ISDN: Fax-Gruppe-4 kaum noch gefragt

23.07.1998

AACHEN/BONN: Bedrängt durch E-Mail und Filetransfer, werden die letzten Bataillone für das Faxen nach dem Standard der Gruppe 4 ins Feld geworfen. Die Deutsche Telekom, Bonn, versucht jetzt mit dem "T 360 G4" den Markt für Geräte der Klasse Gruppe 4 anzukurbeln. Und am Markt gibt es längst Softwarelösungen, die digitales Faxen mit dem vollen Tempo von 64 Kilobit pro Sekunde erlauben. Doch bis jetzt hat die Telekom an den langsamen Faxen gut verdient. Und die Kunden sehen keinen Bedarf für schnellere Übertragungen. Der ISDN-Experte Ulrich Schmitz schildert die neuesten Entwicklungen."Regelrecht verschaukelt werden die Leute, wenn sie heutzutage eine ISDN-Karte erwerben, die mangels fehlender Softwareausstattung nicht direkt digital mit 64 Kbit/s faxen kann", ärgert sich Hilke Finn, Vertriebsverantwortliche der Ositron Kommunikationstechnik GmbH in Aachen. "Wenn die Karte - wie übrigens alle modernen, die jetzt verkauft werden - die Schnittstellendefinition CAPI 2.0 aufweist, dann kann sie mit unserer Software auch das volle Tempo transparent durchlassen", preist sie das Ositron-Produkt an. Doch bis das um sich greift, verdient die Telekom erst einmal an dem langsamen Analogfax, sei es mit eigenständigen Geräten, sei es mit ISDN-Karten, die dem Analogmodus emulieren, oder auch, bedingt durch die längere Faxübertragungsdauer, bei den Verbindungsgebühren. Denn der Mitte der achtziger Jahre verabschiedete Standard der Fax-Gruppe-4, auch als Digitalfax bezeichnet, hat sich nie richtig durchgesetzt, und zwar aufgrund des berühmten Henne-und-Ei-Problems: Es fand sich kaum der passende Kommunikationspartner, und die ersten Geräte am Markt kosteten um die 10.000 Mark.

Fax-Gruppe-4-Hardware ist erschwinglich

Selbst renommierte Medienagenturen - wie die Deutsche Presseagentur (dpa) mit ihrem gewaltigen Informationsaufkommen - setzen bis heute kein Gerät der Gruppe 4 ein. Dabei sind mittlerweile zwei wichtige Bedingungen erfüllt: Erstens ist der von der Telekom für den T 360 G4 Fernkopierer verlangte Preis von rund 1.800 Mark moderat genug, um die Entwicklung jetzt voranzutreiben. Zweitens ist die Intelligenz des seit April auf dem Markt befindlichen Geräts so gut, daß zwischen den beteiligten Partnern automatisch ausgehandelt wird, welche Art der Datenübertragung und Geschwindigkeit zu wählen ist.

"Die Voraussetzungen für ein Aufrollen des Marktes sind jetzt gegeben", freut sich Telekom-Sprecher Waldemar Czauderna: "Das Gerät ist sogar kompatibel zum amerikanischen ISDN-Standard von 56 Kilobit pro Sekunde".

Längst hat eine neue Intelligenz Einzug gehalten, und zwar sowohl bei den Geräten als auch bei den ISDN-Controllern. Damit ist das Argument vom Tisch, man könne nur solche Geräte einsetzen, die international kompatibel seien, und müsse sich deshalb an rein analogen Übertragungsgeschwindigkeiten orientieren.

Digital Faxen spart Kosten

"Der Kunde darf heute von der Steuersoftware einer ISDN-Karte erwarten, daß sie jedes Tempo beherrscht - und wenn die Gegenseite auch full speed kann, um so besser", erklärt Finn gegenüber ComputerPartner. Durch die Zeitersparnis ließen sich die Faxkosten um fast 90 Prozent senken. Außerdem würden unleserliche Faxe damit endgültig der Vergangenheit angehören, da Fax der Gruppe 4 eine Auflösung von bis zu 400 dpi biete, während ein G3-Fax es höchstens auf 196 dpi bringe.

