"Ich warte auf den Anruf von Microsoft"

09.01.2003
Am 20. Januar beginnt Richard Seibt seine Tätigkeit als neuer Vorstandsvorsitzender bei der Suse Linux AG. Mit dem ehemaligen IBM-Spitzenmanager sprach vorab ComputerPartner-Redakteur Ronald Wiltscheck.

Herr Seibt, nach vierjähriger Tätigkeit bei dem Internet-Service-Provider United Internet AG kehren Sie in die Softwarebranche zurück. Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um?

Seibt: Ich bin bis in die Haarspitzen motiviert und freue mich, meine ganze Erfahrung bei Suse einbringen zu können.

Was werden Sie dort ändern?

Seibt: Mein Vorgänger Gerhard Burtscher hatte bei Suse eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen (Sanierung des Unternehmens, Anm. d. Redaktion). Mein Schwerpunkt wird der Channel sein. Mit neuen Programmen werde ich darangehen, beiden Partnern mehr Geschäft zu verschaffen. Auf der anderen Seite werden wir bestimmte Großkunden selbst betreuen. Eine Deutsche Bank erwartet das von uns. Hier müssen wir eine Grenze ziehen - die aber weit zu Gunsten des Channels verschoben wird.

Im Prinzip keine großen Änderungen im indirekten Vertriebskanal ...

Seibt: Das eine oder andere kann man schon verstärken. Bisher hatten wir zwei Abteilungen: eine für Qualified- und eine andere für Business-User. Diese zwei Divisionen werden wir nun in einer gemeinsamen Channel-Sales- und Support-Organisation zusammenfassen, um die Vertriebspartner aus einer Hand zu unterstützen. Das ist sicherlich eine kleine Än-derung mit großem Effekt. Davon getrennt ist dann unsere eigene Enterprise-Kunden-Sales- und Service-Organisation.

Also ist das von Gerhard Burtscher aufgebaute FünfSäulen-Konstrukt nicht mehr gültig?

Seibt: Vier Säulen existieren ja immer noch: die internationale Channel-Organisation, Channel Sales und Service, Enterprise Sales und Service sowie die für Allianzen mit IS/HVs (Independent Software/Hardware Vendors) zuständige Organisation.

Wie wird sich unter Ihrer Führung die United-Linux-Initiative weiterentwickeln?

Seibt: Durch die Vereinheitlichung der vier Linux-Distributionen haben erstmals die Kunden einen Vorteil. Hard- und Softwareanbieter müssen nur noch mit zwei Partnern zusammenarbeiten: Red Hat und United Linux. Insoweit war United Linux keine Initiative, die ausschließlich von Suse ausging. Vor allem die großen ISVs drängten auf eine Vereinheitlichung von Linux, nun müssen sie ihre Software lediglich für zwei Plattformen zertifizieren lassen.

Natürlich hätte auch jeder andere Linux-Anbieter die Initiative ergreifen können, aber zu dem Zeitpunkt, als United Linux aus der Taufe gehoben wurde, hatte nun mal Suse die Nase vorn.

Werden Suse, SCO, Turbolinux und Conectiva irgendwann einmal ganz zusammenkommen?

Seibt: Derzeit finden hierzu keine Gespräche statt, aber jede Organisation entwickelt sich weiter, und was in zwei bis drei Jahren passieren wird, kann keiner vorhersagen. Alle vier Anbieter sind im Linux-Markt tätig, und genauso, wie es vor zehn Jahren Platz gab für PC-Vermarkter wie Vobis, Escom, Comtech und andere, ergeht es derzeit der Linux-Branche. Und ähnlich wie es bei den PC-Ketten zu großen Umwälzungen kam, wird sich auch der Linux-Markt weiterentwickeln. Momentan ist aber nicht der richtige Zeitpunkt, um über Akquisitionen und Merger zu sprechen.

Red Hat behauptet, United Linux käme nur deshalb zu Stande, um weltweit präsent zu sein. Man selbst wäre hingegen bereits überall vertreten.

