IBM: "big shift" in der Vertriebsstrategie

16.02.1996
SAN DIEGO: Vom 4. bis zum 7. Februar war die kalifornische Küstenstadt San Diego fest in IBMs Hand. 3.500 IBM-Vertriebspartner und 1.500 IBM-Mitarbeiter bevölkerten die Stadt. Für die meisten Teilnehmer der Business Partner Executive Conference (BPEC) hat sich die Reise gelohnt. Und zwar nicht nur wegen des schönen Wetters mit Sonnenschein und Temperaturen um 25 Grad.Die IBM-Vertriebspartner mußten zum Teil tief in die Tasche greifen, um an der diesjährigen BPEC teilzunehmen. Wer zum Beispiel aus Deutschland nach San Diego reiste, kam inklusive Reisekosten, Hotelunterbringung und Teilnahmegebühr leicht auf einen Betrag von 10.000 Mark. Viel Holz für vier Tage IBM.

SAN DIEGO: Vom 4. bis zum 7. Februar war die kalifornische Küstenstadt San Diego fest in IBMs Hand. 3.500 IBM-Vertriebspartner und 1.500 IBM-Mitarbeiter bevölkerten die Stadt. Für die meisten Teilnehmer der Business Partner Executive Conference (BPEC) hat sich die Reise gelohnt. Und zwar nicht nur wegen des schönen Wetters mit Sonnenschein und Temperaturen um 25 Grad.Die IBM-Vertriebspartner mußten zum Teil tief in die Tasche greifen, um an der diesjährigen BPEC teilzunehmen. Wer zum Beispiel aus Deutschland nach San Diego reiste, kam inklusive Reisekosten, Hotelunterbringung und Teilnahmegebühr leicht auf einen Betrag von 10.000 Mark. Viel Holz für vier Tage IBM.

Doch Big Blue hatte den Vertriebspartnern auch einiges zu bieten. Neben den Hauptrednern, vor allem IBM-Boß Louis Gerstner und sein Vize Ned Lautenbach sowie einer "Hausausstellung", wo sich die verschiedenen IBM-Geschäftsbereiche darstellten, konnten sich die BPEC-Teilnehmer in über 150 sogenannten "Elective Sessions" über Strategien, kommende Produkte und Marktentwicklungen schlau machen. Allerdings wurden die Inhalte der einzelnen Seminare von den Teilnehmern ebenso unterschiedlich beurteilt wie das bunte Rahmenprogramm. Die deutschen IBM-Partner waren aufgrund der Zeitverschiebung von neun Stunden abends ohnehin nicht mehr auf der Höhe ihres Leistungsvermögens und zogen sich frühzeitig in ihre Hotelzimmer zurück. Dafür war dann aber auch bei vielen die Nacht um vier Uhr Ortszeit (13 Uhr in Deutschland) wieder zu Ende und sie verbrachten die Zeit bis zum Frühstück (gebratener Schinken, Würstchen, Rühreier und Doughnuts und amerikanischer Blümchenkaffee) mit dem Schreiben von Grußkarten an ihre Liebsten in der Heimat.

Hauptgesprächsthema sowohl im offiziellen Programm als auch in der Lobby war die Willenserklärung von IBM, die Zusammenarbeit mit den Vertriebspartnern dramatisch zu intensivieren. Die zentrale Aussage der "IBM Business Partner Charter" besteht darin, daß die Geschäftspartner in bezug auf den Vertrieb der IBM-Produkte ein "führende Rolle" spielen sollen (vgl. Abbildung der Charta auf dieser Seite). Das heißt konkret: IBM will die eigenen Vertriebsaktivitäten nur noch auf solche Bereiche begrenzen, in denen kein Partner eingeschaltet werden kann. Wo immer möglich, sollen die Vertriebspartner ein Geschäft übernehmen. In einigen Segmenten will IBM den Direktvertrieb sogar komplett einstellen (vgl. auch das Interview mit IBM-Manager Nicholas Coutts auf Seite 32).

Vor allem bei mittelständischen Kunden will die IBM ihre Partner ins Boot holen. Aber auch im Großkundengeschäft sollen Spezialisten aus den Reihen der Wiederverkäufer das IBM-Team verstärken. Dabei will sich die IBM vor allem auf die bereits bestehenden Vertriebspartner stützen und deren Stärken ausbauen. Nur wo Lücken sind, sei es regional oder sei es in bezug auf Know-how (wie zum Beispiel gegenwärtig im AIX- beziehungsweise UNIX-Umfeld), sollen weitere dazukommen.

