Internet: Der Distributor ohne Ware

02.02.1996
MÜNCHEN: Großhändler aller Coleur lassen ihre Marketing- und Vertriebsmaschinen auf Volltour laufen, wenn es darum geht, die Aufmerksamkeit der Händlerschaft zu erheischen.Seit die Großhändler ihre Informations-Schleusen immer weiter öffnen, um die Kundschaft mit unzähligen Produktangeboten und sensationellen Preisofferten zu beglücken, ergießt sich eine wahre Flut von Flyern, Prospekten, Katalogen, CD-ROMs und Faxmitteilungen auf die Ladentheken der Wiederverkäufer. Den überquellenden Papierkörben zum Trotz, rackern sich hochgezüchtete Telesalesgeschwader der Distributoren unermüdlich damit ab, die Einkäufer der Handelshäuser an die Strippe zu bekommen. Jetzt droht eine weitere Info-Welle auf den Händler zuzurollen: Immer mehr Distributoren glauben, im Kommunikationskanal Internet neue Absatzchancen zu wittern. Seit Jahresbeginn auch mit einem europäischen Angebot im World Wide Web (WWW) vertreten, erhofft sich das amerikanische Unternehmen Dynabit mit seinem Online-Distributionssystem Trade'ex möglichst viele Treffer auf seiner Homepage.

MÜNCHEN: Großhändler aller Coleur lassen ihre Marketing- und Vertriebsmaschinen auf Volltour laufen, wenn es darum geht, die Aufmerksamkeit der Händlerschaft zu erheischen.Seit die Großhändler ihre Informations-Schleusen immer weiter öffnen, um die Kundschaft mit unzähligen Produktangeboten und sensationellen Preisofferten zu beglücken, ergießt sich eine wahre Flut von Flyern, Prospekten, Katalogen, CD-ROMs und Faxmitteilungen auf die Ladentheken der Wiederverkäufer. Den überquellenden Papierkörben zum Trotz, rackern sich hochgezüchtete Telesalesgeschwader der Distributoren unermüdlich damit ab, die Einkäufer der Handelshäuser an die Strippe zu bekommen. Jetzt droht eine weitere Info-Welle auf den Händler zuzurollen: Immer mehr Distributoren glauben, im Kommunikationskanal Internet neue Absatzchancen zu wittern. Seit Jahresbeginn auch mit einem europäischen Angebot im World Wide Web (WWW) vertreten, erhofft sich das amerikanische Unternehmen Dynabit mit seinem Online-Distributionssystem Trade'ex möglichst viele Treffer auf seiner Homepage.

Erfinder, Firmengründer und Oberhaupt von Dynabit, Daniel S. Aergerter, suchte bei einschlägigen Veranstaltungen, auf denen sich amerikanische Jungunternehmer und Start-Up-Companys präsentieren, einen Partner, der seine Idee, EDV-Produkte weltweit über das Internet zu distribuieren, aufnimmt und auf europäische Verhältnisse abstimmt. Fündig wurde er mit Dieter Kondek, einem nicht ganz unbekannten Gesicht in der deutschen und europäischen Distributionslandschaft. Kondek stand über sechs Jahre auf der Gehaltsliste des Münchener Distributors Computer 2000. Zunächst als Geschäftsführer der C 2000 GmbH, später als Marketingverantwortlicher Europa für die C 2000 AG. Nach einem kurzen Intermezzo bei Linotype Hell, steht heute auf seiner Visitenkarte der Titel "Vice President Europe" der Trade'ex Europe mit Sitz in Hamburg nachzulesen. Seit September letzten Jahres nutzt Kondek seine nach wie vor fleißig gehegten Geschäftsverbindungen, um Anbieter in das weltweite Datennetz zu bugsieren, damit die Händlerschaft nunmehr einen virtuellen Einkaufskorb schwingen kann.

