Interview mit Unternehmensberater und Dienstleistungsexperten Gerhard J. Pleil

08.06.1998

MÜNCHEN/KEMPTEN: Mit der Vermarktung von Dienstleistungen tut sich die Branche noch immer schwer. Das ist unverständlich. Denn Wohl und Wehe eines Systemhauses hängen vom Dienstleistungsverkauf ab. Das meint zumindest der Kemptener Unternehmensberater Gerhard J. Pleil. In seinem soeben erschienenen Buch "Überlebensfaktor Dienstleistung" streicht er die Notwendigkeit des Dienstleistungsverkaufs zur Existenzsicherung von IT-Händlern und Systemhäusern heraus und zeigt Wege auf, wie man mit dem Thema umgeht. ComputerPartner-Chefredakteur Damian Sicking sprach mit dem Autor über die Situation in der Branche und dessen Schlußfolgerungen daraus.PLEIL: Im Augenblick mit der Berechnung von Dienstleistungen. Diese Thematik ist aber bei professionell geführten Häusern gut gelöst worden. Das zweite Thema ist die Definition neuer Dienstleistungen. Wenn man sich heute zurücklehnt und sagt, wir haben jetzt ein schönes Portfolio an Dienstleistung entwickelt und damit können wir die nächsten Jahre leben und überleben, ist das ein Mißverständnis. Heute schon bieten die Media-Märkte, Vobis und andere Retailer viele sogenannte einfache Dienstleistungen an. Und zwar preislich interessanter als die Systemhäuser oder traditionellen Händler. Das heißt: Der Händler und das Systemhaus sind gezwungen, ihr Dienstleistungsportfolio permanent weiter zu entwickeln.

Wo liegen die größten Probleme beim Dienstleistungsverkauf?

PLEIL: Man kann das auf fünf, sechs Punkte zusammenfassen. Erstens:

das fehlende Dienstleistungskonzept. Ohne Konzept keine systematische, klare Vorgehensweise. Zweitens: die mentale Einstellung der Geschäftsleitung. Wenn die Geschäftsleitung nicht mit Haut und Haaren hinter dem Thema steht, werden sich Mitarbeiter und speziell VBs damit nicht indentifizieren. Drittens: die fehlende Sicherheit in der Argumentation. Es ist manchmal fatal, wie die Mitarbeiter auf die Menschheit losgelassen werden, ohne daß vorher darüber nachgedacht wird, wie der Kunde reagieren wird, welche Argumente notwendig sind. Und das ist der nächste, der vierte Punkt: Es fehlt bei vielen Häusern noch die klare Herausarbeitung des Nutzens der einzelnen Dienstleistung. Was hat der Kunde im Detail davon? Warum braucht er diese Dienstleistung? Warum ist diese Dienstleistung ihr Geld wert? Fünftens: fehlendes Marketing für Dienstleistungen. Es reicht nicht aus, eine schöne Hochglanzbroschüre zu drucken, in der man sich als Dienstleister feiert. Sechstens: das Mitbewerberverhalten. Also die alte Killerphrase, die da lautet: Der Mitbewerb macht das umsonst, und wenn wir das nicht auch so machen, dann verlieren wir den Kunden. Das ist Unsinn.

Also sind die Kunden durchaus bereit, für Dienstleistungen Geld auf den Tisch zu legen.

PLEIL: Ja, wenn die Substanz stimmt. Wenn keine Potemkinschen Dörfer verkauft werden. Wenn die Mitarbeiter diese Leistung überzeugend verargumentieren können. Wenn die Preise in Ordnung sind. Dann ist es heute möglich, bei Kunden auch Akzeptanz für bezahlte Dienstleistungen zu bekommen. Die Welt hat sich verändert. Denn diese Kunden, diese Mittelständler und Großkunden, sind ja heutzutage auch geneigt, jede ihrer Dienstleistungen, die sie ihrerseits erbringen, ihren Kunden in Rechnung zu stellen. Es ist heute keine weltmeisterliche Leistung mehr, Dienstleistungen zu berechnen, sondern eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Wenn die Dienstleistung so wichtig ist, warum sollte das Systemhaus dann überhaupt noch Hardware anbieten?

