Internet-Buchhandel bei Libri: Indirekter Online-Vertrieb

20.02.1998

MÜNCHEN: Internet und E-Commerce gelten landauf, landab als prädestinierte Lösungen für den Direktvertrieb. Mit einfachen Mitteln kommt der Hersteller direkt an seine Endkunden, kann ihnen Produkte zu günstigeren Preisen verscherbeln, da er ja die Handelsmarge spart. Allerdings: Wer direkt vertreiben will, benötigt eine gigantische Vertriebslogistik. Wer das nicht will, bindet - wie der Buchgrossist Libri - die Fachhandelspartner mit ein.Etablierte Unternehmen werden so schnell nicht zu Direktversendern. Sie haben die Pufferfunktion des Handels kennen und schätzen gelernt und wollen sie nicht mehr missen. Freilich: Großkunden nimmt man schnell ins eigene Visier, denn mit Volumenaufträgen läßt sich die nötige Logistik und Akquise bezahlen, doch der Weg in die Märkte geht auch online über den Handel.

Einzig sogenannte Start-up-Companies, also Kleinstfirmen, die aus der eigenen Garage heraus Produkte verschicken, tauchen als neue Herausforderer des Handels auf. Und das nicht zu knapp: Vor allem Güter bekannter Qualität, sogenannte "Comodity Goods", deren wesentliche Verkaufsparameter in der schnellen Verfügbarkeit und im Preis liegen, eignen sich für den Garagenverkauf, allen voran Bücher und CDs.

Amazon heißt der weltgrößte Online-Buchhandel, der seinen Kunden verspricht, innerhalb von einer Woche auch nach Europa zu liefern. Insbesondere ausländische Bücher, die nicht der deutschen Preisbindung im Buchhandel unterliegen, lassen sich dort günstig einkaufen.

Der ABC Bücherdienst ist das deutschsprachige Pendant. Auf dessen Internet-Adresse www.telebuch.de wird so viel Umsatz generiert, daß man sich Anfang des Jahres kurzerhand dazu entschloß, die Versandkosten nicht mehr an den Endkunden weiterzugeben. Damit kosten deutsche Titel exakt soviel wie im Buchhandel, aber sie werden an die Haustür geliefert.

Libri im Zugzwang

Der etablierte Buchhandel gerät durch diese Konkurrenz stark unter Druck. Wer vor dem Einkauf weiß, welchen Buchtitel er erwerben möchte, der benötigt kein spezielles Kauferlebnis mehr. Und wer Song-Beispiele der neuen Genesis-CD im Internet zu hören bekommt, den interessiert letztlich kaum mehr, woher er die CD bezieht. Hauptsache, sie ist billig.

Auch andere, gänzlich branchenfremde Herausforderer treten plötzlich mit recht guten Voraussetzungen auf den Plan. Der Spiegel mit seiner bedeutenden Bestsellerliste verfügt über die inhaltliche Kompetenz einer Kaufempfehlung und koppelt diese in Zusammenarbeit mit einem Versender namens Pressezentrum Lübeck zu geballter Marktmacht.

Für einen Buchhändler allein ist es ziemlich mühsam und kostspielig, dieser Konkurrenz die Stirn zu bieten. Das Archivieren und Pflegen großer, ständig wechselnder Bestände, die Betreuung einer leistungsfähigen Web-Site und der logistische Spagat können nur die Großen der Branche bewältigen.

Zu diesen Großen zählt Libri, die Georg Lingenbrink GmbH & Co., mit rund 3.500 Kunden in Deutschland, der Schweiz, Luxemburg, Italien und den Niederlanden. Libri ist Großhändler für Bücher, CD-ROMs und Videos und führt ständig etwa 300.000 Titel auf Lager.

In seiner Eigenschaft als Großhändler ist Libri dem klassischen Buchhandel verpflichtet. Das 1928 gegründete Unternehmen macht über diesen Vertriebszweig einen Jahresumsatz von rund einer halben Milliarde Mark. Aber die Bedrohung durch billige Direktversender mit Heimat World Wide Web steht vor der Tür, das hat auch Libri erkannt. In Zusammenarbeit mit der Hamburger Agentur Sinner + Schrader entwickelte Libri in nur einem halben Jahr ein Online-Shopping-System, das den Buchhandel perfekt in den Verkaufsprozeß integriert. Einschlägige Vorteile des Computer-Mediums Internet, wie Bestellkomfort, Datenbank-Recherche, Bereitstellung von Bildern und Leseproben, sowie eine handelsähnliche Beratung über mit dem Produkt verknüpfte Rezensionen und Fachartikel nutzt das Online-Angebot von Libri voll aus.

