Jahr-2000-Umstellung erfordert besondere Sorgfalt von Führungskräften

10.07.1999

MÜNCHEN: Nicht nur die technische Seite der Jahr-2000-Umstellung könnte für viele Firmen zum Problem werden: Vor allem Unternehmensleiter müssen sich fragen, ob sie auch gegen etwaige Haftungsrisiken aus der Geschäftsführungstätigkeit ausreichend gewappnet sind. Die rechtliche Seite beleuchtet der folgende Beitrag von Thomas Zwissler*.In weniger als 100 Tagen wird sich zeigen, ob die Vorbereitungen der deutschen Wirtschaft auf die Jahr-2000-Umstellung erfolgreich waren. Aber schon heute stellt sich aus Sicht der Unternehmensleitung die Frage, ob die ergriffenen Maßnahmen ausreichend sein werden, um dem Vorwurf mangelhafter Vorbereitung begegnen zu können, der bei Störungen der Betriebsabläufe aufgrund des Jahr-2000-Problems zu erwarten ist. Vor allem GmbH-Geschäftsführer und AG-Vorstände sollten diese Frage besonders sorgfältig prüfen, da sie unter Umständen erhebliche Haftungsrisiken eingehen, wenn keine hinreichenden Vorkehrungen zur Bewältigung der Umstellung getroffen wurden.

Pflichten der Unternehmensführung

Die Pflichtenstellung der Vorstände, Geschäftsführer, Aufsichtsräte beziehungsweise Beiräte und der geschäftsführenden Gesellschafter von Personengesellschaften sind gesetzlich nur in Ansätzen geregelt. So finden sich neben einigen speziellen Pflichtentatbeständen generalklauselartige Formulierungen wie etwa der Verweis auf die "Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters", aus denen der konkrete Pflichteninhalt mit Hilfe juristischer Argumentationstechniken erst noch zu entwickeln ist.

Auch im Hinblick auf das Jahr-2000-Problem existiert keine Spezialregelung, so daß auf die erwähnten allgemeinen Regelungen zurückgegriffen werden muß. Als Ausgangspunkt für die Konkretisierung der Pflichtenstellung von Geschäftsleitern kann dabei der Satz dienen, daß die Unternehmensführung beziehungsweise deren Mitglieder alles Zumutbare zu unternehmen haben, um Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Allerdings haben sich in der juristischen Diskussion auch einige Eckpunkte herauskristallisiert, die von der Unternehmensführung berücksichtigt werden müssen. So kommt es für die Ermittlung der konkreten Pflichtenstellung immer auf die Umstände des Einzelfalls an. Beispielsweise ist auch die besondere Gefährdungslage von Unternehmen der IT-Branche zu berücksichtigen.

Pflichten von Geschäftsführern und Vorständen

GmbH-Geschäftsführer und Vorstände einer AG sind ganz allgemein verpflichtet, das Jahr-2000-Problem betreffende Informationen umfassend zu sammeln und aufzubereiten, um auf diesem Wege die Grundlage für die zu treffenden Entscheidungen zu schaffen. Aufgrund der Neuregelung in ñ 91 Abs. 2 AktG ist der Vorstand der AG sogar ausdrücklich verpflichtet, "geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden". Nachdem das Jahr-2000-Problem je nach Unternehmensgegenstand und -organisation eine solche "den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklung" darstellen kann, stehen Vorstände und GmbH-Geschäftsführer also unmittelbar in der Pflicht. Hieran anknüpfend sind Geschäftsführer und Vorstände zur Organisation und Durchführung von Maßnahmen verpflichtet, mit denen die eventuellen Gefahren für den ordnungsgemäßen Geschäftsablauf beseitigt werden können. Soweit dies unmöglich erscheint, sind die Maßnahmen so zu treffen, daß zumindest das Schadenspotential begrenzt wird.

Aufgrund ihrer Bedeutung dürfen die Maßnahmen nicht beliebig delegiert werden. Vielmehr muß der Vorstand beziehungsweise der Geschäftsführer die Angelegenheit laufend als "Chefsache" behandeln und sicherstellen, daß er über die besonders kritischen Problemkreise laufend und umfassend informiert ist.

Einrichtung eines Jahr-2000-Projekts

Im Zuge der Diskussion um die entsprechende Pflichtenstellung der Geschäftsleitung hat sich die Auffassung herausgebildet, daß der Vorstand beziehungsweise der Geschäftsführer seinen diesbezüglichen Pflichten insbesondere durch die Einrichtung eines unternehmensinternen "Jahr-2000-Projekts" nachkommen kann. Inhalt und Aufgabe dieses Projekts müssen die Ermittlung und Bewertung eventueller Risiken sowie die Erarbeitung eines tragfähigen Konzepts zur Bewältigung der Problematik, insbesondere also zur Beseitigung beziehungsweise Begrenzung der ermittelten Risiken sein. Auch hier hat der Vorstand beziehungsweise der Geschäftsführer darauf zu achten, jederzeit über die wichtigsten Risikopotentiale sowie die gesamte Arbeit der Projektgruppe auf dem laufenden zu sein. Anderenfalls muß er sich im Falle eines Fehlschlages unter Umständen ein sogenanntes Organisationsverschulden und damit den Vorwurf gefallen lassen, die Bewältigung der Jahr-2000-Problematik nicht mit hinreichendem Nachdruck verfolgt zu haben.

