Hersteller reagieren auf den Preisdruck im PC-Markt

17.09.1998

MÜNCHEN: Gerade einmal zwölf Prozent des Preises eines PCs lassen sich die Hersteller nach IDC-Analysen derzeit die eingebaute Harddisk kosten. Ein Preislimit, das für jene Plattenanbieter, die bisher ausschließlich auf immer höhere Kapazitäten und schnellere Zugriffszeiten setzten, inzwischen immer schwerer zu realisieren ist. Abhilfe soll jetzt die Entwicklung von preis- und leistungsreduzierten Festplatten schaffen, die speziell für die Anforderungen des Consumer-Marktes konzipiert wurden.Die Vorgaben sind klar definiert: Maximal 120 Dollar geben PC-Hersteller derzeit für die Festplatte ihres 1.000-Dollar-PCs aus. Für viele Harddiskproduzenten ist damit die preisliche Schmerzgrenze für Platten der neuesten Modellgeneration erreicht.

Doch das Preiskarussell im PC-Markt dreht sich weiter, und mittlerweile haben sich neue Low-cost-Plattformen gebildet. Aktuelle Marktanalysen zeigen, daß die Preissegmente der 799-Dollar-PCs und insbesondere jenes der 599-Dollar-PCs deutliche Zuwachsraten verzeichnen. Gerade einmal 96 Dollar beziehungsweise 78 Dollar dürfen nach Recherchen des Marktforschungsunternehmens IDC die Festplatten für diese PC-Modelle kosten. Eine Vorgabe, die von einer Reihe von Plattenherstellern nicht mehr oder nur einhergehend mit massiven Verlusten zu erfüllen ist.

Ein Blick auf die Entwicklung der Marktanteile bei Festplattenherstellern im Desktop-Segment, macht die Misere deutlich. Obwohl sich die drei führenden Anbieter der Branche Seagate, Quantum und Western Digital als Trendsetter betätigten und sich einen technologischen Wettstreit um das Produkt mit der höchsten Kapazität und der schnellsten Zugriffszeit lieferten, verloren sie Marktanteile. Als Nutznießer dieser Auseinandersetzung stellten sich die Festplattenproduzenten der zweiten Reihe wie Fujitsu, Maxtor oder Samsung heraus. Mit preisaggressiven, teilweise allerdings auch technologisch weniger aufwendigen Produkten gelang es ihnen, ihre Marktpräsenz im Consumer-Markt kräftig auszubauen.

Das soll sich demnächst ändern. Um alte Kräfteverhältnisse wieder herzustellen, bläst Seagate jetzt zum Gegenangriff. Unter der Produktbezeichnung "ST32111" stellte das Unternehmen im Juli die nach eigenen Angaben erste Festplatte vor, die speziell für PC-Desktop-Systeme unter 1.000 Dollar konstruiert wurde. Auch die Kontrahenten Western Digital und Quantum arbeiten derzeit mit Hochdruck an der Entwicklung derartiger Platten.

1.000-Dollar-PCs sind keine "Billig-PCs" mehr

Waren die 1.000-Dollar-PCs in der Vergangenheit häufig abgespeckte Versionen mit teilweise veralteten Komponenten und geringer Softwareausstattung, sind es heute Systeme der Pentium-Klasse. Mit gehobener Ausstattung ermöglichen sie nun auch Privatanwendern ein komfortables Arbeiten.

Obwohl die Festplattenpreise über die Jahre hinweg trotz ständig verbesserter Technologie konstant gesunken sind, können sie mit

der dramatischen Abwärtsentwicklung der PC-Preise nicht mithalten. Die im PC-Massenmarkt zum Einsatz kommenden Festplattenmodelle erfordern offensichtlich andere Kostenstrukturen. Platten zu entwickeln mit soviel Kapazität und Leistungsfähigkeit, wie zum Preis von 100 Dollar oder weniger zu bekommen ist, lautet daher die Vorgabe an die Entwickler.

Mehr als drei Wünsche auf einmal

Ein neuer Trend könnte laut Seagate die Situation entschärfen. Demzufolge erwarten die Marktforscher, daß Speichermedien mit einer Kapazität von zwei Gigabyte zukünftig im Consumer-Markt über den normal üblichen Drei-Quartals-Zyklus hinaus eine mehr als ausreichende Kapazität bieten werden. Umfragen haben ergeben, daß viele PC-Anwender den Kauf schnellerer Laufwerke mit höherer Speicherkapazität hinauszögern.

Klare Vorstellungen herrschen derweil bei den PC-Herstellern. Preisgünstig, schnell und flexibel verfügbar, leistungsfähig sowie einfach zu qualifizieren und zu integrieren, so charakterisiert Seagate die Wunschliste seiner OEM-Kunden.

