Interview mit Doris Barnett MDB, Obfrau der Enquete-Kommission

17.09.1998

MÜNCHEN: Eher schleppend ist der Gang Deutschlands in die Informationsgesellschaft. Chancen und Risiken des neuen Zeitalters scheinen zwar erkannt, gerade von politischer Seite als Impulsgeber ist in Sachen Aufbruchstimmung aber noch nicht viel zu spüren. Doris Barnett, Obfrau der EnquÉte-Kommission, die sich seit 1995 mit dem Weg Deutschlands in die Infogesellschaft beschäftigt hat und gerade ihren Schlußbericht vorlegte, stellte sich den Fragen von ComputerPartner-Mitarbeiter Karl-Erich Weber.Nach dem Schlußbericht zu urteilen scheinen die Zeichen der Neuzeit zumindest teilweise erkannt zu sein. Denken Sie, daß derzeit genügend Know-how bei den politisch Verantwortlichen (Bund, Länder und Gemeinden) vorhanden, ist um die Anforderungen der Informations-gesellschaft rechtzeitig zu erfüllen?

BARNETT: In der Informations- und Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts können nur die Unternehmen und Standorte im globalen Wettbewerb bestehen, die in der technologischen Entwicklung die Nase vorn haben. Eine moderne Standortpolitik muß deshalb vor allem ihre Anstrengungen in Forschung und Entwicklung intensivieren. Deshalb war es unverantwortlich, daß die derzeitige Bundesregierung die Mittel für Zukunftsinvestitionen im Bundeshaushalt in den letzten Jahren immer weiter zusammengestrichen hat. Gerhard

Schröder hat angekündigt, daß die Zukunftsinvestitionen in Forschung und Wissenschaft in den nächsten fünf Jahren verdoppelt werden.

Wenn es der Staat als Vorbild und Wegbereiter in die Informationsgesellschaft nicht

nötig hat, wie wollen Sie Handwerk, Klein- und Mittelbetriebe motivieren?

BARNETT: Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. Der Staat muß Signale für Innovation und technischen Fortschritt setzen, damit auch die Wissenschaft den Zug der Zeit erkennt. Gerade kleine und mittlere Unternehmen profitieren, wenn es eine politische und technologische Aufbruchstimmung gibt.

Die Meinungen über Zeitpunkt und Werdegang der neuen Ära sind noch sehr diffus. Wie stellen Sie sich die Auswirkungen der Informationsgesellschaft in unmittelbarer Zukunft vor?

BARNETT: Der Arbeitsprozeß wird sich durch Informations- und Kommunikationstechnologien weiter verändern. Für viele Arbeiten wird Ort und Zeit irrelevant. Damit werden sich auch die klassischen Arbeitsverhältnisse verändern, Stichwort Telearbeit. Hier gilt es, die Telearbeitnehmer vor Preisdumping und Scheinselbständigkeit zu schützen. Die Produktion wird weiterhin rationalisieren mit immer perfekteren computerunterstützten Maschinen. Deshalb werden wir in Deutschland auf hochqualifizierte Arbeitsplätze in Forschung, Entwicklung, Wartung und Betrieb setzen, aber auch auf den erwarteten sich ausweitenden Dienstleistungssektor. Hier müssen größere Anstrengungen im Bereich der Bildungsarbeit erfolgen, Stichwort lebenslanges Lernen. Für Menschen, die - aus welchen Gründen auch immer - keine "Einsteins" sind, werden staatliche Maßnahmen erforderlich sein, damit Deutschland eine humane Gesellschaft zu bleibt.

Die Marktführer wie IBM, Intel oder Microsoft propagieren sehr stark den elektronischen Kommerz via Internet. Wie sehen Sie den Handel in zehn Jahren?

BARNETT: Durch den elektronischen Handel werden neue Märkte entstehen. Diese Chancen müssen wir nutzen. Es müssen dafür die richtigen marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen gesetzt werden. So muß beispielsweise größter Wert auf die Vertraulichkeit im grenzenlosen Datenverkehr gelegt werden. Wenn Innenminister Kanther die Wirtschaft zur Herausgabe von Codes, mit denen Datenströme verschlüsselt werden können, zwingen will und damit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von Dritten mitgehört werden, wird der elektronische Handel eher behindert als gefördert. Übrigens muß die Politik auch dafür sorgen, daß der heutige Einzelhandel bei dieser Entwicklung nicht auf der Strecke bleibt.

Sich bei einem Gesellschaftswandel allein auf die Automatik der Wirtschaft zu verlassen, wäre katastrophal. Welche Entwicklungen wird die Politik in nächster Zukunft fördern?

BARNETT: Wir wollen eine Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft, bei der Markt und soziale Verantwortung in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Nur wenn das Soziale in einer Gesellschaft nicht zu kurz kommt, werden die Menschen die technologischen Veränderungen annehmen. Aber klar ist, die technische Entwicklung, besonders Standards, sollte nicht von der Politik vorgegeben werden. Der Sachverstand befindet sich bei den betroffenen Unternehmen. Seit die Telekom privat ist, kann auch hier die Politik nicht mehr vorschreiben, ob beispielsweise Kupfer oder Glasfaser verwendet wird.

Für die Handels- und Dienstleistungsunternehmen werden die gravierendsten Änderungen anstehen. Wie sollten sich die Computer- und Kommunikationsfachhändler besonders auf die Infogesellschaft vorbereiten?

BARNETT: Die Unternehmen müssen die immer komplizierter werdenden Computerprogramme und Telekommunikationsgeräte mit einer dauerhaften, kundenorientierten Betreuung und Beratung anbieten. Auch in diesem Bereich muß eine Dienstleistungskultur entstehen. Ich wünsche mir, und bereite derzeit vor, daß in dezentralen Kompetenzzentren in Verbindung mit dem Fachhandel, den Anwendern Hilfestellung und Zusammenarbeit angeboten werden. Es werden mehr örtliche Beratung und "Hotlines" nötig sein.

Wir sind an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend. Was würden Sie einem Arbeitnehmer, Unternehmer, einer Verwaltung oder Schule zur Vorbereitung auf die Zukunft empfehlen?

BARNETT: Qualifizierung, Bildung, Weiterbildung, Forschung, Wissenschaft - das ist der Schlüssel zur Zukunft. Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts muß Deutschland eine lernende Gesellschaft werden.

Doris Barnett: Wir brauchen den Internet-Anschluss für alle.

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