Die Technik als ständiger Begleiter

Hightech – Highspeed – Zeitdruck?



Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.
Die Industrie liefert permanent neue Produkte und Dienstleistungen, die uns angeblich helfen, Zeit zu sparen. Doch je intensiver wir diese nutzen, umso stärker stehen wir scheinbar unter Zeitdruck. Wie man diesem Dilemma entgegenwirkt, sagt Michael Schwartz.

"Alles wird mir zu viel." Dieses Gefühl haben immer Arbeitnehmer. Sie wissen zunehmend nicht mehr, wie sie alle Anforderungen, die an sie beruflich und privat gestellt werden, unter einen Hut bringen sollen. Ähnlich geht es den Top-Entscheidern in vielen Unternehmen. Auch sie wissen immer weniger, wie sie zahllosen Herausforderungen, vor denen ihre Organisation steht, mit den vorhandenen Ressourcen in der nötigen Zeit bewältigen sollen – weshalb auch immer häufiger Seminare zu solchen Themen wie "Komplexität …" oder "Dilemmata managen" angeboten werden.

Das permanente Anschwellen der E-Mail-Flut verursacht Zeitdruck und Stress – eine Folge des Hightech-Zeitalters.
Das permanente Anschwellen der E-Mail-Flut verursacht Zeitdruck und Stress – eine Folge des Hightech-Zeitalters.
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Hightech – Fluch und Segen

Der zentrale Treiber dieser Entwicklung ist der technologische Fortschritt insbesondere im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie. Er machte neben der fortschreitenden Globalisierung ganz neue Geschäftsmodelle möglich. Zudem veränderte er unsere Art, zu arbeiten und zu kommunizieren so radikal, dass heute die moderne Informations- und Kommunikationstechnik sozusagen ein permanenter Wegbegleiter von uns ist – beruflich und privat.

Das Paradoxe daran ist: All diese Produkte, wie Computer, Handy & Co, wurden uns mit dem Versprechen offeriert, sie würden uns helfen, Zeit zu sparen, und unser Leben erleichtern. Das tun sie auch! Trotzdem erscheint es so, als würden wir, je intensiver wir sie nutzen, umso stärker unter Zeitdruck stehen und uns gleich Hamstern in einem Laufrad drehen. Ähnlich verhält es sich in Unternehmen. Obwohl in ihnen heute fast alle Geschäftsprozesse IT-gestützt ablaufen, haben sie zunehmend das Gefühl: Wir können mit den Marktveränderungen immer schwieriger Schritt halten. Also "nähen" sie vieles, getreu dem alten Pareto-Prinzip "Oft genügt eine 80-Prozent-Lösung" auf "Kante", wodurch die Risiken steigen - wie zum Beispiel die gestiegene Zahl der Rückrufaktionen zeigt.

Viele Produkte, die uns helfen sollen, Zeit zu sparen, bewirken offensichtlich bei einer intensiven Nutzung und Nutzung auf breiter Front just das Gegenteil. Ein typisches Beispiel hierfür sind die E-Mails. Eine Mail ist schneller geschrieben als ein Brief - auch weil man sie nicht eintüten und zur Post bringen muss. Doch die Leichtigkeit und Bequemlichkeit, mit der man Mails verfassen und versenden kann, führt - verknüpft mit den niedrigen Kosten - zugleich zu einem permanenten Anschwellen der E-Mail-Flut. Mit der Konsequenz, dass Führungskräfte heute im Schnitt circa 1,5 Stunden täglich mit dem Bearbeiten ihrer Mails beschäftigt sind. Zudem müssen sie, da sie per Mail permanent über irgendwelche Dinge informiert und somit in diese involviert werden, im Arbeitsalltag mehr Dinge beachten, was auch das Gefühl einer Überforderung forciert.

Hinzu kommt: Weil die Mails binnen Sekunden befördert und zugestellt werden, erwarten ihre Absender auch eine schnellere Antwort als bei einem postalischen Brief. Das heißt: Das, was ursprünglich die Arbeit erleichtern sollte und dies oft auch tut, verursacht vielfach Stress und Zeitdruck.

