Im Windschatten: Deutsche Softwarefirmen wagen die Konfrontation mit US-Kontrahenten

11.07.1997
MÜNCHEN: Trotz einer zuverlässigen Dienstleistungspolitik und der soliden Qualität von deutschen Softwareprodukten laufen US-Firmen den Softwarehäusern hierzulande immer noch den Rang ab. Während es amerikanischen Anbietern nicht schwerfällt, durchschnittliche Software mittels ausgefeilter Marktingstrategien zum Kassenschlager zu machen, beginnen deutsche Anbieter erst allmählich, sich ein Image aufzubauen. Doch immer mehr aggressive Newcomer drängen auf den Markt.Das Spiel lief nicht in seinem Sinn, aber als Jurymitglied durfte Richard Roy sich seinen Ärger nicht anmerken lassen. Mit ausdrucks-losem Gesicht stand der neue Geschäftsführer der Microsoft Deutschland GmbH da, als das Massenblatt ,,Computer Bild" seine Trophäe ,,Der goldene Computer 97" in der Kategorie Software ausgerechnet der Hamburger Star Division GmbH verlieh - ein ähnlicher Affront, als hätte ,,Auto-Bild" vor den Augen von Ferdinand Piech den Nissan Sunny zum Auto des Jahres gekürt.

MÜNCHEN: Trotz einer zuverlässigen Dienstleistungspolitik und der soliden Qualität von deutschen Softwareprodukten laufen US-Firmen den Softwarehäusern hierzulande immer noch den Rang ab. Während es amerikanischen Anbietern nicht schwerfällt, durchschnittliche Software mittels ausgefeilter Marktingstrategien zum Kassenschlager zu machen, beginnen deutsche Anbieter erst allmählich, sich ein Image aufzubauen. Doch immer mehr aggressive Newcomer drängen auf den Markt.Das Spiel lief nicht in seinem Sinn, aber als Jurymitglied durfte Richard Roy sich seinen Ärger nicht anmerken lassen. Mit ausdrucks-losem Gesicht stand der neue Geschäftsführer der Microsoft Deutschland GmbH da, als das Massenblatt ,,Computer Bild" seine Trophäe ,,Der goldene Computer 97" in der Kategorie Software ausgerechnet der Hamburger Star Division GmbH verlieh - ein ähnlicher Affront, als hätte ,,Auto-Bild" vor den Augen von Ferdinand Piech den Nissan Sunny zum Auto des Jahres gekürt.

Den Sieg seiner Bürosoftware ,,Staroffice 4.0" über die deutlich teurere, ebenfalls im Frühjahr eingeführte Microsoft Konkurrenz "Office 97" ist für Star-Gründer Marco Börries unbezahlbar. So verschafft die Auszeichnung, die er vor allem den Lesern der Springerschen PC-Postille - Auflage: 700000 - verdankt, nicht nur der Werbung für sein Allround-Büroprogramm zusätzliche Glaubwürdigkeit. Mit einer Chuzpe, wie sie die Branche sonst eher vom Redmonder Riesen Microsoft gewohnt ist, schlachtet der 28jährige Unternehmer von der Waterkant sogar Roys Jurorentätigkeit zu Marketingzwecken aus.

Fürchten muß sich Microsoft-Boß Bill Gates freilich noch lange nicht vor dem frechen Aufsteiger aus Deutschland. Zwar hält Börries hierzulande mittlerweile ein gutes Viertel dieses weltweit von Microsoft beherrschten Marktsegments. Doch in den USA vermeidet er den direkten Kampf mit dem Platzhirsch und beschränkt sich auf eine Kooperation mit Network Computer Inc., einer Tochter von Oracle.

Mit neu gestärktem Selbstvertrauen

Die Scheu vor dem größten, aber auch härtesten Absatzmarkt der Welt hat Tradition bei deutschen Softwareschreibern, deren Selbstverständnis lange das von Elite-Dienstleistern war. Als sich Ende der achtziger Jahre endlich auch hierzulande das Konzept von Computerprogrammen als Massenkonfektion durchsetzte, hatten US-Firmen wie Microsoft, Lotus, Oracle und Computer Associates mit ihren Produkten längst alle strategisch wichtigen Positionen besetzt. Lediglich die Darmstädter Software AG hatte damals in den USA Erfolge - mit Hilfe einer Schwesterfirma, deren amerikanisches Management bei der Kundschaft lieber nicht damit hausieren ging, daß ein deutsches Unternehmen dahintersteckte.