Um frischen Wind ins G4-Faxen zu bringen und die Ära des Absahnens bei lahmer Faxübermittlung durch die Telefongesellschaften zu beenden, hat sich die Aachener Ositron nun entschlossen, zum kostengünstigen Preis von rund 50 Mark eine reine 32-bit-Software auf den Markt zu bringen, die endlich allen gängigen ISDN-Karten Tempo macht. Auch diese Software ist so intelligent, daß sie nach dem Verbindungsaufbau feststellt, mit welchem Telekommunikationspartner sie es zu tun hat, und die jeweils schnellste Übertragungsmethode wählt. Die Software kann in alle Windows-Anwendungen eingebunden werden und ermöglicht damit nicht nur Faxen aus der Textverarbeitung, sondern auch aus beliebigen anderen Programmen. Unterstützt werden alle ISDN-Karten mit der CAPI 2.0, etwa Teles, Fritz! oder Diehl Niva unter Windows 95 und NT.

Die Deutsche Telekom antwortet auf diesen Ruck am Markt mit einer Doppelstrategie, die auf "alt und neu parallel fahren" hinausläuft. "Ganz automatisch wird es zu einer Angleichung der Gerätepreise kommen, wenn sich das digitale Faxen durchsetzt", verheißt Telekom-Sprecher Waldemar Czauderna. "Auch die Hersteller von ISDN-Karten werden nicht umhin kommen, ihre Hardware-Komponenten mit entsprechender Software endlich so flott zu machen. Der Zeitpunkt, an dem echtes und intelligentes ISDN-Faxen zum Standard wird, rückt näher", prophezeit Czauderna.

"Die Ironie dieser Argumentation ist, daß die Telekom selbst ihre ISDN-Anschlüsse mit dem Verkauf von ISDN-Karten bündelt, die standardmäßig lediglich eine Faxsoftware für die Analogemulation enthalten", wettert Finn dagegen. Diese Praxis ist auch bei anderen Herstellern, etwa AVM, üblich. Die mit AVM-Fritz!

Card gelieferte Software beherrscht den Eurofiletransfer, bietet T-Online-Zugang und den Dienst Fax-Gruppe-3, jedoch keine Fax-Gruppe-4. Kunden, die endlich schnell faxen wollen, müssen also auf zusätzliche Marktlösungen zurückgreifen. Dies um so mehr, als die Kartenhersteller sich offenbar auch weiterhin bei der Ausrüstung der Karten mit ISDN-Fax zurückhalten. Zwar sieht die Telekom den Zeitpunkt nahen, an dem G4-Fax Standard wird, doch bis dahin verdienen sie weiter an den langen Übertragungszeiten.

Und das könnte, trotz der Ositron-Initiative und der positiven Einschätzungen der Telekom über künftige Standards, weiterhin so bleiben. Denn das Zeitfenster für das Faxen beginnt sich durch die Digitalisierung aller Inhalte bereits wieder zu schließen und jenes für E-Mail hat sich bereits sehr weit geöffnet. Warum also sollte man überhaupt von PC zu PC faxen? Wer unbedingt ein

gestochen scharfes Bild oder klaren Text haben will, kann gleich per

E-Mail das Dokument anhängen. Als Alternative bleibt der Eurofiletransfer, der mit ISDN-Karten mittlerweile selbst über verschiedene Betriebssysteme hinweg einigermaßen problemlos funktioniert. "Diese Entwicklung führt dazu, daß kein einziger Kunde bisher nach Fax-Gruppe-4-Anwendungen gefragt hat", verkündet deutlich Uwe Scholz, AVM-Unternehmenssprecher. "In einer der letzten Befragungen mit einem Rücklauf von einigen tausend Fragebögen kam nicht ein einziges Mal der Wunsch nach schnellem digitalem Fax auf", rechtfertigt Scholz seine Unternehmensstrategie. Offenbar ist die Zufriedenheit mit dem analogen Faxen bis maximal 14.400 Baud beim Kunden tatsächlich sehr hoch. AVM hat vor einigen Jahren bereits Fax-Software für die Gruppe 4 angeboten und ist damals auf keine Nachfrage gestoßen.