Seibt: Red Hat geht bei seiner weltweiten Expansion relativ vorsichtig zu Gange. In aller Herren Länder Leute zu schicken, um dort schnell mal den Vertrieb aufzubauen, führt selten zum Erfolg. Dieses Geschäft wird von allen Marktteilnehmern sehr vorsichtig betrieben, auch von uns. Dort, wo wir präsent sein müssen, werden wir auch vor Ort sein. Das wird die Aufgabe unserer internationalen Channel-Organisation sein, hier werden bereits im ersten Quartal dieses Jahres erste Richtungsentscheidungen fallen, ob wir alles mit Partnern machen werden, oder gewisse Kunden doch direkt betreuen.

Mit Adiva, Magirus, Ingram Micro, ISPD und AID ist Suse bereits mit fünf Distributoren liiert. Ist das nicht ein bisschen zu viel des Guten?

Seibt: Derzeit sind wir definitiv nicht überdistribuiert! Wir haben uns für die Zusammenarbeit mit Ingram Micro entschieden, um unseren Endkunden den optimalen Support zu bieten. Mit wachsendem Markt wird auch der Channel sehr zufrieden sein.

Herr Seibt, was werden Sie persönlich als Erstes bei Suse tun?

Seibt: Mit den Partnern sprechen, mit Herrn von Kuenheim von Magirus, mit Herrn Meyer von Adiva und den anderen, um deren Bedürfnisse und Erwartungen an uns zu erfassen.

Welche Ziele verfolgen Sie bei Suse?

Seibt: Zweistelliges Umsatzwachstum ist unbedingt notwendig. Selbstverständlich wollen wir in diesem Jahr profitabel werden und es auch bleiben, neue Märkte erobern und sie auch halten. Die Zeit dafür ist reif.

Wo wollen Sie wachsen, welche neue Märkte möchten Sie erobern?

Seibt: Unter neuen Märkten verstehe ich noch nicht erschlossene geografische Regionen und auch weitere Branchen. Dort möchten wir gemeinsam mit Hardware-Ausstattern und ISVs Komplettpakete zur Verfügung stellen - entweder für eine spezielle Branche in mehreren Ländern oder branchenübergreifend in einem Land. Das Gleiche gilt im Prinzip auch für den Channel - dort werden wir uns entweder auf eine Region oder einen vertikalen Markt, auf den aber dann international, konzentrieren.

Welche Länder wollen Sie zuerst angehen?

Seibt: Großbritannien, Italien, Skandinavien, Frankreich, Benelux, Spanien, und noch im ersten Quartal werden wir unsere außereuropäische Strategie bekannt geben.

Auf welche Branchen werden Sie sich konzentrieren?

Seibt: Auf Behörden und Ämter, Finanzdienstleister, die Automobilbranche und Telekommunikationsunternehmen. Diesen Fokus werden wir vorerst beibehalten. Hier arbeiten wir mit den großen IT-Dienstleistern wie IBM Global Services, HP Consulting, Accenture, EDS Systematics, CSC Ploenzke und anderen Service-Unternehmen, die im Linux-Markt in unterschiedlichen Branchen tätig sind.

Warum gehen Sie nur die vier genannten Branchen an?

Seibt: Dort besteht ein großer Konsolidierungsbedarf, es werden hohe Anforderungen an die Rechenkapazität gestellt, Plattformunabhängigkeit ist gefragt. Total Cost of Ownership (TCO) ist dort bereits seit Jahren ein wichtiges Thema, und das Interesse für Linux am Server bleibt nach wie vor groß. Kunden aus anderen Bran-chen werden wir über unsere Partner mit Lösungen beliefern.

Welche Rolle wird Linux am Desktop spielen?

