Die Ära der neuen Macher

IT-Beratungsgeschäft wird immer schwieriger

Seit 1997 hat sich Alain Veuve an einer Reihe von Open-Source-Projekten, IT- und Internet-Unternehmen sowie Startups beteiligt. In Rahmen dieser Tätigkeiten hat Alain unterschiedliche internationale Unternehmen bei der digitalen Transformation sowie bei ihren E-Business-Unterfangen begleitet und beraten. Heute ist Alain ein vielzitierter Thought Leader für die digitale Transformation in Europa, der regelmäßig als Referent an Konferenzen teilnimmt. Sein Blog, alainveuve.ch, ist eine beliebte Quelle für Erkenntnisse für Entscheidungsträger innerhalb der Digital-Branche.
IT-Beratung hat sich in den letzten Jahren gewaltig geändert und neue Vorgehensweisen sind dabei, sich durchzusetzen. Das ist gut so - für fast alle in diesem Spiel.

Als ich vor vier Jahren meine Firma für Consulting in Fragen der Digitalen Transformation gründete, war die Welt relativ einfach.

  • Es gab Firmen die berieten Kunden strategisch und konzeptionell.

  • Es gab Firmen die Konzepte umsetzten und

  • es gab Firmen, welche die Lösungen betrieben.

  • Projekte wurden oft nach Wasserfall und in klaren Abschnitten gemacht.

  • Businessmodelle standen selten zur Disposition.

Das alles hat sich in den letzten Jahren gewaltig geändert.

Teuer und langsam

Zwar war und ist die Abfolge Strategie, Konzeption, Umsetzung und Betrieb für jedermann einleuchtend und althergebracht. Sie hat aber zwei fundamentale Nachteile: sie ist für den Kunden extrem teuer und es dauert enorm lange bis etwas Konkretes das Licht der Welt erblickt.
Nicht selten habe ich erlebt, dass man, auch durch firmenpolitisches Geplänkel, mal eben sechs Monate dafür aufwenden musste, um nur strategisch alle Schäfchen im Trockenen zu haben. Wenn dann ein Konzept in Form von drei gefüllten Leitz-Ordnern fertig war, waren die Annahmen auf denen die Strategie fußte teilweise schon überholt.

IT-Berater im Gespräch Kundengespräch.
IT-Berater im Gespräch Kundengespräch.
Foto: Pressmaster - shutterstock.com

Und natürlich hatte auch niemand den Mut zu sagen: "wir sollten das nochmals überdenken". Sondern die Beteiligten machten sich, wohl-wissend, dass sie jetzt strategisch schon daneben lagen, munter an die Umsetzung.

Als Folge davon war natürlich alles extrem teuer. Je grösser die Beratungsgesellschaften, desto höher die Tagessätze und desto jünger die Berater. Was für die Beratungsunternehmen natürlich wie eine Art Zauberformel war und ist, deprimierte viele Kunden.

Ich habe es oft erlebt, dass ich nach einer Konzeptphase zu einem ersten Gespräch bestellt wurde und man mich fragte was die Projektbeteiligten denn nun mit dem 400-seitigen Konzept anstellen sollten. Das Unternehmen hätte es teuer bezahlt, die Beteiligten verstünden es nicht und niemand wolle sich mittlerweile damit auseinandersetzen. Meine Standard-Antwort damals: "Aus dem Weg räumen."

Nicht nur Bestehendes digitalisieren, sondern Neues erschaffen.

Die Zeiten haben sich geändert. So manch ein größeres Unternehmen hat erkannt, dass es eben nicht reicht, einfach sein bestehendes Angebot zu digitalisieren und mal eben einen eCommerce Store zu lancieren oder eine Social Media Abteilung neu an den Start zu bringen.
Viele haben erkannt, dass sie die neue Technologie dazu einsetzen müssen um neue Angebote und Produkte - und damit eben neue Geschäftsmodelle zu erschaffen.

Eine Eigenheit von neuen Geschäftsmodellen ist, dass man eben nicht mit Sicherheit weiß, ob sie funktionieren oder nicht. Spätestens mit dieser Erkenntnis ist der Wasserfall-artige Digitalisierungsapproach nicht mehr vereinbar.

Ich weiß noch gut, als ich vor vier Jahren zum ersten Mal mit einem Kunden zu tun hatte, der nicht nach Konzept und Beratung, sondern nach Coaching und Prototyping fragte. Das hatte für mich eine ganz andere Qualität, wir konnten etwas machen, nicht nur Workshops und Schreibarbeit. Es hieß aber auch, dass das kein normaler, sicherer Auftrag war. Sondern es war natürlich klar, dass wenn wir die ursprüngliche Idee und das Geschäftsmodell mit unserer Vorgehensweise «killen» (ich weiß schon, schrecklich diese Anglizismen) würden, auch schlagartig das Projekt fertig gewesen wäre.