Das Zeitfenster für das digitale Faxen schließt sich

"Der Kunde braucht das nicht", bestätigt auch Unternehmenssprecherin Sabine Klug vom ISDN-Kartenhersteller ITK Telekommunikation AG in Dortmund. "Zwar ist im Vorfeld des Marktauftritts der ISDN-Karte Columbus World die G4-Option diskutiert worden, doch wir haben sie schnell wieder verworfen", führt Klug weiter aus. Um die Preisgrenze von knapp 150 Mark zu halten, wird auch ITK dem Thema digitales Faxen keine weitere Aufmerksamkeit schenken - "es sei denn, die Kundenwünsche am schnellebigen Markt signalisieren die Notwendigkeit einer Neueinschätzung", fügt die ITK-Managerin vorsichtig hinzu.

Was bleibt, ist das Prinzip Hoffnung: jene von Ositron, mit der ISDN-Fax-Initiative das Zeitfenster für das Faxen mit 64 Kbit/s noch eine Weile offen halten zu können, oder jene der überzeugten Kunden, auf der Gegenseite endlich einmal einen entsprechenden Anschluß zu finden, der das Tempo mitmacht. Und natürlich jene der Telekom, mit einer neuen und preiswerteren Gerätegeneration sich wenigstens ein kleines Stückchen vom Kuchen abzuschneiden.

Grosse Qualitätsunterschiede bei ISDN-Karten

Bis dahin dürfen die Kunden auch ohne die ISDN-Fax-Option zur Kenntnis nehmen, daß je nach eingesetzter ISDN-Karte erhebliche Zeitunterschiede beim Fax-Versand zu gewärtigen sind, analog wohlgemerkt. So hat die Fachzeitschrift "connect" in ihrer Juni-Ausgabe festgestellt, daß die schnellste Karte für einen Normbrief nur 29 Sekunden braucht, die langsamste jedoch 46 Sekunden. Wer täglich zehn solcher Faxe an durchschnittlich 22 Werktagen im Monat hinausjagt, kann zum Beispiel mit dem Testsieger, der "ITK Columbus World", 26,40 Mark sparen. Die Benotung der von "connect" getesteten 17 Karten reicht denn auch von "sehr gut" bis "mangelhaft". Nur vier Karten erreichten überhaupt die Note "gut" oder "sehr gut", nämlich außer der Columbus World noch die I-Surf von Siemens, die Acotec Sky Racer One und die AVM-Fritz!Card-PnP. Die Preisspanne reicht dabei von 149 bis 179 Mark. Auch abseits der leidigen Diskussion über den Wert der ISDN-Fax-Technologie lassen sich demnach auf jeden Fall Telekommunikationskosten sparen.

Und wer, statt ein gestochen scharfes Fax von einem PC auf den anderen zu schicken, lieber die Datei elektronisch transferiert, der zahlt bei E-Mail die Ortsgebühr für das Einloggen bei seinem Internet-service-provider oder die Übertragungskosten für Eurofiletransfer mit vollen 64 Kbit/s. "Das Fax steht doch generell unter Druck", räumt Scholz gegenüber ComputerPartner ein. "Da dürfte der Zug für das Digitalfax längst abgefahren sein", gibt der AVM-Manager resigniert zu. Durchaus nicht zum Leidwesen der Netzbetreiber. Die haben an dem lahmen Fax bisher gut verdient und werden das wohl noch eine gute Weile tun, bis der gesamte Datenverkehr über das Internet abgewickelt werden wird. Denn Fax ist und bleibt ein Medienbruch - mal ein langsamer, mal ein schneller.

* Ulrich Schmitz ist freier Journalist in Bonn.

Uwe Scholz, AVM-Unternehmenssprecher: "Der Zug für das Digitalfax ist längst abgefahren".

Das netzwerkfähige Power-Fax L800 von Canon kann nur 33.600 Bits pro Sekunde maximal empfangen.

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