1988 schaffte dann die Walldorfer SAP AG den Sprung über den Atlantik. Zuvor hatte das Gründerteam um Dietmar Hopp und Hasso Plattner 16 Jahre lang fast ausschließlich den deutschsprachigen Raum beackert. So verschämt geht die neue Generation der deutschen Softwarehäuser nicht mehr zu Werke. Der ungeahnte Exporterfolg von SAP - Auslandsumsatz 1996 über 75 Prozent - und 15 Jahre leidvoller Erfahrung mit fehlerhafter Software aus den USA haben das Selbstbewußtsein der deutschen Informatiker gestärkt. ,,Was Produkte und Dienstleistungen angeht", resurniert der Schwarzwälder Softwareunternehmer Ulrich Dietz, ,,müssen wir uns nicht verstecken." Sein Dortmunder Branchenkollege Winfried Materna, der sich über die ,,naive Amerikagläubigkeit" auf dem deutschen Markt wundert, setzt noch eins drauf: ,,Wenn wir solche Qualität abliefern würden wie Microsoft, wären wir schon längst vom Markt verschwunden."

Es fehlt an Brands

Den deutschen Softwerkern wird zunehmend klar, worin ihr Handicap wirklich liegt: Sie haben sich nie darum gekümmert, ein Image aufzubauen. Selbst mit den besten Produkten sehen sie alt aus gegenüber US-Konzernen, die unschlagbar darin sind, auch durchschnittliche Software mit Weltklassemarketing zum Renner zu machen.

Wenigstens im Geschäftskundensegment tun sich deutsche Anbieter inzwischen etwas leichter, weil der exzellente Ruf des Walldorfer Konzerns auf sie abfärbt. So gesteht Eberhard Färber, Chef der Ixos Software AG in Grasbrunn bei München, an dessen Firma die SAP mit zehn Prozent beteiligt ist, daß er ,,bewußt im Windschatten" des großen Bruders auf den US-Markt gezogen sei. Dennoch sei das Entree ins gelobte Land um ein Mehrfaches teurer geworden als erwartet.

Entwickler kriegt einen, Marketingleiter zwei Dollar

Der Rest der Branche - vom Saarbrücker SAP-Partner IDS Prof. Scheer einmal abgesehen - muß sich ohne Promi-Bonus einen Namen machen. Und umlernen. Für deutsche Ingenieure, die darauf gedrillt sind, alle verfügbaren Ressourcen in saubere technische Lösungen zu stecken, ist es eine Art Kulturschock: Für jeden Dollar, den der US-Entwickler ausgeben darf, erhält nach gängiger Faustregel der Marketingleiter zwei; eine schnelle Markteinführung hat im Zweifelsfall Vorrang vor einem ausgereiften Produkt.

Marktnischen werden zusehens ausgefüllt

Gleichwohl riskieren immer mehr Newcomer den Sprung ins kalte Wasser, häufig mit Hilfe von Venture Capital Gebern. Den Drang auf den Weltmarkt zeigen vor allem Unternehmen, die erst in den letzten zehn Jahren auf den Markt gekommen sind. Meist operieren sie in Marktnischen, die schnell zu eng würden, wenn sie sich auf Deutschland beschränkten. ,,Wenn man den Ehrgeiz hat, ein Softwareprodukt zu entwickeln, muß man es als Weltprodukt anlegen", rät Eberhard Färber, der zusammen mit seinem Gründerpartner Hans Strack-Zimmermann binnen drei Jahren den Export von 3 auf 50 Prozent steigern konnte.

