HP-Chefin Fiorina unter Beschuss: "Die Fusion ist ein gefährlicher Plan"

13.09.2001
Mit der größten Fusion in der Geschichte der IT-Branche kommt auch das Ende eines Traditionsunternehmens: Die Marke Compaq wird es nach der Übernahme durch Hewlett-Packard wohl nicht mehr geben. HP-Chefin Carly Fiorina gerät wegen des harten Kurses zunehmend unter Druck.

Eine Woche nachdem die "mächtigste Frau der US-Wirtschaft" (Forbes) die Bombe des Jahres platzen ließ, wird die Kritik an der Übernahme von Compaq durch Hewlett-Packard immer lauter. Mitarbeiter und Partner sind verunsichert, manche Analysten sprechen von einer "Fehlentscheidung", einige bezweifeln sogar, dass der Deal tatsächlich zustande kommt. Nur die Wettbewerber sehen die Situation gelassen: Sie hoffen aus der derzeitigen Lage Vorteile für sich selbst generieren zu können.

Die Fakten: Die größte Fusion des Jahres

Der Schock bei den Mitarbeitern sitzt tief, denn an eine Fusion mit einem Wettbewerber hat zumindest in Deutschland niemand gedacht - trotz der angespannten Marktlage: "Wir wussten von gar nichts", ließ die Compaq-Niederlassung in München deshalb verlauten. Der europäische Betriebsrat fühlte sich gar hintergangen: "Selbst der Aufsichtsrat wusste von nichts. Das ist ein Gesetzesbruch", so der Betriebsrat-Vorsitzende Christan Brunkhorst.

Der deutsche Compaq-Chef Peter Mark Droste wollte sich öffentlich zunächst nicht äußern, rief aber intern zur Ruhe auf: Bis die Zustimmung der Aufsichtsbehörden und Anteilseigner eingeholt werde, würden Compaq und HP weiterhin "eigenständig und im Wettbewerb miteinander agieren", heißt es in einer Mitteilung an die rund 2000 Mitarbeiter. "Beide Unternehmen werden bis zu diesem Zeitpunkt Geschäftstätigkeiten weder abstimmen noch koordinieren." Schätzungen oder gezielt gestreute Gerüchte zu Struktur- und Personalveränderungen seien nicht angebracht, so Droste weiter.

Damit spielte er auf eine Meldung an, die die Münchner Mitarbeiter schwer verunsichert hatte und sich inzwischen als Tatsache erwiesen hat: Fiorina will die Marke Compaq weitgehend aufgeben. Lediglich Server und Notebooks sollen den ersten Meldungen zufolge noch unter dem Namen vermarktet werden, ansonsten werde man sich auf HP als Label des neuen Unternehmens konzentrieren. Diesen Schritt halten die meisten Analysten für einen großen Fehler: Laut Interbrand, dem Bewertungsunternehmen für Markennamen, ist "Compaq" als Name etwa zwölf Milliarden Dollar wert. Hewlett-Packard wird im gleichen Ranking mit 18 Milliarden Dollar gehandelt. Selbst bei der deutschen Hewlett-Packard-Zentrale ist die Stimmung verhalten. Zwar gibt man sich nach Außen sehr gelassen, doch inoffiziell heißt es: "Die Gewinner werden Sun, IBM und Dell sein, nicht wir. Uns werden so viele Kunden abspringen, das können wir nie wieder aufholen."

Das sagt der Wettbewerb

"Der Zusammenschluss bedeutet eine Verarmung des IT-Marktes zum Nutzen von Sun", sagt gewohnt selbstbewusst Helmut Wilke, Geschäftsführer der Sun Microsystems GmbH. "Zwei Mitbewerber werden nun einige Zeit damit beschäftigt sein, neue Strukturen zu schaffen und ihre Produkte zu konsolidieren - zum Nachteil ihrer Kunden." Das stärke Suns Position als Produktalternative mit "klarer Fokussierung". Wilke spart nicht mit Kritik an der Vorzeigefrau der IT-Branche: "Diese Ankündigung ist eine Vorwärtsstrategie von Carly Fiorina, um von internen Problemen abzulenken." Die Hauptkonkurrenten IBM und Dell wollen sich nicht zu der Angelegenheit äußern. Bei IBM gibt man zwar zu, die Situation "genau zu beobachten", aber "ansonsten ist es nicht unser Stil, Vorgänge in anderen Unternehmen zu kommentieren". Und wenn doch, dann frühestens in einigen Wochen.

Kritisches lassen indessen die Wettbewerber aus der Druckerfraktion verlauten: "Es gab ja schon in jüngster Zeit genügend Beispiele für solche Fusionen: Bei Daimler-Chrysler wurde hochgefeiert, heute spricht man vor allem von dramatischen Problemen", meint beispielsweise Hartmut Rottstedt, Director Marketing bei Lexmark. Zudem würden sich beide Unternehmen ja noch in einer internen Restrukturierung befinden: "Ich glaube, dass sich die Probleme eher potenzieren werden." Bei Xerox bläst man ins gleiche Horn: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Merge wirklich die gewünschten Vorteile für HP bringt. Zumal es schwierig sein wird zwei so unterschiedliche Unternehmenskulturen zusammenzuführen", sagt Torsten Keemss, neuer General-Manager der Xerox Office Printing GmbH in Neuss. "Es liegt auf der Hand, dass bei einer Fusion dieser Größenordnung die Unternehmen zunächst mehr mit sich selbst beschäftigt sind, als mit ihren Kunden."