PLEIL: Wir empfehlen, die Verbindung zur Hardware nicht aufzugeben, weil Hardware auch Dienstleistungen nach sich zieht. Und weil sonst der Anspruch eines ganzheitlichen Angebotes nicht mehr möglich ist. Der dritte Punkt ist, daß die Systemhäuser, die sich nur noch als Consulter bezeichnen, in direkte Konkurrenz zu Consulting-Unternehmen und den vielen, vielen DV-Beratern treten und dann auch ein Leistungsniveau anbieten müssen, wo sie sich absolut gleichwertig verkaufen müssen. Und das fällt manchem schwer.

Sie fordern, daß ein Systemhaus als Grundvoraussetzung ein Dienstleistungskonzept haben müsse. Was verstehen Sie genau darunter?

PLEIL: Das Dienstleistungskonzept ist der rote Faden, der sich durch das Denken und Handeln in Sachen Dienstleistung ziehen muß. Das beinhaltet die klare Definition der Dienstleistungsprodukte, des Dienstleistungsanteils und des Dienstleistungsverhaltens. Das beinhaltet die Analyse der Kunden. Was nehmen sie in Anspruch? Was wird heute dafür bezahlt? Das beinhaltet eine klare Definition der Vorgehensweise im Vertriebs- und Marketingbereich. Das beinhaltet auch eine Dienstleistungsplanung. Das beinhaltet ferner eine Personifizierung durch einen Menschen, der die Steuerung in die Hand nimmt. Das ist die klare Definition der Vorgehensweise und der Inhalte, damit Logik, Systematik und Konsequenz in diese Thematik reinkommen.

Das hört sich nach viel Arbeit an. Wieviel Zeit muß man da reinstecken?

PLEIL: Vielfach kommen Händler auf uns zu, die meinen, man könne das aus dem Ärmel schütteln, wenn man irgendwelche Patentrezepte übernehme. Das ist aber nicht machbar. Denn dahinter steckt knochenharte Arbeit. Sie müssen davon ausgehen, daß von der Konzepterstellung bis zur Umsetzung zwischen sechs Monaten und eineinhalb Jahren vergehen. Das ist ein langer Marsch. Den muß man erst einmal durchstehen.

Ist Dienstleistung auch für kleinere Häuser ein Thema?

PLEIL: Es ist absolut kein Privileg der Großen der Branche. Es ist geradezu eine Chance für die kleinen und mittleren IT-Häuser, sich über Dienstleistungen zu differenzieren. Bei der Hardware haben sie sowieso keine Chance. Deshalb kann ich nur sagen: Wer als mittleres und kleineres Systemhaus die Chance "Dienstleistung" nicht nutzt, dem kann man nicht helfen.

Eine zentrale Rolle spielt in Ihrem Buch der Dienstleistungsmanager. Sie bezeichnen ihn sogar als "Garanten des Erfolges". Welche Aufgaben hat dieser Dienstleistungsmanager und wie arbeitet er mit den

anderen Abteilungen zusammen, vor allen Dingen mit dem Vertrieb?

PLEIL: Wir haben in zehn Jahren Praxis die Erfahrung gemacht, daß Dienstleistungskonzepte nur dort erfolgreich umgesetzt werden konnten, wo ein Mitarbeiter definiert wurde, der die Aufgabe bekam, das Thema zu koordinieren, zu treiben, zu personifizieren. Überall dort, wo das Thema herumgereicht wurde im Hause nach der Devise: "Kümmere du dich mal, ich habe im Augenblick keine Zeit", haben wir Flops erlebt.

Wie hoch sollte idealerweise der Anteil des Dienstleistungsumsatzes am Gesamtumsatz sein?

PLEIL: Das läßt sich nicht pauschalieren. Es hängt von der besonderen Struktur des jeweiligen VARs oder IT-Händlers ab. Ein Händler mit einer hohen eigenen Wertschöpfung, zum Beispiel in Form einer eigenen Softwarelösung, braucht einen sehr hohen Anteil, also zwischen 40, 50 und mehr Prozent. Andere, die ein sehr starkes und noch profitables Hardware-Geschäft betreiben, sind gut bedient, wenn sie zwischen 30 und 40 Prozent Dienstleistungsanteil liegen.