Als Distributor im klassischen Sinne will sich Kondek jedoch nicht verstanden wissen. "Wir sind eine Mischung aus Warenwirtschaftssystem, Produktbörse und Kreditkartenunternehmen" gibt Kondek zu verstehen. Tatsächlich ist Trade'ex im Grunde genommen nichts anderes als eine Plattform, die Angebote von Großhändlern und Herstellern aus aller Herren Länder in elektronischer Form feilhält, welche zentral auf einem in Florida stehenden Server abgelegt werden. Mittels einer kostenlosen Client-Software (Macintosh und Windows), die per FTP über die Informations-Homepage von Trade'ex abgerufen werden kann (http://www.tradeex.com), wird eine Verbindung zu besagtem DEC-Alpha-Server aufgebaut (Ein Demo-Modus ohne Bestelloption ist möglich). Dort kann der interessierte Händler derzeit aus etwa 6.000 Artikeln auswählen. Umfangreiche Suchmöglichkeiten nach Produktkategorien, Hersteller, Billigstpreisen, Ersatzprodukten oder Verfügbarkeit sollen seinen elektronischen Einkaufsbummel hierbei versüßen. Neben einigen Distributionsgrößen des amerikanischen Marktes, wie Merisel, Ingram Micro oder Techdata, sind es vor allem eine Vielzahl von Klein- und Kleinstanbietern, die im Trade'ex ihre zunächst "unwirkliche" Ware andienen. Aber auch Hersteller, die sich nach wie vor auf dem Terrain des Direktverkaufs bewegen oder jene, die Überhänge, Ladenhüter und OEM-Ware abstoßen wollen, geben sich ein Stelldichein. So kann es dem leidenschaftlichen Schnäppchenjäger passieren, daß er in seiner elektronischen Einkaufstüte Festplatten aus Mexiko, zugehörige Controller aus Schweden und passende Gehäuse aus den entlegensten Winkeln Koreas wiederfindet.

Auffallend sind die teilweise ellenlangen, meist aber sehr ausführlichen Beschreibungen der Produkte, die auf Wunsch grafisch augepeppt, über den Bildschirm des Bestellers zappeln. "Am liebsten hätten wir natürlich einen EDI-Link zu den Anbietern, um sämtliche Informationen reibungslos in das System einfließen zu lassen", kommentiert Kondek, "aber zur Zeit herrscht bei denen das reine Informations-Chaos und hinterwäldlerisches Gebaren, was die elektronische Verfügbarkeit von Produktdaten anbelangt." Solange dieser Informationstunnel zu den Anbietern noch nicht gegraben ist, hackt eine Heerschar von Studenten die ihrer Meinung nach für den Handel erachtenswerten Facts in die elektronischen Data-Sheets.

Für Kondek ist diese Problematik jedoch momentan nur ein Nebenkriegsschauplatz. Viel dringender für ihn ist es, schnellstmöglich jede Menge Distributoren aus der europäischen Szene unter Vertrag zu nehmen, denn nur dann wirft Trade'ex Europe Profit ab. Zudem ist Kondek sich darüber im klaren, daß es nicht jedermanns Sache ist, CD-ROM-Laufwerke in Südafrika zu bestellen, nur weil er eben mal ein paar Mark sparen kann. "Es ist zwar grundsätzlich überhaupt kein Problem bei einem weit entfernten Anbieter zu ordern, da der Händler noch vor der Bestellung alle anfallenden Kosten inklusive Zoll und Fracht angezeigt bekommt und ein Abkommen mit UPS für die Erledigung aller Formalitäten und eine weltweite Zustellung sorgt, aber schneller geht es natürlich, wenn er beispielsweise bei einem französischen Anbieter fündig wird", erklärt der Europa-Chef.

Deswegen zieht Kondek wie ein Wanderprediger durch die Lande, in der Hoffnung, die "Global Player in spe" von seinem Konzept zu überzeugen. "Bei den deutschen Töchtern der amerikanischen Großanbieter Merisel und Ingram Micro sähe er keine Probleme, denn hier hofft er auf den mütterlichen Wink mit dem Zaunpfahl aus Übersee, um eventuell bockige Zöglinge zum Gang ins WWW zu bewegen. Auch beim Rest der hiesigen Grossistenschar glaubt Kondek zum gerngesehenen Geschäftspartner zu avancieren. "Als ich meine ehemaligen Kollegen erstmals mit meiner Idee konfrontiert habe, waren die zunächst alle geschockt. Beim ersten Hinsehen hatten die natürlich alle Angst, sie könnten sodann ihre teilweise selbstgestrickten elektronischen Bestellsysteme einstampfen oder aber sie hatten Aversionen gegen die dort vorherrschende Transparenz der Preise. Aber auf den zweiten Blick überwiegen dann doch die Vorteile", will der Distributionsexperte wissen. Kondeks verbaler Salzstreuer versucht mit wohldosierten Prisen sein Süppchen "Distribution ê la Internet" der Anbieterschaft schmackhaft zu machen. So weiß Kondek beispielsweise aus seinen Zeiten als C 2000-Manager zu berichten, daß nur ein Teil der Händler vom Münchener Distributor autorisiert wurden. Bei Gelegenheitsbestellern oder Kunden, die unter einem definierten Einkaufsvolumen lagen, wurde auf einen Eintrag in die Adreßdatenbank generell verzichtet. Nur etwa 5.500 "heiße Kunden" hätten sich in den Adressenfiles wiedergefunden, die regelmäßig Post aus der Isarmetropole erhalten haben.