"ST32111" heißt die Seagate-Antwort auf das geänderte Anwenderverhalten und die Wünsche der PC-Hersteller. Eine 2,1-Gigabyte-Platte, die nach Angaben von Seagate speziell für kostengünstige PC-Systeme und neue Applikationen wie "TV-Set-top-Boxes" konstruiert wurde. Das Produkt hat eine Ultra-ATA-Schnittstelle, verfügt über eine mittlere Zugriffsgeschwindigkeit von elf Millisekunden und bietet eine Transferrate von bis zu 33,3 Megabyte pro Sekunde. MR-Köpfe und eine robuste Umgebungsspezifikation runden das Leistungsprofil ab.

Phil Detwiler, Seagates Senior Vice President of Marketing, ist sicher, damit bei OEMs gute Karten zu haben. Bereits im dritten Kalenderquartal soll die Produktion beginnen. "Time-to-Market" lautet seiner Überzeugung nach das Erfolgsrezept. "Wer als erster Anbieter den Wettbewerb anführt, sichert sich die Qualifizierung bei den führenden OEM-Kunden."

Erst Fragen, dann Handeln

Skeptisch gegenüber dem Seagate-Vorstoß äußert sich Jens Hartmann, Regional Director Western Europe bei Western Digital. Er bezweifelt einen abflauenden Kapazitätsbedarf.

"Wir haben noch jede Menge 2- und 2,5-Gigabyte-Platten zu verkaufen. Auch mit äußerstem Nachdruck finden wir zur Zeit keine Kunden." Platten zwischen vier und acht Gigabyte werden seiner Meinung nach das diesjährige Weihnachtsgeschäft dominieren. Zwar sieht auch er für sein Unternehmen Handlungsbedarf im Consumer-Bereich, er ist sich allerdings über die Eckdaten eines zukünftigen "Low-end-Produktes" noch nicht im klaren. Im Gegensatz zum Schnellschuß des Kontrahenten Seagate favorisiert Hartmann Einsparungspotentiale bei der Zugriffszeit und der Rotationsgeschwindigkeit. Eine Entscheidung wird nach seinen Worten erst nach der Auswertung unternehmenseigener Marktbefragungen fallen. Eins steht allerdings bereits heute für ihn fest: "Nachdem der durchschnittliche Verkaufspreis in den letzten drei Quartalen um 40 Dollar gefallen ist, fahren derzeit alle Festplattenhersteller Verluste ein. Wir müssen es schaffen, ein Produkt zu entwickeln, bei dem wir und unsere Vertriebspartner endlich wieder Geld verdienen."

Mit deutlich unter 90 Dollar beziffert Hartmann den Zielpreis für ein derartiges Produkt. Mit einer schnellen Realisierung rechnet er jedoch nicht. Nach seinen Angaben könnte ein derartiges Produkt frühestens Mitte nächsten Jahres marktreif sein und dann zum Weihnachtsgeschäft 1999 in Stückzahlen zur Verfügung stehen.

"Wir haben unsere Meinung geändert. Früher haben wir gesagt, wir wollen keinerlei Leistungseinbußen, beispielsweise bei der Rotationsgeschwindigkeit, hinnehmen. Durch den Preiskampf im PC-Bereich taten sich allerdings neue Marktsegmente auf, die größer sind als erwartet", kommentiert Rainer Thieme, Regional Sales Manager Central Europe bei Quantum, die Kehrtwendung seines Unternehmens in Sachen "Low-end-Festplatte".

Eine Mitschuld an der Fehleinschätzung gibt Thieme den falschen Prophezeiungen der Analysten. "In Gesprächen mit OEM-Kunden mußten wir feststellen, daß das 599-Dollar-Marktsegment deutlich größer ist als die prognostizierten fünf Prozent." Mit Hochdruck arbeitet derzeit ein Quantum-Entwicklerteam an der Realisierung eines Plattenmodells mit einem Zielpreis von weniger als 76 Dollar. Auf technische Eckdaten möchte er sich derzeit noch nicht festlegen. "Wir können uns vorstellen, daß in diesem Marktsegment eine Platte mit vier Gigabyte Kapazität und mit einer Rotationsgeschwindigkeit von 4.500 Umdrehungen pro Minute zum Einsatz kommt." Ähnlich wie die Mitstreiter von Western Digital rechnet Thieme nicht mit einer schnellen Umsetzung. Auch er verweist auf das nächste Jahr. Bis dahin ist Konsolidierung angesagt. "Wir hoffen, daß das vierte Quartal besser läuft als die ersten drei, aber es ist eine ganze Menge Wunschdenken dabei."

Die kleinen bleiben gelassen

Im Gegensatz zu der heftigen Betriebsamkeit der Marktführer herrscht bei den Herausforderern Gelassenheit. Otto Hinteregger, Direktor Vertrieb und Marketing bei der Fujitsu Deutschland GmbH, sieht die Festplattenstrategie seines Unternehmens bestätigt und derzeit keinerlei Handlungsbedarf. "Wir sind einer der Gewinner im Festplattenmarkt der letzten Jahre und haben die Anforderungen des Marktes erfolgreich erfüllt. Fujitsu wird dem Trend zu

"Low-cost" nicht durch Einsparungen an Leistung und Qualität begegnen, sondern weiterhin konsequent seinen eigenen Weg gehen."

