Mark emittierte Aktie lag lange Zeit im Minus und erreichte erst seit kurzem wieder die Ausgabemarke.

Korrekturphase ist eingeläutet

Jetzt scheint sich das überhitzte Börsensegment immer mehr abkühlen. Viele Werte befinden sich aktuell in der Korrekturphase, sind sich Börsenbeobachter einig. Diese Entwicklung hat ihre Gründe. Der Neue Markt ist mit 80 gelisteten Titeln heute lange nicht mehr so eng wie noch vor einem Jahr. Bis Ende 1998 dürften über 140 Unternehmen notiert sein.

Für Newcomer heißt das, sich publicityträchtig zu präsentieren und bereits im Vorfeld kräftig die Werbetrommel zu rühren. Unangenehme Folgen könnte es für Neulinge haben, in der Welle der Neuemittenten einfach nur mitzuschwimmen, ohne ausreichend eigenes Profil zu zeigen. Aus diesem Grund versuchte das Aachener Systemhaus Hancke & Peter bereits im Vorfeld, als erste Neuemission 1999 auf sich aufmerksam zu machen. Der Abwärtstrend der erstmals mit 90 Mark gehandelten Aktie hält aber dennoch an. Aktuell liegt das Papier bei 62 Mark.

Ein weiterer Grund für die Kursrückgänge ist die Überbewertung vieler High-Tech-Werte. Insbesondere Internet-Aktien bergen ein hohes Crash-Potential, unken Wall-Street-Analysten schon seit längerem. Grund: Statt Gewinnen werde bei diesen Werten viel heiße Luft gehandelt. Börsianern hüben wie drüben sitzt denn auch die Angst tief im Nacken, Nervosität an den Börsenplätzen macht sich breit.

Der Härtetest kommt noch

Anders als der Dow Jones, der sich in den letzten Tagen zu neuen Höchstmarken aufschwingen konnte, trippelt der Nasdaq-Index seit Wochen seitwärts. Ebenso hinkt der Neue-Markt-Index dem Dax schon seit geraumer Zeit hinterher.

Während optimistische Börsianer auf ein baldiges Comeback der High-Tech-Werte hoffen, stellen sich vorsichtige Anleger angesichts warnender Stimmen wie der des DG-Bank-Vorstands Uwe Flach auf weitere Kurskorrekturen ein: "Der Neue Markt hat seinen Härtetest noch vor sich. Und ich wäre nicht überrascht, wenn die Bewährungsprobe innerhalb der nächsten zwölf Monate erfolgt", erklärte der Banker gegenüber dem "Handelsblatt". Daß der Boom am Neuen Markt weitergeht, daran hegt auch der Börsenexperte keinen Zweifel. Mehr denn je stehen Anleger jetzt allerdings vor der schwierigen Aufgabe, aus der Flut an Neuemissionen die Perlen herauszufischen. (god)

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