Ist die deutsche Ingram noch zu retten?

12.03.1998

Die Lage bei der deutschen Ingram Micro ist ernst. Sehr ernst. Der Distributor, der in den USA Quartal für Quartal überwältigende Erfolge verbucht, kommt hierzulande nicht aus den Puschen. Und das seit Jahren. Aufgefallen ist Ingram in Deutschland eigentlich immer nur durch ihre ungeschickte und unglückliche Art, Akquisitionen von ansässigen Großhändlern zu tätigen. Angefangen bei der gescheiterten Übernahme der beiden Markt+Technik-Töchter Access und Agora bis hin zu dem geplatzten Deal mit Peacock. Schließlich versuchte man sich an J&W Computer - doch auch diese Akquisition bekamen die Amerikaner nicht auf die Reihe. Zu viele Fehler, die die Ingram-Lenker mittlerweile zugeben, wurden bei der Integration des Familienunternehmens in den Weltkonzern gemacht.Die unglückliche Einkaufspolitik von Ingram ist aber nur die eine Seite der Medaille. Bereits der Start des Distributors in Deutschland vor gut vier Jahren war kein strategisches Meisterwerk. Durch die Übernahme von House of Computers kaufte sich Ingram nicht wie eigentlich üblich und notwendig einen Distributor, sondern das Headquarter einer in Konkurs gegangenen Händlerkooperation. Später mußte sich Ingram den Vorwurf gefallen lassen, Positionen falsch besetzt zu haben. Zu allem Überfluß wurde auch noch in schöner Regelmäßigkeit das gesamte Management ausgetauscht - eine Kontinuität in der Geschäftstätigkeit bei Ingram war damit nicht möglich.

Auch in der Zusammensetzung des Produktportfolios wurden gravierende Fehler gemacht. Während die typischen Brot- und Butter-Produkte, die sogenannte Broadline-Distribution, im Sortiment zu finden waren, fehlten die "Goldesel". Sparten wie Netzwerke, PC-Eigenmarke oder CAD, mit

denen andere große Broadliner ihr Geld verdienen, wurden bei Ingram schlicht ignoriert. Die Folge: Verluste ohne Ende.

Nun zieht Ingram in Deutschland die Notbremse. Gut ein Viertel der deutschen Mannschaft bekam unlängst die heftigen Sparmaßnahmen zu spüren und mußte gehen. Auch die Stühle der verbliebenen Mitarbeiter dürften wackeln. Zumal Phil Ellet in seiner Funktion als Europa-Chef ohnehin davon auszugehen scheint, daß es Ingram Deutschland nicht mehr lange geben wird. In seiner Einschätzung zum deutschen Geschäft sucht man das Unternehmen Ingram Micro Deutschland GmbH vergeblich - vielmehr beschäftigen ihn die im Sommer übernommene Macrotron und deren Chef Michael Kaack. Der wiederum sieht sich ohnehin schon als Lenker und Denker der gesamten Deutschlandaktivitäten. Nicht nur, daß Kaack nach eigenem Bekunden den amerikanischen und deutschen Ingram-Leuten als Berater auf die Sprünge hilft. Er nimmt sich auch selbst in die Pflicht, als Sprachrohr für Ingram Micro Deutschland zu fungieren.

Die Art und Weise, wie Kaack mit dem neuen Eigentümer seines Unternehmens umgeht, läßt hoffen. Hoffen, daß Macrotron nicht das gleiche Schicksal ereilt wie beispielsweise J&W. Den "alten" Ingram-Leuten aber wird das dennoch nicht viel helfen.

Susann Naumann

snaumann@computerpartner.de

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