In etlichen Nischen eifern agile deutsche Softwerker den Münchnern nach:

- Der Böblinger Senkrechtstarter Brokat, 1994 gegründet von einem Team um den Ex-McKinsey-Berater Boris Anderer, konzentriert sich auf Sicherheitssoftware für den globalen elektronischen Zahlungsverkehr;

- die ähnlich junge Jenaer Firma Intershop versetzt mit einer schlüsselfertigen Software Händler und Industriebetriebe in die Lage, im Internet virtuelle Läden oder ganze Einkaufszentren zu eröffnen. Dort können die Verbraucher per Mausklick ihren elektronischen Warenkorb füllen. Wem diese Art von Kundenbindung zu banal ist, der kann mit der Technik von Blaxxun, München, im WWW Gemeinschaften gründen (Internet Communities), in denen sich jeder reale Mensch durch seinen Avatar (ein ,,phantastisches Alter Ego") vertreten läßt; die Rollenspiele, in deren Mittelpunkt ein Produkt oder eine Symbolfigur des Herstellers stehen kann, sollen die Loyalität zur Marke stärken.

- Ulrich Dietz' GVF Informationssysteme mbH in St. Georgen im Schwarzwald greift mit einer Software für die automatisierte Erstellung kaufmännischer Berichte den Marktführer Seagate Software an;

- Dr. Materna floriert im Biotop der Telekommunikationsbranche, unter anderem entwickelt das Dortmunder Unternehmen Software für bestimmte Nokia Handys.

- Die Gründer von Onestone in Paderborn machten aus der Not des Groupware-Programms Notes eine Tugend: War es mit dieser Software der IBM-Tochter Lotus nur möglich, Mitarbeiter an beliebigen Standorten in informellen Arbeitsgruppen zu bündeln, bringt die westfälische Prozeßsoftware klare Strukturen in dieses Tele-Teamwork. Mit geringem Aufwand kann der idealtypische Arbeitsablauf digital abgebildet werden Nicht zuletzt versorgt die 115-Millionen-Mark-Firma

- Nemetschek AG europaweit Architekten mit virtuellen Reißbrettern Der Betrieb des Münchner Professors Georg Nemetschek gilt als Marktnischenführer bei CAD- (Co mputer-Aided-Design-) Programmen für Häuslezeichner.

Marktzugangsstrategien bleiben individuell

Patentrezepte für den Einstieg in den Export sind jedoch immer noch knapp, denn die Unternehmen sind so verschieden wie ihre Zielgruppen. Sie haben kaum mehr miteinander gemein, als daß sie Software verkaufen. Konstruktives Trittbrettfahren bei einem großen Partner sei jedenfalls unvermeidlich, meint Branchenchronist Thomas Lünendonk, Inhaber der gleichnamigen Unternehmensberatung, denn allein geht nichts.

Intershop-Chef Stephan Schamhach verpflanzte formal sein ganzes Unternehmen in die USA, um sich zusätzliches Geld auf dem US-Kapitalmarkt zu beschaffen. Der renommierte Hotelsoftwarespezialist Fidelio schlüpfte bei der US-Firma Micros unter. Auch für die Multimedia-Pioniere Spea und Miro war dieser Weg die einzige Chance: Sie konnten nur durch Anschluß an größere Wettbewerber aus dem Ausland überleben.

Blickpunkt Silicon Valley

Ausverkauf der deutschen Softwareperlen befürchten Kenner der Szene allerdings nicht. Der Standort Deutschland profitiert derzeit vom Personalmangel im Silicon Valley. Der dortige Markt ist so überhitzt, daß selbst mittelmäßige Programmierer Spitzengagen durchsetzen; die durch Gehaltspoker bedingte Fluktuation ist so hoch, daß die Einarbeitung immer neuer Mitarbeiter auf Qualität und Produktivität drückt. Damit steigt die Chance deutscher Softwareunternehmen, sich mit solider Qualität ein gutes Image zu verschaffen.

Weil das Silicon Valley aber nach wie vor der Dreh- und Angelpunkt der Branche ist, bemühen sich auch die Deutschen um Präsenz in Kalifornien was nicht heißen muß, sich mit ansässigen Konkurrenten um sündhaft teure Spezialisten zu raufen. In der Ixos-Niederlassung in San Mateo beschäftigt Mitbegründer und Leiter der US-Dependance Hans Strack-Zimmermann ein ganzes Team, das er aus Bayern hat einfliegen lassen. Die einzigartige Umgebung dort sorge dafür, daß die deutschen Gastarbeiter motivierter und produktiver seien als daheim, freut sich Ixos-Chef Färber. Ulf J. Froitzheim.

Dieser Beitrag erschien erstmalig in der Zeitschrift Wirtschaftswoche, Ausgabe 44/97.

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