Internet-Provider-Aktien: Größe der Anbieter ist wichtiger als Ertrag

07.06.2000
Die Aktien der einst hochgelobten Internet-Provider haben schwer Federn gelassen. Der gnadenlose Wettbewerb drückt auf die Ertragslage. Andere Argumente sprechen auf dem niedrigen Kursniveau aber für die Papiere.

Der Markt für Internet-Zugänge kommt durch Pauschalen und Sondertarife massiv in Bewegung. Für die Nutzer ist dies gut, denn für langes Web-Surfen zahlen sie weniger. Für die kleinen und mittleren Zugangsanbieter, die nicht über eigene Ortsnetzanschlüsse bei ihren Kunden verfügen, wird das Gebührenkarussell zur Überlebensfrage. Das wiederum ist für die Aktionäre interessant. Das Segment steht vor möglichen weiteren Übernahmen. Erst kürzlich hat die spanische Terra Network, eine Tochter des Telefonica-Konzerns, für den viertgrößten US-Internet-Provider Lycos mit derzeit rund 300 Millionen Dollar Jahresumsatz stolze 12,5 Milliarden Dollar geboten. Dies entspricht 97,5 Dollar pro Lycos-Aktie. Die notiert zur Zeit aber nur bei rund 62 Dollar, weil die Aktionäre dem Deal noch zustimmen müssen und bei anderer Gelegenheit schon einmal nein gesagt hatten. Wird der Takeover abgesegnet, müsste die Lycos-Aktie stramm anziehen. Die britische Freeserve, die zum Handelskonzern Dixon gehört, verhandelt seit längerem mit T-Online, bislang erfolglos. Jetzt sind andere Interessenten am Zug. Der Preis ist offenbar zu hoch. Genannt wurden zwischen fünf und sechs Milliarden Pfund, was dem Freeserve-Aktienkurs von 550 Pence umgerechnet eine Steigerung von rund 160 Prozent beschert hätte. Experten bezeichnen dies als "völlig überzogen" oder auch "illusorisch". In der Zwischenzeit ist die Notierung auf 350 Pence abgesackt, was wieder Spielraum für Spekulationen eröffnet. Schon die Terra/Lycos-Geschichte sei "überteuert" gewesen. Noch viel größere Dimensionen kommen mit der Zukunftspaarung Internet/Medien ins Spiel. Zwei -angenommene - "Megamerger" von einerseits Time Warner und Bertelsmann sowie andererseits AOL und Lycos/Terra könnten den gesamten Unterhaltungsmarkt "global aufwirbeln", wird an der Wall Street spekuliert. Laut Kooperationsvertrag ist Bertelsmann gegen Zahlung von einer Milliarde Dollar fünf Jahre lang "bevorzugter Partner" von Terra/Lycos und hat für seine Online-Inhalte auf einen Schlag 40 Millionen potentielle Kunden gewonnen. Der nach Time Warner zweitgrößte Medienkonzern ist schon am Portal Lycos-Europa beteiligt, das in Deutschland am dritthäufigsten besuchte Web-Netzwerk. Die bereits beschlossene Fusion AOL/Time Warner soll bis Ende des Jahres auch formal über die Bühne gehen. Sie ist mit 165 Milliarden Dollar Volumen der bisher größte Merger der Wirtschaftsgeschichte. Der AOL-Konzern erfährt damit eine "sensationelle Erweiterung seiner Inhalte". Die Kursentwicklung lässt bislang allerdings zu wünschen übrig.

Zweistellige Wachstumraten

Insgesamt steht der Sektor Internet-Provider mit stattlichen zweistelligen Wachstumsraten bei Umsatz, Kundenstamm und Nutzungszeiten gut im Saft. Die US-Gesellschaften AOL, Cnet, Lycos und Yahoo arbeiten im Plus. Earthlink (mit Mindspring) und Excite At Home, die beide aus Fusionen hervorgegangen sind, wollen nächstes Jahr nahe an die Gewinnschwelle herankommen. Den europäischen Gesellschaften wird dies noch nicht gelingen. Der anhaltende Preiskampf führt zur Verzögerung, erklären die Analysten. Andererseits besitzen die Branchengrößen mit bekanntem Markennamen wie etwa AOL, Excite At Home, Lycos, Yahoo sowie T-Online und Terra Network beachtliche Vorzüge.

Das mit 350 Dollar recht stolze Kursziel für die Yahoo-Aktien rührt von der Annahme, dass das Unternehmen (Umsatz 2000 geschätzt 1,03 Milliarden Dollar; 2001 geschätzt 1,4 Milliarden; Gewinn 280 beziehungsweise 395 Millionen Dollar) jetzt die kritische Masse erreicht, um pro Transaktion auf seinen E-Commerce-Plattformen eine kleine Gebühr zu erheben.

Positiv schlagen bei den E-Commerce- und Inhalt-Anbietern (Con-tent) die stark steigenden Einkünfte aus Werbung zu Buche. Beim weltgrößten Provider AOL stammen 30 Prozent vom diesjährigen Umsatz von voraussichtlich 6,8 Milliarden Dollar aus dieser Quelle (2001 Umsatz geschätzt 9,35 Milliarden; Jahresgewinn geschätzt 1,0 und 1,8 Milliarden Dollar). Die technologieorientierte Cnet Networks will ihr Software-Onlinegeschäft ausbauen. Derzeit sind es schon fast eine Million Downloads pro Tag. Die Aktie gehört bei Kursen von derzeit 26 Dollar und hohen Wachstumraten zu den billigsten Internet-Providern. T-Online sei gut positioniert, heißt es, um vom steigenden Einfluss des Internet auf alle Aspekte der Telekommunikations-, Medien- und Technologiebranche zu profitieren. Die Aktie des umsatz- und kundenstärksten (zurzeit 1,4 Milliarden Mark und 5,3 Millionen Nutzer) europäischen Internet-Unternehmens sei längerfristig attraktiv, weil Größe als entscheidender Wettbewerbsvorteil gilt, um neue Kunden zu generieren, qualitativ hochwertige Inhalte anzubieten und den Anteil des E-Commerce-Geschäfts auszubauen. (kk)

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