Partner warten weitere Entwicklung vorsichtig ab

Die großen Partner der beiden Hersteller sehen der mögliche Fusion mit gemischten Gefühlen entgegen. "Das Geschäft wird weitergehen, das steht außer Frage", meint Bechtle-Vorstand Gerhard Schick. "Natürlich können wir die Lage noch nicht richtig einschätzen. Aber im Wesentlichen lief bei beiden das Geschäft über die Partner und wir hoffen mal, dass es auch so bleibt." Tobias Wörmann, Vertriebsleiter der PC-Solution bei Cancom, freut sich auf das neue Unternehmen: "Wir stehen als großer HP-Partner der Übernahme durchaus positiv gegenüber und sind natürlich auch gespannt, wie es ausgehen wird. Die Chance ist für uns die Fokussierung von HP auf die Händler, also auf den indirekten Vertrieb. Das Risiko birgt das Thema Integration." Doch die kritischen Stimmen überwiegen: "Das kann für die Händler nicht gut sein. Compaq war bisher im Hinblick auf die Zusammenarbeit ein verlässlicher Partner und sehr an uns interessiert. Das könnte sich jetzt schlagartig ändern", meint der Chef eines großen Sys-temhauses. Einen "positiven" Aspekt hat er aber auch entdeckt: "Könnte sein, das wir jetzt mehr Chancen bei den großen Kunden haben, die man uns bisher auf dem Direktweg weggeschnappt hat."

"Nach meinen Infos war Compaq nahe der Insolvenz", so ein anderer Händler. Nicht Hewlett-Packard sei die treibende Kraft gewesen, Compaq selbst sei an den Konkurrenten mit einem Angebot herangetreten. Im Grunde genommen sei das aber auch egal: "Compaq und HP sind unsere beiden wichtigsten Partner, also können wir im Prinzip nur profitieren." Letztendlich hänge alles von der neuen Partnerstrategie ab: "Die Umorganisation darf nicht zu lang dauern, sonst verlieren wir Zeit und Goodwill bei den Kunden." Bei den Branchenbeobachtern mehren sich indessen die Befürchtungen, die Fusion könnte doch noch platzen: "Der Druck durch die Analysten ist gigantisch", so ein Compaq-Mitarbeiter. So stellen die Marktforscher der Gartner Group einen erfolgreichen Zusammenschluss bereits in Frage: "Die Compaq-Fusion ist ein gefährlicher Plan", heißt es.

Denn die reinen Fakten sprechen gegen eine Fusion: Mit Compaq kauft sich Hewlett-Packard lediglich Marktanteile hinzu - aber keine neuen Technologien oder gar umsatzträchtigen Marktsegmente ein, wie Julia Reichardt, Analystin bei PAC in München, bestätigt. So werde der Marktanteil im Dienstleistungssektor auch nach der Übernahme nicht steigen: "Nach unseren Berechnungen wird der entsprechende Umsatz auch bei dem gemeinsamen Unternehmen 20 Prozent nicht überschreiten." Zwar haben sich Compaq und Hewlett-Packard das Thema Service auf die Fahnen geschrieben, doch es fehle bei beiden die klare Ausrichtung: "Hier müsste es schnell eine Entscheidung geben, ein deutlicher Fokus muss her." So wie bei IBM: "Big Blue" macht inzwischen 40 Prozent seines Umsatzes mit Dienstleistung. Reichardt: "Allerdings fiel dieser Neuorientierung der erste Platz im Hardwaregeschäft zum Opfer. Das war ein schmerzlicher Schritt, den muss man sich genau überlegen."

Die Experten der Meta-Group haben gar den Verdacht, dass "zwei angeschlagene IT-Giganten fusionieren, um damit zu einem gesunden Unternehmen zu werden". Jürgen Brettel, Geschäftsführer der Meta- Group: "Die Zusammenführung der Unternehmen dürfte zuerst ein Vielfaches der geplanten Kosteneinsparung von 2,5 Milliarden Dollar pro Jahr auffressen." Synergieeffekte gebe es kaum, dafür große Überschneidungen: Beim Angebot von Produkten und Services liege die Überdeckung bei 75 bis 85 Prozent.

"Der Merger wird für beide Unternehmen keine Vorteile bringen; andererseits wird dadurch eine weitere Schwächung der Systemhäuser - als indirekte Vertriebskanäle - und im Direktvertrieb und im Partnergeschäft eine starke Verunsicherung entstehen", glaubt Brettel. Andreas Zilch von der Meta-Group: "Ein gefundenes Fressen für die Wettbewerber - die jetzt bei den Anwendern Unsicherheit streuen können."

www.compaq.de

www.hewlett-packard.de

ComputerPartner-Meinung:

Mit soviel Kritik hat Carly Fiorina sicherlich nicht gerechnet. Sie wollte mit dem Deal ihre Po-sition stärken, einen Konkurrenten auslöschen und einen neuen Riesen im Markt schaffen. Doch sie kann nicht wirklich vermitteln, welche Vorteile für Mitarbeiter, Aktionäre und die Marktposition entstehen. (mf)

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