Stellt sich natürlich sofort die Frage nach der Rolle von IBM-Direkt. Hierzu gibt es in den Unterlagen, die IBM an die BPEC-Teilnehmer verteilte, eine klare Aussage: "Die Rolle von IBM Direkt besteht darin, weiterhin aggressiv IBM-Produkte zu verkaufen und Kundenaufträge sowohl für IBM selbst als auch für die Vertriebspartner zu generieren." Holger Reichardt, Generalkbevollmächtigter der IBM in Stuttgart, sieht in dieser Formulierung keinen Widerspruch zu der Generallinie. Zum einen konzentrieren sich nach seinen Angaben die Verkäufe von IBM-Direkt auf Nachbestellungen von bestehenden Kunden, also zum Beispiel eine RAM-Erweiterung oder eine größere Festplatte. Zum anderen haben auch die Telesales-Mitarbeiter bei IBM-Direkt die Aufgabe, die Kunden zu fragen, ob sie bisher von einem Vertriebspartner betreut worden und ob sie mit dessen Leistung zufrieden sind. Falls ja, sollen die IBM-Direktler den Kunden ermutigen, weiterhin die Produkte von seinem Händler zu beziehen und das Lead an den entsprechenden Partner weiterreichen.

IBM-VBs müssen umdenken

Auch die IBM-VBs, die sogenannten "Reps" (für "representatives"), müssen umdenken. Zwar behautptet IBM-Vize Ned Lautenbach, daß mit dem neuen Fokus auf dem Partnergeschäft kein Stellenabbau im eigenen Vertrieb verbunden sei und die IBM-VBs "dieses Konzept begrüßen und sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen". Offensichtlich scheint Lautenbach aber der Ansicht zu sein, daß die IBM-VBs noch an den Weihnachtsmann glauben.

"Der IBM-VB wird nicht überflüssig, aber bekommt eine andere Rolle. Er wird von vielen trivialen Dingen entlastet und kann sich stärker seiner eigentlichen Aufgabe widmen", erklärt IBM-Manager Reichardt. Dabei denkt er an einen Wandel vom Verkäufer zum "Ressourcen-Manager". Dieser neue Typus eines IBM-VBs entscheidet je nach Nachfrageverhalten des Kunden, welche Ressource (Vertriebspartner, IBM Direkt oder klassischer Direktvertrieb) für ihn am geeignetsten ist. Mit einem neuen Provisionssystem will IBM zudem sicherstellen, daß die VBs die Partner mit ins Boot holen. Wobei generell das Verteilen der Leads nicht nach persönlichen Vorlieben erfolgen soll. Die Vertriebspartner werden über eine Datenbank nach bestimmten Kriterien (regionale Lage, Know-how) ausgewählt.

Herausforderung Channel-Management

Das Problem bei diesen Provisionssystemen besteht indes immer darin, daß sie den VBs zwar kurzfristige finanzielle Vorteile bescheren, daß sie sich aber mittel- und langfristig selbst den Ast absägen, auf dem sie sitzen. Oder das zumindest befürchten. "Es gibt mit Sicherheit VBs, die diesen Shift nicht mitmachen werden", ist Reichardt Realist genug, um diese Situation völlig klar zu sehen. "Aber wenn ich davon erfahre, daß einer unserer VBs nicht unserer Strategie gemäß handelt, werde ich ihn persönlich zur Rede stellen", verspricht Reichardt.

Channel-Management ist für die IBM also die wichtigste Aufgabe in der nächsten Zeit. "Natürlich gibt es immer das Risiko von Kanalkonflikten. Es ist unsere Aufgabe, durch ein sauberes Channel-Management dieses Risiko zu minimieren", ist sich Lucio Stanca, General Manager für die Region EMEA der Problematik bewußt. Auch für Reichardt ist "die Harmonie im Markt unheimlich wichtig".

Die Führungsspitze von IBM ist jedenfalls fest entschlossen, diese neue vertriebliche Ausrichtung konsequent umzusetzen. "Dies ist für uns kein Spiel. Es ist ein fundamentaler Wechsel ("big shift") in unserer Strategie", erklärt Ian Bonner, Vice President Worldwide Channel Marketing IBM Software Group. Auch Deutschland-Manager Reichardt betont die Ernsthaftigkeit dieses Programms: "Es ist nicht so, daß hier eine große Ankündigung stattfindet und dann kümmert sich keiner mehr darum."

Übrigens: Im deutschen bedeutet "shift" auch "Ausweg", "Hilfsmittel" oder "Notbehelf". Aber so will die IBM ihren neuen Fokus auf das Partnergeschäft wahrscheinlich nicht verstanden wissen.

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