Das Lösungsszenario

Wer die Adresse http://www.libri.de in seinen Browser eingibt, gelangt zur Eingangsseite des Shops. Ständig präsentiert dort das Angebot neue Highlights und Feature-Story. Damit soll der Benutzer zum wiederholten Vorbeischauen eingeladen werden. Libri online versteht sich nicht als interaktive Titel-Datenbank mit Kaufoption, vielmehr will man einen realen Buchladen abbilden und mit den Möglichkeiten des elektronischen Mediums gewinnbringend verknüpfen. Und das Wesen eines Buchladens liegt natürlich nicht nur in der gezielten Auswahl vorher festgelegter Werke, sondern eben auch im vergleichsweise ziellosen Stöbern.

Eine intelligente Datenbank, die einem ausgewählten Angebot vergleichbare und artverwandte Titel via Link zuordnet, soll den Benutzer dazu animieren, mehr zu finden, als er eigentlich gesucht hatte. Zu diesem Zweck setzen Sinner + Schrader auch modernste Agenten-Technologie ein, das heißt, der Benutzer kann ein Profil seiner Interessen zusammenstellen, und eine Art elektronischer Butler sucht für ihn immer wieder passende Angebote.

Insgesamt umfaßt die Datenbank eine Million Titel und mehrere 100.000 Cover-Abbildungen sowie Rezensionstexte. Jeden Tag kommen weitere Titel hinzu.

Die Homepage von Libri war vom Start weg allerdings nur bedingt erfolgreich. 1.000 Hits am Tag, noch bevor die Site beworben wurde, sind für die Dimension des Angebots ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Anbindung des Handels

Will der Benutzer online bestellen, dann muß er sich zunächst bei Libri registrieren. Diese umständliche Prozedur scheint geboten, weil Libri den Gebietsschutz der Händler erhalten möchte. Der User muß sich bei dieser Registrierung auf einen Ort festlegen und kann dann auch nur beim ortsansässigen Buchhändler bestellen.

Hintergrund dieser komplizierten Vorgehensweise, die sicher eine Menge Benutzer verprellt, ist die Tatsache, daß jeder Händler selbst dafür verantwortlich ist, welche Zahlungs- und Lieferungsmodalitäten er anbietet. Das fängt beim Selbstabholer mit Barzahlung an und geht bis zum Einsatz von E-Cash-Systemen. Auch die Preise kann der Händler frei bestimmen, solange es sich nicht um Bücher handelt, die der Preisbindung unterliegen. Würde Libri-Online den Gebietsschutz nicht auch im Internet aufrecht erhalten, so bekäme der Kunde die zehn nächsten Buchhändler auf dem Präsentierteller serviert und könnte sie wunderbar gegeneinander ausspielen.

Neben der Einbindung in das Libri-System erhält der Händler seine eigene Homepage zur freien Verfügung und kann seinen Kundenstamm von der Agentur einpflegen lassen, so dieser elektronisch erreichbar ist. Ist eine Bestellung getätigt, so fließt die Information in zweierlei Richtung: Zum einen erfährt der Händler davon und kann die Fakturierung vorbereiten, zum andere geht die Bestellung direkt in das zentrale Warenwirtschaftssystem Libris ein und wird zur Auslieferung umgesetzt. Der Händler weiß, daß das soeben online bestellte Buch bereits zu ihm unterwegs ist. Insgesamt nutzen derzeit 120 Buchändler dieses System.

Mittelfristig hat Libri hochtrabende Ziele. Zehn Millionen Mark Umsatz bei 200 teilnehmenden Mandanten heißt der erste Benchmark. Viel wird davon abhängen, wie komfortabel die Händler das Angebot weiterreichen. Wahrscheinlich läuft es auf Home Delivery hinaus, oder man macht es möglich, daß die Bücher auch außerhalb der Geschäftszeiten abzuholen sind - etwa in Schließfächern bei Tankstellen.

Als nächstes plant Sinner + Schrader die Anbindung an Online-Transaktionssysteme. Damit ist vor allem die sichere Verschlüsselung von Kreditkartendaten, aber auch die Möglichkeit zur Bezahlung per Smart Card gemeint. Langfristig will man aus http: //www.libri.de sogar digitale Produkte zum Kauf und Download anbieten - doch das ist Zukunftsmusik.

Benutzerregistrierung bei Libri-Online: Diese - etwas umständliche -

Prozedur soll den Gebietsschutz der Händler erhalten

Die Libri-Homepage: Ständig neue Highlights und aktuelle Angebote sollen den Benutzer zu wiederholten Besuchen anregen.

*Frank Puscher. Der Autor ist freier Journalist in München.

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