INTERVIEW: Bosch sieht China dauerhaft als weltgrößten Automobilmarkt

21.04.2010
Von Nico Schmidt DOW JONES NEWSWIRES

Von Nico Schmidt DOW JONES NEWSWIRES

STUTTGART (Dow Jones)--Nach Einschätzung des weltgrößten Automobilzulieferers Bosch wird der boomende chinesische Markt trotz der Erholung in den USA auch auf Dauer den unlängst erlangten Nimbus des weltgrößten Marktes behalten. Dass China die Vereinigten Staaten als größten Weltmarkt abgelöst habe, sei unumkehrbar, sagte Franz Fehrenbach, Vorsitzender der Geschäftsführung des Technologiekonzerns, am Mittwoch in einem Interview mit Dow Jones Newswires. Dies liege nicht zuletzt daran, dass die Entwicklung durch die Regierung gesteuert werde.

Das Reich der Mitte ist der größte der so genannten BRIC-Staaten, in denen sich das (automobile) Wachstum in den kommenden Jahren nach Einschätzung von Branchenexperten hauptsächlich abspielen wird. 2009 stiegen die Automobilabsätze dank eines milliardenschweren staatlichen Konjunkturprogramms und trotz der weltweiten Wirtschaftskrise nach Angaben des chinesischen Herstellerverbandes um nahezu die Hälfte auf 13,6 Millionen Fahrzeuge. Davon waren 10,3 Millionen Pkw.

Etwa ein Jahrhundert lang waren die USA der weltgrößte Automarkt, nachdem die Wirtschaftskrise das Land aber schwer in Mitleidenschaft gezogen hatte, darf nun das Reich der Mitte mit diesem Prädikat schmücken. Einige Analysten rechnen mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen, sobald der US-Markt sich von der Finanz- und Wirtschaftskrise erholt und zu alter Stärke zurückgefunden hat.

Laut Fehrenbach dürfte der chinesische Markt in diesem Jahr nach jüngsten Berechnung auf mehr als 17 Mio Fahrzeuge anwachsen. Die Aussagen des Bosch-Vorstandsvorsitzenden verdeutlichen die zunehmende Bedeutung des chinesischen Marktes für die Automobilindustrie. Hochrangige Vertreter sämtlicher großen Hersteller werden angesichts dieser Tatsache auf der Branchenmesse in Peking vertreten sein, die am Freitag startet.

Bosch profitiert allerdings nicht nur vom Boom der Autoindustrie in China, sondern auch von dem Wachstum der gesamten Wirtschaft. "Wir partizipieren in ganzer Breite am Aufschwung", sagte Fehrenbach. Das Unternehmen ist auch abseits des Autos stark in China vertreten, beispielsweise in der Automatisierung, bei regenerativen Energien und Haushaltsgeräten.

Die chinesische Wirtschaft wuchs - wiederum durch Interventionen aus Peking - im vergangen Jahr um fast 9% und war damit eine der weltweiten Wachstumsinseln im Krisenjahr 2009. Auch in Zukunft schätzt Bosch, dass China deutlich stärker wachsen wird als der Rest der Weltwirtschaft. Bis 2020 erwarten die Schwaben in den asiatischen Schwellenländern ein jährliches Wirtschaftswachstum von 6%. Zum Vergleich: Die Triade-Märkte dürften nach Einschätzung von Bosch in diesem Zeitraum nur halb so stark zulegen.

Dementsprechend groß ist die Rolle, die China künftig für Bosch spielen wird: "China steht für uns an oberster Stelle", erklärte Fehrenbach mit Blick auf die Bedeutung der BRIC-Staaten, zu denen auch Brasilien, Indien und Russland gehören. Wolle sich ein Unternehmen weltweit positionieren, sei die Werkstatt der Welt essentiell.

Die Robert Bosch GmbH ist bereits seit 100 Jahren in China aktiv. Den Einstieg schafften die Stuttgarter über ein Joint Venture, inzwischen hat Bosch dort rund 20 eigene Standorte und beschäftigt rund 23.000 Mitarbeiter. 2009 erzielte der Technologiekonzern im Reich der Mitte einen Umsatz von etwa 2,9 Mrd EUR, ein Plus von fast 30%. Damit war China der nach Umsatz drittgrößte Markt für Bosch. "In diesem Jahr werden wir dort hohe zweistellige Wachstumsraten verbuchen" sagte Fehrenbach. Im ersten Quartal 2010 lag das Umsatzplus nach seiner Aussage bei etwa 60%. Großes Potenzial sieht Fehrenbach vor allem in Zentralchina, das aktuell noch nicht so stark entwickelt ist wie die dortigen Küstengebiete.