Seibt: Es gibt natürlich schon entsprechende Referenzkunden, wie etwa die Stadt Schwäbisch Hall, die sowohl ihre Server als auch die Clients auf Linux umgestellt hat. Es funktioniert also, genauso wie es vor 20 Jahren mit OS/2 möglich war. Wenn die Anforderungen, die an eine Desktop-Umgebung gestellt werden, auch mit einem anderen Betriebssystem als Windows erfüllbar sind, und das auch noch zu geringeren Kosten, dann wird man unter Umständen auf bestimmte Funktionen auch leichter verzichten können, etwa auf Spiele.

Der Desktop ist für Linux wichtig, und seine Bedeutung wird zunehmen. Es sollte hier aber kein "religiöser" Kampf zwischen Windows- und Linux-Anhängern entbrennen. Die Unternehmen müssen einfach nüchtern ermitteln, welche Anforderung an die einzelnen PC-Arbeitsplätze anfallen und mit welchen Betriebssystemen sie zu erfüllen sind. Eine Umstellung kann da durchaus von Vorteil sein.

Linux eignet sich also nicht für jeden?

Seibt: Nein, sicherlich nicht für jeden, aber für viele. Auf dem Server genießt Linux sicherlich eine höhere Priorität als auf dem Desktop. Bereits dort sparen Unternehmen Kosten ein. Erst danach sollte man den Desktop-Bereich näher unter die Lupe nehmen und die Anwender kategorisieren. Manche könnten sicherlich an einem Linux-Client arbeiten, wohingegen der Excel-Power-User, der dauernd mit mehrdimensionalen Spread-Sheets hantiert, sicherlich bei Windows bleiben wird.

Ende des vergangenen Jahres tauchten erste Gerüchte auf, Microsoft würde bereits 2004 mit ersten Linux-Server-Produkten auf den Markt kommen. Aus der Redmonder Zentrale wurde dies umgehend dementiert.

Seibt: Das wird eine rein wirtschaftliche Entscheidung sein. Wenn die Vorhersagen der Marktforscher tatsächlich eintreten und Linux schon in zwei bis drei Jahren im Serverbereich einen Anteil von 50 Prozent erzielen wird, dann bin ich davon überzeugt, dass Microsoft bereits 2004 erste Produkte für Linux zur Verfügung stellen wird. Ich warte schon auf den Anruf aus Redmond, ob wir ihnen dabei helfen können.

Glauben Sie tatsächlich daran?

Seibt: Ich selbst habe Jürgen Gallmann (seit zwei Monaten Microsoft-Geschäftsführer, Anm. d. Red.) damals bei IBM eingestellt, ich kenne ihn sehr gut und werde ihm helfen, im Linux-Markt erfolgreich zu sein. Herr Gallmann hat seinen Glauben an Open Source sicherlich nicht verloren. Seine Berufung zum Deutschlandchef ist bereits ein Zeichen dafür, dass bei Microsoft eine neue Position vorbereitet wird. Gallmann steht für offene Systeme ....

Und Sie sind der festen Überzeugung, Gallmann verfüge über genug Einfluss in der Redmonder Konzernzentrale?

Seibt: Das ist eine gute Frage. Gallmanns Einfluss geht weit über Deutschland hinaus, er ist ja für den gesamten EMEA-Raum (Europa, Mittlerer Osten und Afrika) verantwortlich. Er ist sehr durchsetzungsstark. Und ich glaube, er wird schon vor seinem Antritt bei Microsoft geklärt haben, wie weit seine Entscheidungsbefugnisse gehen.

Microsoft kann es sich einfach nicht leisten, große Märkte wie Linux außer Acht zu lassen. Allein die Shareholder werden so etwas nicht zulassen. Derzeit ist es nur ein Zeichen der Unsicherheit, wenn Microsofts Vertriebsmitarbeiter in den einzelnen Ländergesellschaften etwas anderes behaupten. In diesem Licht ist auch die im vergangenen Monat von Microsoft in Auftrag gegebene Studie zu sehen, der zufolge Windows doch billiger im Unterhalt sein soll als Linux. Das alles fällt letztendlich auf den Auftraggeber zurück.

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