Als wesentlichen Eckpfeiler dieser Strategie betrachtet Hinteregger die Tatsache, daß sich Fujitsus hohe Investitionen der letzten Jahre in die Entwicklung eigener Kopf- und Mediatechnologien jetzt auszahlen. "Unser Festplattengeschäft ist schlüssig, und wir schauen zuversichtlich in die Zukunft. Wir haben zur Zeit eine sehr gute Auftragslage, leider allerdings nicht genügend Ware, um diese zu befriedigen."

Daß es am Markt derzeit einen Engpaß bei Platten mit vier Gigabyte Kapazität gibt, bestätigt auch Werner Handke, Direktor Sales und Marketing beim koreanischen Unternehmen Samsung. Er geht davon aus, daß die Knappheit anhält. Obwohl seiner Meinung nach bereits heute feststeht, daß 50 Prozent der im vierten Quartal verkauften Festplatten sechs Gigabyte haben werden, wird es auch dort zur Verknappung kommen.

Die Ursachen sind für ihn offensichtlich: "Hersteller, die in der Vergangenheit rote Zahlen geschrieben haben, haben ihre Produktionskapazitäten nicht ausgebaut. Bei einem jährlichen Marktwachstum von 20 Prozent treten so automatisch Engpässe auf."

Stimmungsschwung bei PC-Herstellern und Distributoren

Nicht zuletzt in Verfügbarkeitsproblemen der Mitbewerber sieht Handke die Chance seines Unternehmens, durch Verdrängung der renommierten Anbieter Marktanteile zu gewinnen. Von 400.000 im letzten Jahr auf 750.000 verkaufte Platten in 1998 soll das Geschäft in Deutschland fast verdoppelt werden. Aggressives Wachstum ist auch für die kommenden Jahre angesagt. Eine Million Platten 1999 beziehungsweise 1,4 Millionen im Jahr 2000, was Anteilen am gesamten adressierbaren deutschen Markt von neun respektive 11,4 Prozent entspricht.

Wachstumsziele, die strukturelle Veränderungen erfordern. "Unser Schwerpunkt waren bisher die Systemintegratoren, wo wir mittlerweile einen Marktanteil von 15 Prozent halten. Diesen analog zu den Stückzahlen innerhalb von zwei Jahren auf 30 Prozent zu verdoppeln, ist unrealistisch." Das Wachstum der nächsten Jahre muß laut Handke aus dem Bereich Distribution kommen. "Distributoren machen in Deutschland mehr als die Hälfte des gesamten Festplattenumsatzes. Aufgrund der latenten Verfügbarkeitsprobleme suchen sie verstärkt nach Unabhängigkeit. Gute Chancen für uns, als drittes oder viertes Standbein in die Regale zu kommen."

Daß die Erfolge seines Unternehmens in Europa ausschließlich auf die Nachwirkungen der Asienkrise und damit verbunden auf die schwache koreanische Währung zurückzuführen sind, streitet Handke ab. "Das hat uns geholfen, unsere Margen zu erhöhen. Geld, das wir jetzt für Marketingmaßnahmen zur Verbesserung der Brand Awareness einsetzen können. Der Schlüssel unseres Erfolges ist vielmehr, daß wir von Anfang an ganz gezielt auf die Entwicklung preisattraktiver Produkte gesetzt haben." Als Beispiel nennt er ein neues Festplattenmodell, bei dem es den Samsung-Entwicklern gelang, eine extrem hohe Datendichte von zwei Gigabyte pro Platte in Kombination mit vergleichsweise billigen Thin-Film-Köpfen zu realisieren. "In der Vergangenheit hatten PC-Hersteller oft eine geradezu elitäre Einstellung zu derartigen Einsparungspotentialen und lehnten sie ab. Die Stimmung ist inzwischen umgeschlagen. Heute steigt die Zahl der Befürworter stark an." (sd)

Daß gespart werden muß, steht außer Zweifel. Komponenten, Kapazität oder Leistungsfähigkeit - die Zahl der Einsparungspotentiale ist begrenzt.

Kosten in den Griff bekommen durch Schlüsseltechnologien im eigenen Haus, lautet das Fujitsu-Rezept. Abstriche bei Leistung und Qualität sind nicht geplant. Die neue "Picobird 12" bietet eine Kapazität von 3,2 Gigabyte pro Platte.

Jens Hartmann, Regional Director Western Europe bei Western Digital:

"Wir entwickeln, was der Anwender will. Das Problem dabei ist, daß der Consumer-Markt in Amerika und Europa sehr unterschiedliche Anforderungen stellt."

Werner Handke, Director Sales und Marketing Rotating Memories bei der Samsung Electronics GmbH, erklärt die Spielregeln:

"Der OEM-Kunde sagt einen Dollar-Preis, und wir versuchen, ihn zu realisieren."

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