Dort sei es denkbar, dass ein Einfachstfahrzeug unterhalb des Tata Nano reißenden Absatz finden könnte. Der viersitzige Kleinstwagen des indischen Herstellers Tata Motors gilt als das billigste Auto der Welt. Dies ist laut Fehrenbach ein Beispiel dafür, dass man in China viel für andere Schwellenländer lernen kann.

Auch in Indien läuft es nach Aussage von Fehrenbach zur Zeit "glänzend" für Bosch. Ebenso sieht der Vorstandsvorsitzende sein Unternehmen in Brasilien gut positioniert. Einziger Wermutstropfen in der BRIC-Region ist für den Bosch-Chef die weiter schwache Entwicklung im krisengebeutelten Russland: "Im Moment ist hier noch keine Erholung absehbar". Bevor damit zu rechnen sei, müsse noch einiges an den Wirtschaftsstrukturen gemacht werden. Angesichts des schwierigen Umfelds legte Bosch zuletzt den geplanten Ausbau von Werken auf Eis.

Der russische Automobilmarkt war auf dem besten Weg, Deutschland als größten europäischen abzulösen, brach 2009 aber um mehr als die Hälfte ein. Da im Frühjahr allerdings auch dort eine Verschrottungsprämie eingeführt wurde, erwarten Branchenkenner für 2010 ein Absatzwachstum im zweistelligen Prozentbereich.

Insgesamt gesehen hat sich nach Aussage von Fehrenbach das Gewicht der verschiedenen großen Weltregionen durch die Krise verschoben - und zwar eindeutig in Richtung der asiatischen Schwellenländer. In der Konsequenz passte Bosch seine Ziele für die mittelfristige regionale Umsatzverteilung an: Bis 2015 sollen nun 30% der Einnahmen in der Region Asien-Pazifik erwirtschaftet werden, 20% in Amerika und die verbleibende andere Hälfte in Europa.

Bisher hatte Bosch den Regionen Asien-Pazifik und Amerika einen gleichen Umsatzbeitrag zugetraut. Zwar werde auch der US-Markt wieder zurückkommen, doch sei der Nachholbedarf und somit das Wachstumspotenzial in der Region Asien-Pazifik deutlich höher, begründete Fehrenbach die verschobene Erwartungshaltung. Angesichts dieses veränderten Gewichts kündigte der Manager auch an, Beschäftigung bis auf Weiteres vornehmlich in den boomenden Schwellenländern aufzubauen.

Und noch einen Trend stellte Fehrenbach zuletzt fest: Der Wissenstransfer zwischen Europa und Asien ist keine Einbahnstraße mehr. Zwar ließen sich Entwicklungen aus Indien oder China nicht eins-zu-eins nach Nordamerika oder Europa übertragen, erklärte Fehrenbach. Doch wirke sich der in den Schwellenländern herrschende Druck zu einfachen und kostengünstigen Lösungen auch auf die Entwicklung in den Industrieländern positiv aus.

Das Prinzip heiße daher nicht mehr nur "local for local" sondern auch "local for global". Die Bedeutung der Region Asien-Pazifik für die Entwicklungsabteilung von Bosch wird bereits bei Betrachtung der blanken Zahlen deutlich: Von insgesamt 33.000 im Bereich Forschung und Entwicklung Beschäftigten sind 8.000 in dieser Region beheimatet, davon fast 4.400 in China. Hinter Deutschland ist China damit bereits der zweitwichtigste Entwicklungsstandort für den weltgrößten Zulieferer für die Automobilindustrie.

Webseite: www.bosch.de - Von Nico Schmidt, Dow Jones Newswires, +49 (0)69 297 25 114; nico.schmidt@dowjones.com DJG/ncs/cbr Besuchen Sie auch unsere Webseite http://www.dowjones.de

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