Highspeed - der Takt der neuen Zeit

Ähnlich verhält es sich auf der organisationalen Ebene. Denn die Vorzüge der modernen (Informations- und Kommunikations-)Technologie stehen nicht alle Unternehmen, um ihre Prozesse zu optimieren - sprich zu beschleunigen und kostengünstiger zu gestalten. Das führt dazu, dass in der gesamten Wirtschaft die Geschäftsprozesse immer schneller und die Innovationszyklen stets kürzer werden, und der effektive Umgang mit der Zeit zunehmend zu einem Erfolgsfaktor wird - was auch moderne Managementbegriffe wie "Just-in-time" und "time-to-market" zeigen.

Auf den wachsenden Zeitdruck reagieren viele Menschen privat, indem sie ihr häusliches Umfeld noch stärker technisieren, so dass zum Beispiel fortan ihre Gärten auf Knopfdruck gewässert und ihre Rollläden bei Einbruch der Dämmerung automatisch geschlossen werden. Sie erledigen zudem mehr Dinge "en passant", also im Vorbeigehen. So kaufen sich zum Beispiel immer mehr Berufstätige auf ihrem Weg zur Arbeit einen "caffee-to-go", statt zuhause gemütlich einen Kaffee zu trinken. Außerdem praktizieren sie zunehmend ein Multitasking, versuchen also, mehrere Dinge parallel zu tun. Dabei belegen Studien, dass wir Menschen schlechte Multi-Tasker sind. Denn Multitasking bedeutet stets, seine Aufmerksamkeit zu teilen - was zu mehr Fehlern und einem häufigeren und schnelleren Vergessen führt.

Multi-Tasking prägt den Lebens- und Arbeitsalltag

Auch in den Unternehmen ist das Multitasking inzwischen gängige Praxis. Das bringen schon die modernen Arbeitsstrukturen mit sich. Heute haben nur noch sehr wenige Arbeitnehmer eine Stellenbeschreibung mit genau definierten und abgegrenzten Aufgaben. Sie sollen vielmehr im Team mit Kollegen gewisse Ziele erreichen. Das heißt, sie sind bei ihrer Arbeit auch von der Zuarbeit von Kollegen abhängig und müssen häufiger auf Anliegen von ihnen reagieren. Mit der Konsequenz, dass sie, während sie zum Beispiel am PC eine Aufgabe bearbeiten, regelmäßig ihre Mails lesen, ob etwas Dringendes zu erledigen ist. Entsprechend schwer können sie ihren Arbeitstag planen.

Eine weitere Folge ist, dass sie meist mehrere Aufgaben parallel bearbeiten - und anderem, weil sie zwischenzeitlich immer wieder auf den Input oder das Okay von Kollegen angewiesen sind. Entsprechend viele Bälle müssen sie oft zugleich jonglieren, was Konzentration kostet und bei vielen Stress produziert.

Entsprechendes gilt auf der organisationalen Ebene. Früher galt zum Beispiel bei Organisationsentwicklern die Maxime: Nach einem Veränderungsprojekt sollte in einem Unternehmen einige Zeit Ruhe herrschen, damit sich der neue Ist-Zustand festigen kann und die Mitarbeiter Zeit zum Verschnaufen haben. Diese guten, alten Zeiten sind vorbei.

Heute befinden sich zumindest die meisten größeren Unternehmen in einem permanenten Umbruch. In ihnen laufen so viele, sich wechselseitig bedingende und überlappende (Veränderungs- und Innovations-)Projekte parallel, dass sich das sogenannte Multi-Projekt-Management zu einer neuen Schlüsselkompetenz entwickelt hat. Entsprechend schwer fällt es den Unternehmen auch zunehmend, ihren Erfolg zu steuern, weil sich firmenintern und im Firmenumfeld die Rahmenbedingungen permanent wandeln. Deshalb kann sich das Top-Management bei seinen Entscheidungen oft nur noch auf Annahmen und Szenarien stützen, was häufig Kurswechsel oder -korrekturen nötig macht.

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