Wichtiger Bestandteil eines jeden Jahr-2000-Projekts ist die Einbeziehung der Problematik in das Vertragsmanagement. Vertragsmanagement bedeutet in diesem Zusammenhang, daß bereits abgeschlossene Verträge daraufhin zu überprüfen sind, ob sich aus ihnen im Hinblick auf die Jahrtausendumstellung besondere Gewährleistungs- oder Haftungsrisiken ergeben. Dabei ist auch zu prüfen, inwieweit für einzelne Risiken Versicherungsschutz besteht. Soweit erforderlich und möglich sind anschließend Maßnahmen zur Schadens- beziehungsweise Risikenminderung zu ergreifen.

In Bezug auf neu abzuschließende Verträge muß durch geeignete Maßnahmen sichergestellt werden, daß diese durchgehend unter Berücksichtigung der generierten Risiken abgeschlossen werden. So hat zum Beispiel der Verkäufer von Computersoftware oder Computeranlagen darauf zu achten, daß keine Zusicherungen im Hinblick auf die Jahr-2000-Fähigkeit der Produkte abgegeben werden. Anderenfalls können sich unüberschaubare Schadensersatzrisiken aufgrund der gesetzlichen Gewährleistungs- und Produkthaftungsvorschriften ergeben.

Umgekehrt ist im Unternehmen sicherzustellen, daß bei Neuanschaffungen Jahr-2000-Fähigkeitszusicherungen angefordert und nach Möglichkeit auch vereinbart werden. Haftungsausschlüsse des Lieferanten (auch in AGB) sind besonders kritisch zu hinterfragen.

Zeitliche Dimension und Notfallplanung

Bei der Einrichtung und Planung der Arbeit der Projektgruppe spielt der zeitliche Horizont eine besondere Rolle. Nicht nur das Projekt muß rechtzeitig in Leben gerufen werden. Auch die Arbeiten müssen so organisiert und geplant sein, daß etwaige Risikobegrenzungs- beziehungsweise Beseitigungsmaßnahmen noch rechtzeitig durchgeführt werden können. Notfalls, zum Beispiel bei Verzögerungen oder Engpässen, sind die Bemühungen zu intensivieren.

Wichtiger Baustein eines jeden Jahr-2000-Projekts ist schließlich

die sogenannte Notfallplanung. Der Vorstand beziehungsweise der Ge-

schäftsführer hat dafür zu sorgen, daß ein Notkonzept zur Verfügung steht, falls die Maßnahmen sich als fruchtlos erweisen oder aufgrund der zeitlichen Abläufe nicht oder nicht rechtzeitig umgesetzt werden können. Darüber hinaus muß die Notfallplanung auch den Fall berücksichtigen, daß aufgrund der Jahr-2000-Problematik Geschäftspartner wie zum Beispiel Zulieferer oder Transportunternehmen die geschuldeten Leistungen nicht mehr erbringen können. Insoweit muß sichergestellt sein, daß der Geschäftsbetrieb auch in diesen Fällen so weitergeführt werden kann, daß Schäden für die Gesellschaft so weit wie möglich vermieden werden.

Pflichten des Aufsichtsrats und Beirats

Von besonderer Bedeutung ist das Jahr-2000-Problem auch für den Aufsichtsrat oder Beirat. Die Überwachungsfunktion dieser Gremien erstreckt sich unter anderem auf jene Maßnahmen, die seitens des Vorstandes beziehungsweise Geschäftsführers eingeleitet wurden. Der Aufsichtsrat beziehungsweise Beirat hat sich laufend über den Stand der Aktivitäten berichten zu lassen, um etwaige Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen und gegensteuern zu können.

Sollte sich nach dem Jahrtausendwechsel herausstellen, daß keine Maßnahmen ergriffen, falsche Informationen geliefert wurden oder die entsprechenden Aktivitäten nicht ausreichend waren, um Schaden von der Gesellschaft abzuwenden, wird der Aufsichtsrat die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen den Vorstand beziehungsweise die Geschäftsführer zu prüfen haben.

Die Situation der Geschäftsführer von Personengesellschaften unterscheidet sich nur dadurch, daß sich der Pflichteninhalt nicht aus einem besonderen Organrechtsverhältnis, sondern (bei Gesellschafter-Geschäftsführern) aus dem Gesellschaftsverhältnis selbst ergibt. Auf den Inhalt der Pflichten hat dies jedoch keine Auswirkung, sie stimmen mit den genannten der Vorstände und GmbH-Geschäftsführern überein.

Haftungsrisiken

Die Jahr-2000-Problematik ist für die Mitglieder der Unternehmensleitung von erheblicher haftungsrechtlicher Relevanz. Eine Verletzung der vorstehend skizzierten Sorgfaltspflichten ist im Grundsatz geeignet, eine persönliche Schadensersatzhaftung des jeweiligen Geschäftsleiters auszulösen. Wobei hinsichtlich der Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften sowie den GmbH-Geschäftsführern erschwerend hinzukommt, daß im Falle eines Schadenseintritts der Vorstand beziehungsweise der Geschäftsführer zu beweisen hat, daß er seinen Jahr-2000-Problem-bezogenen Pflichten nachgekommen ist. Die Beweislast für das Handeln wie ein "ordentlicher Kaufmann" liegt also bei den Geschäftsleitern und nicht bei der Gesellschaft, der die entsprechenden Schadensersatzansprüche zustehen würden. Aufgrund der allseitigen Kenntnis des Jahr-2000-Problems können etwaige Schäden auch nicht unter Hinweis auf "höhere Gewalt" gerechtfertigt werden.

Fazit: Dringender Handlungsbedarf herrscht in allen Unternehmen, die heute nicht wenigstens über eine Notfallplanung verfügen. Die verantwortlichen Mitglieder der Unternehmensleitung sollten dabei schon im eigenen Interesse tätig werden, um drohenden Haftungsrisiken aus der Geschäftsführungstätigkeit zu begegnen.

* Thomas Zwissler ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Zirngibl Langwieser in München.

Zur Startseite