"Da aber jeder weiß, daß weitaus mehr Händler in Deutschland existieren, ergibt sich somit für jeden Distributor eine einfache, zusätzliche Gelegenheit, um diese Kunden zu erreichen - ja mehr noch - er ist jetzt sogar in Ländern mit seinen Produkten vertreten, von denen er früher nur geträumt hat. Und bei den Preisen, die wir in Deutschland vorfinden, brauchen wir uns vor der internationalen Konkurrenz nicht zu verstecken" so Kondek schwärmerisch. "Wenn einer sagt, er möchte seine Angebote nur in bestimmten Ländern plazieren, dann ist das auch kein Problem, denn un-sere Software erlaubt auch diese Option."

Spätestens aber wenn der geldliche Aspekt bei den Verhandlungen mit seinen potentiellen Vertragspartnern zur Rede kommt und Kondek seinem Gegenüber die prompte Begleichung der Händlerschuld, abzüglich einiger Prozentpunkte auf das Trade'ex-Konto, garantiert, glaubt sich der Hanseate eines Zuspruchs sicher. "Jeder der Anbieter bei uns hat nur eine Adresse, an die er seine Rechnung schickt - und das sind wir," erklärt Kondek. Der Trade'ex-Boss geht davon aus, daß er im laufenden Jahr "zwei der Großen" in Deutschland und europaweit 100 bis 150 kleinere Großhändler unter seine Fittiche genommen hat. Nicht die Quantität der Anbieter sei entscheidend, sondern die Qualität erklärt Kondek die Strategie. Es würde nunmal keinen Sinn machen, in einem Überangebot von Produkten erschlagen zu werden, sondern vielmehr seien nach wie vor neben dem Preis Zuverlässigkeit und gute Logistik wichtiges Kriterium an die Einkaufsquelle des Händlers, versichert Kondek. "Wenn sich beispielsweise auf meinem Schreibtisch Beschwerden häufen, daß ein bestimmter Anbieter nicht liefern kann, obwohl er die Verfügbarkeit der Produkte im Trade'ex publiziert, dann fliegt er raus", unterstreicht Kondek seine Absicht, ein System zu etablieren, das von Scheinangeboten und unseriösen Anbietern verschont bleiben soll.

Händler, die im Trade'ex shoppen gehen wollen, müssen aber auch hier wie andernorts die bekannte Hürde der Autorisierung nehmen. Diese fällt aber nicht sehr hoch aus. "Ein Gewerbenachweis ist nicht unbedingt erforderlich, es genügt, wenn er uns beispielsweise mittels eines Anzei-genauschnitts nachweist, daß er in irgendeiner Form Wiederverkäufer ist", erklärt Kondek. Ein leichtes Spiel also. Nach üblicher Manier kann der demnach "nachgewiesene" Händler nach erfolgter Bonitätsüberprüfung seitens Trade'ex die Luft des weltweiten Handelsverkehrs per Modem in die Rechnerlungen pumpen und erhält nach Erreichen eines noch zu definierenden Einkaufsvolumens vom Betreiber das Zuckerl eines eigenen Kontos mit verlängertem Zahlungsziel und "angemessenem Kreditrahmen".

Bezahlt wird die bestellte Ware per Kreditkarte oder "wer eben länger auf seine Ware warten will" (O-Ton Kondek), kann dies auch mit einer Banküberweisung erledigen. Jegliche Debatten um vermeintliche Sicherheitslücken bei Kreditkartenaktionen über das WWW scheinen spurlos an Kondek vorüberzugehen. "Uns ist kein einziger Fall bekannt, bei dem eine Transaktion nachträglich manipuliert worden wäre und alleine die Tatsache, daß etwa 60 Prozent aller Trade'ex-Einkäufer ihre Kreditkartennummer in das elektronische Bestellformular eintippen, spiegelt das Vertrauen der Kunden in diese Zahlungsweise wider", glaubt Kondek zu wissen. Trotz der gewaltigen Zahl an Internet-Teinehmern bleibt Kondek, was den Zustrom anbelangt, eher konservativ. Etwa 1.000 datenreisende Händler aus den europäischen Gefilden sollen nach seinem Dafürhalten im Laufe dieses Jahres am Einkaufsbummel "der neuen Dimension" in Verzückung geraten.

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