Seitdem nehme ich im Markt wahr, dass viele Kunden einen solchen Ansatz zumindest im Kopf haben. Zwar werden in der überwiegenden Mehrheit noch immer viele Ausschreibungen und Konzepte erstellt. Aber ich glaube zu erkennen, dass wir uns als Branche grad in großer Geschwindigkeit auf einen Lean Prototype / Design Thinking-Ansatz als Standardmethode der Wahl zubewegen. Und ich glaube, das ist dringend notwendig.

Makro-Vorbilder und Beispiele

Und es entspricht dem Zeitgeist, einfach mal zu machen. Je mehr Wissen wir schnell verfügbar haben, desto weniger wichtig wird ein theoretischer Ansatz an die Umsetzung. Besonders deutlich zeigen sich die Kulturunterschiede in der Automobilbranche. Dort versuchen die deutschen Automobilhersteller als Vertreter eines konservativen Ansatzes mit langwierigen Konzepten und Strategiefindungsprozessen die Zukunft anzupacken und ihren Weg zu finden.

Dem gegenüber stehen neue Player, allen voran - aber nicht ausschließlich - Tesla, die wohl auch eine Strategie haben, aber viel schneller umsetzen und versuchen möglichst schnell "Minimal Viable" Products zu liefern. Jetzt muss das Ganze noch auf eine relevante Größe skaliert und so profane Dinge wie das Geld verbrennen gestoppt werden.

Die neuen Macher

Ich wurde zeitlebens als Macher bezeichnet und fand das nie so richtig toll. Ich kenne zu viele Macher die zwar viel machen aber dabei nicht so wahnsinnig viel darüber nachdenken, ob sie auch das Richtige tun. Getreu dem Motto: Als wir das Ziel aus den Augen verloren, verdoppelten wir die Anstrengungen.
Dem gegenüber steht ein neuer Typus Macher. Er hat die Strategiedenke sozusagen mit der Muttermilch aufgenommen, verliert sich aber nicht in endlosen Strategieformulierungen. Paradoxerweise erhöht ein solches Vorgehen aber den Druck auf die Strategie. Denn ist eine Strategie schlecht, kommt das viel schneller zum Vorschein. Dadurch können die Fehlinvestitionen verhindert oder zumindest vermindert werden. Ich bin überzeugt, dass sich dieser Umstand positiv auf die Strategieentwicklung auswirkt.

Ein altgedienter Manager einer größeren Firma hat mir das kürzlich so erklärt: Sicher zu radikal und populistisch so. Aber der neue Typus Macher will schon so schnell wie möglich erste Resultate produzieren, diese testen und, wenn erfolgreich, weiterentwickeln. Oft sind diese Lean Startup Diskussionen bei potenziellen Kunden erfreulicherweise bereits weit gediehen. Weil das der schnellere und günstigere Ansatz ist, fahren auch so viele Manager seit drei Jahren ins Silicon Valley. Um genau das zu lernen.

Das Beratungsgeschäft unter Druck

Ich denke, dass sich langfristig die bestehenden, klassischen Beratungsmodelle nicht mehr an den Kunden bringen lassen werden. Und das ist gut so, denn ihre Zeit ist abgelaufen. Es war teilweise ja auch zu einfach: Beratungsgesellschaft XY hat die besten Uniabgänger aufgegriffen, sie zwei Jahre als Junior mitlaufen lassen, um sie dann später voll durch zu verrechnen. Was diese Leute meist taten war reichlich theoretisch und intern politisch.

Ich habe öfter erlebt, dass Projekte in eine Richtung gelenkt wurden, in der sich das Mandat als besonders lukrativ ausgestaltete. Natürlich ist das nicht gängige Praxis, aber es kommt öfter vor als uns lieb ist.

Software-Dienstleister aufgepasst

Wer jetzt als Software-Dienstleister das Gefühl hat, das betreffe ihn nicht, der irrt. Dieselben Verschiebungen gibt es, einfach im umgekehrten Sinne, auch für reine Umsetzungs-Dienstleister. Auch sie müssen sich daran gewöhnen mit kleineren Budgets, kleinere Schritte zu machen und Lösungen zu entwickeln die betriebswirtschaftlich funktionieren.

Das ist auch kein leichtes Unterfangen und bedeutet, dass Software-Dienstleister noch mehr als bisher, Business-Analysten und Coaches beschäftigen müssen. Das ist nicht mit einem klassischen Full-Service-Konzept zu verwechseln. Vielmehr geht es darum, als Unternehmen auf dem Weg von der Strategie zum ersten testbaren Produkt, glaubwürdig mitdiskutieren zu können. Denn bislang hörte ich von technischen Dienstleister oft. "Das ist ja Konzept und Strategie, das geht uns nichts an". Und von Beratern fällt häufig der Satz: "Das muss die Technik dann für sich lösen."

Dienstleistungsunternehmen der Zukunft haben Positionen auf beiden Seiten dieses Tisches. Ganz gleich ob sie nun eher technologieorientierte oder beratungsorientierte Dienstleister sind. In Zukunft werden die Grenzen wohl fließend sein.

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