Wie sieht es mit der Margensituation bei Dienstleistungen aus?

PLEIL: Dienstleistungen bringen noch sehr schöne Roherträge. Nach unseren Erfahrungen im Schnitt zwischen 60 und 70 Prozent. Allerdings, wie vorhin schon erwähnt: Bei den einfachen Dienstleistungen hat bereits der Margenverfall begonnen. Sie finden heute schon Häuser, die die Technikerstunde für achtzig Mark offerieren, während andere noch bei einhundertzwanzig Mark liegen.

Hard- und Software-Hersteller sind abhängig von wirtschaftlich gesunden Vertriebspartnern. Was kann die Industrie tun, um die Partner beim Thema Dienstleistung zu unterstützen? Und ist das, was vielleicht eventuell heute schon getan wird, ausreichend?

PLEIL: Es hat sich was getan. Wir haben noch vor sechs, sieben Jahren bei manchen Herstellern Redeverbot gehabt zum Thema Dienstleistung. Weil Verkaufsleiter der Meinung waren, wir würden die Bereitschaft der Partner beeinträchtigen, Hardware zu verkaufen. Es gibt einzelne Hersteller, die längst begriffen haben, daß nur gesunde Partner auch lebensfähige Partner sind. Und unsere Erfahrung ist, daß die dienstleistungsorientierten Händler auch die besten Hardware-Entwicklungen aufzeigen. Und seitdem das auch die Vertriebsleiter der Hersteller gemerkt haben, beginnen sie, den Dienstleistungsgedanken aktiv zu fördern. Es gibt einzelne Hersteller, die das wirklich vorbildlich gemacht haben, aber die sind in der Minderheit. Die Mehrzahl der Hersteller beschäftigt sich zwar rhetorisch mit dem Gedanken, tut aber herzlich wenig für die Partner auf diesem Sektor, da sie genug andere Sorgen hat.

Ist Dienstleistung eigentlich nur im Business-to-business-Bereich ein Thema? Wie steht es mit den Händlern, die vorwiegend Privatkunden adressieren?

PLEIL: Wir plädieren für den Businessto-business-Bereich, weil wir es hier mit Kaufleuten zu tun haben, auf beiden Seiten. Dadurch wird die Argumentation einfacher. Im Privatbereich ist die Situation viel schwieriger. Hier wird erst Dienstleistung gewünscht, wenn der Anwender auf die berühmte Nase gefallen ist. Er geht vorher davon aus, daß alles im Preis inbegriffen ist. Und damit ist für den Händler kein großer Blumentopf zu gewinnen.

"Überlebensfaktor Dienstleistung" heißt Ihr Buch. Langfristiges Überleben der Systemhäuser ist ohne Dienstleistungen nicht möglich. Eigentlich müßte Ihnen ja dieses Buch aus den Händen gerissen werden. Was glauben Sie denn, wieviele Exemplare Sie davon verkaufen können?

PLEIL: Ja, da habe ich noch keine klare Vorstellung. Ich meine, daß sich eigentlich jeder Mittelständler mit dem Thema konfrontieren muß. Nur wie ich die menschlichen Abwehrmechanismen kenne, sich ehrlich mit der eigenen Situation auseinanderzusetzen, die hier mit harter Arbeit verbunden ist, nun ja, da würden wir uns schon freuen, wenn die erste Auflage innerhalb dieses Jahres vergriffen wäre.

Unternehmensberater Gerhard J. Pleil: "Es ist keine weltmeisterliche Leistung mehr, Dienstleistungen zu berechnen."

"Die Angst vor einem Liebesentzug der Kunden ist unberechtigt."

"Die dienstleistungsorientierten Händler zeigen auch die besten Hardware-Entwicklungen auf."

"Wer als mittleres und kleineres Systemhaus die Chance "Dienstleistung' nicht nutzt, dem kann man nicht helfen."

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